Ein kämpferischer Auftritt im Bundestag: Bundeskanzler Olaf Scholz in der Generaldebatte Foto: dpa/Michael Kappeler

Hat Friedrich Merz nach einem Drehbuch gehandelt, das von Anfang an den Abbruch der Migrationsgespräche vorsah? Kanzler Olaf Scholz wirft es dem CDU-Chef vor. Und bietet ihm noch einmal einen Platz am Verhandlungstisch an.

Olaf Scholz lehnt sich weit nach vorn. Seine erhobene Hand zeigt Richtung Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Die Menschen erwarteten, dass ernsthaft und seriös Politik gemacht werde. „Seriös – ich buchstabiere Ihnen gern, wie das Wort geht“, ruft der Kanzler dem Oppositionsführer zu.

Es ist ein Tag mit vertauschten Rollen. Üblicherweise greift der Oppositionsführer in der Generaldebatte frontal den Kanzler an. Doch nach den gescheiterten Migrationsgesprächen zwischen Regierung und Opposition ist es umgekehrt. „Sie haben sich in die Büsche geschlagen“ – das ist der Satz, den Scholz in seiner kämpferischen Rede gleich mehrfach wiederholt. Er hält der Union „Sprücheklopfen“ und „Theateraufführungen“ in der Migrationspolitik vor. Der sozialdemokratische Kanzler, der sonst gern schon mal sehr leise spricht, ruft ihn laut ins Mikrofon. Er geht Merz persönlich an.

Merz kritisiert Vorwurf als „infam“

„Sie haben vor zwei, drei Wochen ein Drehbuch geschrieben, wo Sie sagen, Sie machen ein Angebot zur Zusammenarbeit – und dann, wenn es möglich ist, schlagen Sie es aus – und sagen, es ist nicht genug“, hält Scholz dem CDU-Vorsitzenden vor. So dürfe man mit einer so ernsten Angelegenheit in diesem Land nicht umgehen, kritisiert der Kanzler. Den Vorwurf, es habe ein solches Drehbuch gegeben, wird Friedrich Merz später „infam“ nennen. Also bösartig und durchtrieben, wie man im Wörterbuch nachlesen kann. So weit ist es im gegenseitigen Verhältnis von Kanzler und Oppositionschef gekommen.

Der Streitpunkt: Merz hatte nach dem Attentat von Solingen Gespräche zwischen einem Vertreter von Scholz und einem Vertreter der Union angeboten. Seine Forderung: die umfassende Abweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen. Scholz nahm das Gesprächsangebot an – richtete aber eine Runde aus Bund, Ländern und Union ein. Die Ampel hält Merz‘ Vorschlag für rechtlich nicht machbar, hat aber unter anderem eine Ausweitung der Grenzkontrollen und schnelle Grenzverfahren angeboten. Die CDU hat daraufhin die Gespräche in der zweiten Runde abgebrochen.

Ungewöhnlich ist an diesem Tag nicht nur, dass der Kanzler der Angreifer ist. Die Union eröffnet die Debatte mit einem überraschenden Schachzug. Die größte Oppositionspartei hat traditionell das erste Rederecht. Doch statt, wie erwartet, Merz als ersten Redner und damit noch vor dem Kanzler in die Debatte zu schicken, spricht zunächst CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Merz und er haben sich dabei offenbar auf eine besondere Arbeitsteilung verständigt.

Überraschender Schachzug der Union

Dobrindt ist an diesem Tag derjenige, der am heftigsten gegen Scholz und die Bundesregierung poltert. Die Ampel sei „keine Koalition des Fortschritts, sondern eine Koalition des Abstiegs in diesem Land“, sagt er. Der CSU-Politiker hält dem Kanzler vor, die Menschen hätten verstanden, „wer bei Ihnen Führung bestellt, der wird nur Ausreden bekommen“. Das Nein der Ampel zu umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen sei respektlos gegenüber den Bürgern und ihren Sorgen. Es sei auch „eine Kapitulation gegenüber der Überforderung unserer Kommunen, unserer Schulen, der Sicherheitslage in unserem Land“, ruft Dobrindt aus.

Merz – der sich sonst schon mal in Rage reden kann – wählt hingegen einen zurückgenommenen Auftritt. Diesmal ist er es, der über weite Strecken eher leise spricht. Er beginnt seine Rede mit einem Verweis auf die Attentate vom 11. September, die an diesem Mittwoch genau 23 Jahre her sind – und die der Kanzler nicht mal erwähnt habe. Der Oppositionsführer sagt einige Sätze zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Beides seien tiefe Einschnitte in der Geschichte gewesen. Dann erst wendet er sich dem Thema Migration zu.

In der Sache weicht der eher konziliant auftretende Merz dabei keinen Millimeter von seiner Linie ab. Er will, auch wenn die Regierung das für rechtlich nicht machbar hält, generelle Abweisungen an den Grenzen – und keinen Kompromiss. „Wir begeben uns mit Ihnen auch nicht in eine Endlosschleife von Gesprächen“, sagt der CDU-Chef. Und der Kanzler? Er ist an diesem Tag zwar der Lautere. Doch seine Botschaft an Merz lautet: „Wir schlagen niemals eine Tür zu. Sie können immer wieder kommen.“