Kevin Kugel gießt die Pralinen in ihre Form. Foto: Kevin Kugel

Kevin Kugel hat sich mit seiner Schokoladen-Manufaktur einen Traum verwirklicht. Er erzählt, warum er früher mit Kakaobohnen im Kofferraum nach Italien fahren musste und wie für ihn ein Tankstellenriegel schmeckt.

Es ist Hochsaison in Kevin Kugels Schokoladenmanufaktur. Zur Adventszeit fertigen viele fleißige Hände jede Woche bis zu 10 000 Pralinen an. Trotzdem nimmt sich der Chocolatier Zeit, aus der Produktion nach vorne in den Verkaufsraum zu kommen, denn sein Lieblingsgast ist an diesem Nachmittag zu Besuch gekommen: seine Oma. So oft sie es von Nufringen nach Sindelfingen schafft, kommt die Seniorin bei ihrem Enkel vorbei. Er drückt sie innig – Familie bedeute ihm alles. Ohne die Unterstützung der Eltern und des Onkels, die beim Aufbau seiner Schokoladenmanufaktur im Herzen von Sindelfingen angepackt haben, wäre all das nicht möglich gewesen, sagt er. Und „all das“ ist nicht weniger als sein Traum, den er mit der Chocolaterie verwirklicht hat.

 

Die Praline ist Kevin Kugels Markenzeichen

Kevin Kugel ist ein Meister der Schokolade, und sein Meisterstück ist die Praline. „Da kann man sich verkünsteln“, sagt der Chocolatier. Die kugelrunde Geschmacksexplosion ist für ihn perfekt, wenn sie ein Gesamtkunstwerk bildet aus schöner Optik, spannender Textur, guten Aromen und feinem Schmelz. Kurzum: Sie soll den Mund verzücken. Seinen Stil beschreibt er als sanft. „Die Schokolade ist der Fokus. Ich will Zimt oder Maracuja nicht im Vordergrund, sondern als leichte Note.“ Bis auf wenige Ausnahmen haben seine Pralinen die Form einer Kugel. „Viele denken, ich habe einen Künstlernamen“, sagt er. Doch er heißt Kugel seit seiner Geburt vor 37 Jahren. Vielleicht, meint er und lächelt dabei, hat es so kommen sollen.

Dabei war sein Weg hin zur eigenen Schokoladenmanufaktur, in der Pralinen und Tafeln handgefertigt werden, nicht vorgezeichnet. Er wächst in Nufringen auf und macht nach der Schule eine Kochlehre mit dem Ziel, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Mit Schokololade konnte er nicht viel anfangen, erst eine Begegnung mit dem Schokoladenpapst Lothar Buss zündet den Funken: „Das war der Wendepunkt vom Restaurant zur Schokolade“, sagt er rückblickend. Spätestens als er im Jahr 2013 den Titel „Deutscher Chocolatier Meister“ gewinnt und sich für die Weltmeisterschaft in Paris qualifiziert, stehen alle Zeichen auf Schokolade. Der Titel bringt ihm Aufmerksamkeit, vor allem aber eines: „Ich habe mich ein Jahr lang Tag und Nacht mit Schokolade auseinandergesetzt. Das handwerkliche Wissen bekommt man nirgends anders.“

Niemand glaubt an seine Chocolaterie auf dem Dorf

Nach seinen Lehr- und Wanderjahren zieht es ihn zurück in die Heimat. In Nufringen steht ein kleines Blumengeschäft leer, dort gründet er 2014 seine Chocolaterie. „Ich hatte einen Tisch, ein Schokoladenbecken und einen Rührlöffel. Es war miniminimini“, erinnert er sich. Sein Umfeld erklärt ihn für verrückt: „Alle haben gesagt, eine Chocolaterie in Deutschland ist nicht möglich, und auf dem Dorf schon gar nicht.“ Obwohl er in der kleinen Werkstube gar nicht verkaufen will, kommen vom ersten Tag an so viele Leute, dass er nach einer Woche einen Verkäufer anstellt. Die Büroarbeit übernimmt seine Frau, die bis heute an seiner Seite arbeitet. Jedes halbe Jahr stellt er einen weiteren Mitarbeiter ein, inzwischen sind es 30.

Heute ist Kevin Kugel ein Vorreiter seiner Zunft. Als einer der wenigen stellt er die Rohschokolade selbst her. „99 Prozent der Chocolatiers kaufen die Rohschokolade zu“, sagt er. Den Entschluss, seine Pralinen von der Bohne an zu produzieren, trifft er 2014 bei einer Ecuadorreise, wo er Kakaobauern besucht. „Das war der Traum. Bis dahin hatte ich noch nie eine Kakaofrucht in der Hand gehalten.“ Doch in Nufringen oder Umgebung gibt es keine Maschine, um Rohschokolade herzustellen. Also fährt er in jener Zeit dreimal im Jahr mit 400 Kilogramm Kakaobohnen im Kofferraum nach Italien und mietet dort für einige Stunden eine Maschine.

Traum von einer eigenen Kakaoplantage

Seit Kevin Kugel 2020 mit seiner Schokomanufaktur in die Sindelfinger Altstadt gezogen ist, besitzt er selbst so eine Maschine und stellt die Rohschokolade vor Ort her. Die Bohnen kauft er weiterhin aus Ecuador, aber auch aus Mexiko, der Dominikanischen Republik und Peru. In alle Länder ist er gereist und hat die Kakaobauern kennengelernt. Er kooperiert mit einer Nachhaltigkeitsfirma, die sicherstellt, dass nicht gespritzt wird und gerechte Löhne gezahlt werden, nämlich das 1,7-Fache des Fairtrade-Preises. Im Gegenzug wird Regenwald aufgeforstet, vergangenes Jahr waren es 8000 Bäume. „Mein Traum wäre es, meine eigene Plantage zu besitzen und noch mehr Einfluss zu haben.“

Auf die Frage nach dem Unterschied zwischen seiner handgefertigten und industriell hergestellter Schokolade erzählt Kugel, wie er vor zwei, drei Jahren an einer Tankstelle Schokolade kaufte, um zu wissen, wie sie schmeckt. Sein Urteil: „Süß und braun, aber nicht nach Schokolade.“ In billigen Produkten seien Lecithine drin, Palmfette und viel Zucker, weil er günstig ist und die Bitterstoffe und den ranzigen Geschmack von minderwertigem, beim Lagern oft geschimmeltem Kakao übertönt. Die Zusatzstoffe würden zugeführt, um die Schokolade einfacher verarbeiten zu können, obwohl nichts davon nötig sei: „Kakao, Zucker und Milch, mehr braucht man nicht.“ Dass seine Pralinen nur vier Wochen haltbar sind, ist für Kugel ein Qualitätsmerkmal.

Doch seine Schokolade hat ihren Preis. Ist faire, hochwertige Schokolade also nur etwas für Gutbetuchte? Nein, sagt Kugel, genau wie beim Fleisch müsse man da hinkommen, selten und dafür qualitativ hochwertig zu genießen. Er selbst esse keine Massen an Schokolade, im Schnitt drei Pralinen am Tag. „Zwei bei der Arbeit zum Probieren und eine nachmittags zum Kaffee als Genuss.“ Abends zuhause habe er noch nie Schokolade gegessen. Nur im Urlaub, da brauche er nach zwei, drei Tagen „was Schokoladiges“.

Kugelrunde Pralinen und Co.

Vita
Nach einer Kochlehre im Gasthof Hasen in Herrenberg macht Kugel eine Konditorausbildung im Café Schurr in Stuttgart-Heslach. An Schokolade hat er keinen Gefallen, sie ist für ihn eine glanzlose Masse – weil er sie falsch verarbeitet, weiß er heute. Erst als er bei einem Wettbewerb eine Schokotorte zubereitet und gewinnt, ist der Funke gezündet. Der Preis: ein Workshop bei Chocolatier Lothar Buss. Danach arbeitet Kugel als Chefpatissier im Sternerestaurant des Colombi Hotels in Freiburg, macht den Abschluss als Konditormeister und Betriebswirt an der Meisterschule in Köln. 2013 wird er Deutscher Chocolatier Meister.

Manufaktur
Laden und Café, von wo aus Besucher in die Produktion blicken können, und Büro sind unter einem Dach. Im ersten Stock ist Platz für Workshops und Firmenevents. Im Sommer stellt Kugel 500 Pralinen pro Woche her, im Winter bis zu 10 000. Außer Pralinen produziert er Tafelschokolade, Taler, Brotaufstrich oder Schokofrüchte. Zu Festtagen, Hochzeiten oder für Firmen fertigt er spezielle Kreationen. Zu seinen Kunden gehören auch Sterneköche.