Andreas Desser alias DJ Andy mit seiner CD-Sammlung. Er schwört auf die silbernen Scheiben: „Die in der Hand zu halten ist doch viel besser als ein Mausklick.“ Foto: Jan Potente

Vor 30 Jahren hat er begonnen, Platten aufzulegen. Heute gehört er zum Pflichtprogramm: „DJ Andy“ Dressler über Parties auf der Reeperbahn – und Songs, die bei seinen Besuchern wirklich immer ziehen.

Waiblingen - Der Song zieht immer: Kaum erklingen die ersten Takte von Kiss’ „I was made for loving you“, jauchzt das Publikum. Kaum einer hält sich noch schüchtern an seinem Drink fest – statt dessen zucken die Körper im Stroboskoplicht. Manche spielen Luftgitarre, andere lassen die Mähne wehen. Wieder andere haben keine Mähne mehr. Es ist Samstagabend, Ü-30-Party im Schwanen.

Am DJ-Pult steht Andreas Dressler alias DJ Andy. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Jan Sachsenmaier, der am Lichtpult mindestens so abrockt wie die Besucher auf der vollen Tanzfläche, strahlt er stoische Ruhe aus. Doch er hat einen Plan: Keiner der Songs fegt die Tanzfläche leer, Dressler nimmt’s zufrieden zur Kenntnis. Die Party heute gilt gewissermaßen ihm; vor 30 Jahren hat er zum ersten Mal aufgelegt. Nur Musik der 70er- und 80er-Jahre, das hatte er sich gewünscht.

Party auf der Reeperbahn – „Sperrstunde? Was ist das?“

Begonnen hat für den heute 55-Jährigen alles in Hamburg. Der Schorndorfer war der Liebe wegen – und für den Zivildienst – in den Norden gezogen. „Ich war schon damals musikverrückt“, erinnert sich Dressler. Das sprach sich herum, er durfte an den Dienstagabenden in einer Zweigstelle der Oldie-Kette Pupasch auflegen. „Da bin ich unheimlich gut angekommen“, so Dressler. „Nicht nur wegen der Musik. Man ist mit den Leuten auch toll ins Gespräch gekommen.“

Bald durfte er auch am Wochenende in St. Pauli an die Arbeit. „Ich fragte den Chef, wann denn Sperrstunde sei. Er guckte mich nur an und fragte: Was ist das?“, erzählt er. Party bis morgens um sieben, das war normal. Geschichten von Hamburger Luden und ihren leichten Mädchen hätte er genug auf Lager – „aber das gehört nicht in die Zeitung“, meint Dressler und grinst. Zumal die Reeperbahn-Zeiten nach rund zwei Jahren vorbei waren: Dressler bekam einen Job bei der Paulinenpflege Winnenden – und einen in der Schorndorfer Manufaktur.

Früher feierten alle gemeinsam – dann kamen die Handies

Noch heute legt er dort ein bis zwei Mal im Jahr auf. Zudem im Durchschnitt alle zwei Wochen in der Sulzbacher Kult-Disco Belinda und ebenso oft im Schwanen. Manche Pächter und Betreiber kamen und gingen – DJ Andy blieb im Programm. Dennoch: In den 30 Jahren veränderte sich vieles. „Früher brauchten die Leute keine Mottos zum Feiern. Da haben Junge und Alte sich ergänzt, für jeden war etwas dabei. Bis dann irgendwann die Handies kamen“, erzählt Dressler. Selfies statt Schwofen – damit könne seine Generation nichts mehr anfangen.

In der Belinda wurde – auch deshalb – vor zwölf Jahren die erste Ü-30-Party ausprobiert. „Da standen plötzlich 700 Leute da“, erinnert sich Dressler. Andere Dinge seien dagegen gleich geblieben: „Melissa Etheridges ‚Like the way I do’ zum Beispiel – oder ‚Perfect Strangers’ von Deep Purple. Da strömen immer alle auf die Tanzfläche“, verrät der DJ. Nicht nur bei der Musikauswahl bleibt er sich treu: Vor sich ausgebreitet hat Dressler rund 400 CDs. Die silbernen Scheiben, Anfang der 80-er Jahre eingeführt, sind heute bei vielen DJs schon wieder alte Schule. „Aber die in der Hand zu halten ist doch viel besser als so ein Mausklick“, findet Dressler.

Stammkunden und neue Gesichter auf der Ü-30-Party im Schwanen

Wie lange er den nächtlichen Job noch machen will? „Ich will nie vor 20 Leuten auflegen, wenn es mal 300 waren. Sondern rechtzeitig den Absprung schaffen.“ Davon will am Samstag im Schwanen niemand etwas wissen. „Hier trifft man immer Bekannte, lernt neue Leute kennen – und die Musik ist auch gut, ich mag Hard Rock“, ruft die Besucherin Ayse gegen die Musik an. Sie kommt seit acht Jahren fast jedes Mal ins Schwanen, wenn DJ Andy auflegt.

Für andere dagegen ist das Event neu: Etwa die beiden Frauen am Rand der Tanzfläche. Als Andreas Dressler noch auf der Reeperbahn aufgelegt hat, lernten sie vermutlich gerade das Laufen. „Man hat hier auf jeden Fall was zum Gucken – wie die ältere Generation feiert“, meint eine augenzwinkernd. „Ist aber sehr angenehm hier.“ Als das Riff von Led Zeppelins „Whole lotta love“ aus den Lautsprechern dröhnt, meint ihre Begleiterin: „Wie, die spielen auch Siebziger?“ Es klingt richtig erschrocken.