Das große Face-Lifting kann ein Gesicht nicht nur jünger scheinen lassen, sondern auch von Grund auf verändern. Foto: fotolia

Die ästhetische Chirurgie sowie der schnelle Kampf gegen Falten mit Botox und Co. boomen – nicht nur bei Frauen, auch zunehmend Männer lassen ihr Äußeres dezent verändern. Bei ihnen stehen Nasenkorrektur und Fettabsaugung ganz oben auf der Wunschliste.

Stuttgart - Wenn das Gegenüber nach der Mittagspause plötzlich frischer wirkt als vorher, war nicht unbedingt ein doppelter Espresso im Spiel. Es könnte auch ein kurzer Besuch in der Aestetic Lounge auf der Königstraße dahinter stecken. Inhaber Dr. Yusuf Yildirim hat etliche Patientinnen, die sich bei ihm zwischendurch einen Schuss Botox oder Hyaluronsäure fürs bessere Aussehen holen. „Das neueste ist das Vampir Lifting. Das verwendet auch Kim Kardashian“, erklärt Yildirim. Dabei wird eine kleine Menge Blut entnommen, aus ihm wird Plasma filtriert und dieses wieder unter die Gesichtshaut gespritzt. Das soll die Zellerneuerung anregen. Dafür allerdings wird die Mittagspause nicht ausreichen. Yildrim versteht sich als „Face Designer“ – ohne Skalpell. Nur optimieren, nicht verändern, lautet sein Credo. Beginnende Hängebäckchen jenseits der 40 sind ein häufiger Grund für einen Besuch bei ihm.

Der Kampf gegen Falten hört nie auf

„Wir alle fühlen uns doch noch viel jünger und vitaler, als wir eigentlich sind“, sagt Dr. Christian Fitz, Gründer der Klinik auf der Karlshöhe für „individuelle Ästhetik“. Zwischen Innen und Außen wachse heutzutage eine immer größere Kluft. Der Jugendwahn, der alle nach der ewigen Schönheit eines Dorian Gray streben lässt, schafft die Klientel für immer weitere Institute und Kliniken für ästhetische und plastische Chirurgie. „Und die können alle davon leben“, sagt Dr. Andrea Fornoff. Seit über 20 Jahren leitet sie die Klinik für plastische Chirurgie in Degerloch. „Die Aufgeschlossenheit gegenüber Eingriffen wurde größer“, beobachtet sie. Für betuchte Patienten sind die Kosten kein Thema, andere sparen sich die Summe vom Munde ab. Bei Fitz kostet eine Brustvergrößerung 6500 Euro. Fettabsaugungen oder Bauchdeckenstraffungen liegen zwischen 2000 und 6000 Euro. In der Aesthetic Lounge zahlen die Patientinnen von 500 Euro an aufwärts für Gesichtskorrekturen. Allerdings ähnelt der Kampf gegen die Falten jenem gegen graue Haare: Er ist nie zu Ende. Eine Stirnbehandlung mit Botox beispielsweise hält laut Yildrim vier bis sechs Monate.

Überschaubare Zahl von Kliniken

In Stuttgart ist – im Gegensatz zu München – die Zahl der Kliniken überschaubar. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) listet 17 Ärzte mit diesem Fachgebiet auf. „Alle Ärzte in der KV unterliegen Qualitätssicherungsmaßnahmen in Standards wie Hygiene oder Ausübung“, sagt deren Sprecher Kai Sonntag und rät: „Konsultieren sie im Zweifel immer mehrere Ärzte und klären sie auch die Fragen der Nachsorge. Mit der OP alleine ist es nicht getan.

Wie es auf dem privatärztlichen Markt aussieht, vermag Sonntag nicht zu sagen. In der Branche spricht man von etwa zehn Anbietern in der Stadt. „Es ist ein transparenter Markt“, sagt Fitz. „Und es geht unter den Wettbewerbern friedlich zu.“

Dr. Sebastian Haack, Ärztlicher Direktor der renommierten Klinik für Plastische Gesichtschirurgie am Marienhospital, muss immer wieder Extremergebnisse mit seiner chirurgischen Kunst ausbügeln. Die Korrektur misslungener Schönheitsoperationen gehört zu seinem täglichen Brot. „Fast die Hälfte von Haacks Patienten kommt zu ihm, weil sie andernorts mit ungünstigem Ergebnis operiert worden sind“, sagt ein Sprecher des Marienhospitals.

Cellulitis lässt sich fast wegzaubern

Fitz nennt solche Brachialeingriffe mit Vorher-Nachher-Effekt „einfach grausam“. Derartig abschreckende Beispiele kennt er eher aus dem Ausland. „Der Trend geht weg von großen Eingriffen, sagt Fornoff. „Das Facelifting, bei dem man drei Wochen nicht mehr gesellschaftsfähig ist, wird kaum noch gemacht.“ Die Patientinnen stehen im Berufsleben und wollen nicht komplett verändert aussehen.

Kleine Veränderung wie Fadenlifting seien viel dezenter: Die Haut wird durch das Einziehen der Fäden gestrafft und Fältchen verschwinden. Selbst ganz ohne Schnitte und Pikser lässt sich einiges erreichen. Durch thermische Straffung mit der Radiofrequenzenergie lasse sich sogar Cellulitis mildern, sagt Fornoff.

Es gibt keine Wunder

Aber wie bei allen Eingriffen warnen renommierte Ärzte vor allzu großen Erwartungen. „Ich kann keine Wunder versprechen“, sagt die Degerlocher Fachärztin Fornoff. Wie sie lehnt auch ihre Kollegin Dr. Annette Kotzur von der Sophienklinik manchen Wunsch strikt ab. „Schlauchbootlippen spritze ich nicht“, sagt sie. Wahrscheinlich würden sich gerade einmal zehn Prozent der Patientinnen an Stars und Sternchen orientieren, schätzt Kotzur. „95 Prozent haben bei einer Brustvergrößerung eher Angst, dass sie hinterher aussehen wie Pamela Anderson“, berichtet sie. Hierzulande sei Natürlichkeit gefragt. „Gemacht wollen nur ganz wenige aussehen.“

Männer wollen eine flache Brust

Das gilt auch für Männer. 20 Prozent der Patienten, die ihre Falten geglättet haben wollen, sind Männer, bei Nasenkorrekturen sogar 40 Prozent, rechnet Kotzur vor. Auch zur Fettabsaugung legen sie sich auf den Behandlungstisch, ebenso zur Brust-OP wie Fornoff berichtet: „Die Kunden wollen eine flache Brust, bei der der Brustmuskel zu sehen ist.“ Ein neues Betätigungsfeld tut sich für die Chirurgen durch die Inflation der Tattoos auf, denn sie entfernen ungeliebte Motive wieder. „Da gibt es lustige Geschichten“, erzählt Kotzur: Zum Beispiel von jenem Mann, der sich am Ende der Woche ein Tattoo hatte stechen lassen. Montags stand er bei ihr in der Praxis und sagte: „Das muss wieder weg.“

Ein Drittel kommt aus medizinischen Gründen

Manchmal muss der plastische Chirurg bei der Vorbesprechung vor allem Menschenkenntnis beweisen. Leute, die sich als missgestaltet wahrnehmen und alle ihre Probleme auf ihr Äußeres beziehen, sind oft schwer zu erkennen. „Eine Operation löst keine sozialen Probleme“, sagt Kotzur. Andererseits kann sie jemanden von langjährigen psychischen Problemen und Hemmungen befreien.

Jede dritte Gesichtsbehandlung in der Sophienklinik hat medizinische Hintergründe. „Wenn jemand einen Hautkrebs im Gesicht hat, muss er entfernt werden“, sagt Fornoff. Hier ist die plastische Chirurgie mehr als Helfer in der Not: Sie kann einen Menschen vor einer Entstellung bewahren.