Das Haus im Herzen Biberachs: Die Architektur ist kompromisslos monolithisch, wie aus einem Guss. Foto: Laura Zalenga/Laura Zalenga

Bauen auf engstem Raum und im historischen Bestand ist eine Herausforderung. Dass es geht, beweist eine Architektin mit ihrem preisgekrönten Haus aus Infraleichtbeton in Biberach.

„Manche sagen, das ist aber eine schöne Sanierung. Was für ein Kompliment, nicht wahr?“ Tatsächlich existiert kein schöneres Lob, schließlich handelt es sich bei dem dezent in das Altbauensemble eingefügte Haus in der Biberacher Innenstadt um einen Neubau, der so gar nicht historisierend daherkommt. Im Gegenteil: Die Architektin Inge Zalenga steht im Garten vor dem skulpturalen Haus in der Zeughausgasse und erklärt, was sie auf keinen Fall bauen wollte: ein Retro-Haus.

 

Sichtbeton, innen und außen

Als Bauherrin und Planerin in Personalunion wusste sie allerdings ziemlich genau, wie ihr neues Zuhause beschaffen sein sollte: „Ich wollte gerne in einem Haus aus Sichtbeton wohnen. Sichtbeton, innen und außen, kompromisslos. Wenn möglich aus Infraleichtbeton, homogen gegossen, ausgeschalt und belassen.“ Ein überaus ambitionierter Wunsch, möchte man rückblickend entgegnen. Schließlich war nicht nur das Bauen in einer historischen Umgebung allein schon herausfordernd, sondern auch die Verwendung des Materials keine Selbstverständlichkeit.

Herkömmlicher Beton steht seit Längerem in der Kritik, weil für die Herstellung klimaschädlicher Zement benötigt wird, aber auch Sand und Kies, die leider zu den nicht erneuerbaren Rohstoffen gehören. Gern werden allerdings die Vorteile des Baustoffs übersehen wie etwa die Haltbarkeit.

Leichter und wärmedämmender

Eine zukunftweisende Lösung des Problems verspricht die Verwendung von Infraleichtbeton. Die Leichtigkeit entsteht unter anderem durch Zumischung von leichten Gesteinskörnungen wie Blähglas zum Zement, im Gegensatz zu Sand und Kies im Normalbeton. In diesen Materialien ist viel Luft eingeschlossen, wodurch der Beton nicht nur leicht, sondern auch noch deutlich wärmedämmender wird.

Das Innovative am Infraleichtbeton ist, dass dieser alles in sich vereint, was für den Bau wichtig ist: Er trägt, schützt vor Witterungen und dämmt hervorragend. Zwar können auch andere Materialien wie etwa Holz diese Anforderungen erfüllen, doch Beton hat zusätzlich den erwähnten Vorteil der enorm langen Haltbarkeit. Und recycelbar ist das Material ebenfalls.

Das Haus von der Straßenseite aus gesehen – auch den Zaun hat die Architektin selbst gestaltet. Foto: Laura Zalenga

„Eine echte Herausforderung“, gibt auch Inge Zalenga zu, die unweit ihrer neuen Wohnadresse seit vielen Jahren Partnerin in einem Architekturbüro ist, „denn zum ersten Mal arbeitete ich mit Infraleichtbeton – mit Erfolg! Ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis.“ Der Hochleistungsbeton erfordert allerdings auch eine besondere fachliche Hingabe, sprich: eine spezialisierte Rohbaufirma mit einer mobilen Mischanlage.

Die fand sich tatsächlich vor Ort, und ihr gelang es dann auch, den spannenden sechseckigen Grundriss mit der komplizierten Schalung bei denkbar beengten Platzverhältnissen perfekt umzusetzen. Praktisch: Lange Transportwege entfielen, weil die Abmischung des Betons in Biberach stattfinden konnte. Selbst die verwendeten Rohstoffe kamen allesamt aus Deutschland. Dasselbe gilt übrigens auch für das eingesetzte Holz: Fenster, Decken, Treppen und die Dachkonstruktion wurden aus heimischer Fichte gefertigt.

Die Sorge um das Klima allein macht aber noch keine gute Architektur. Nach dem Abriss des stark einsturzgefährdeten Wohnhauses sollte der Neubau wie ein Puzzlestück in das vorhandene Bild eingesetzt werden. Zur unmittelbaren Umgebung gehört beispielsweise das älteste Haus Biberachs, ein Gebäude aus dem Jahr 1319! Und die angrenzenden Altbauten waren vieles, nur nicht gerade oder rechtwinklig.

Doch die Antwort auf die komplexe Bauaufgabe fällt beispielhaft aus. Das Wohnhaus zeigt auf eindrückliche Weise, wie man sensibel und zugleich überaus intelligent akzentuierte Kontraste zum Umfeld setzen kann. Die reduzierte monolithische Architektur verblüfft. Der rohe, sich dennoch überaus warm anfühlende Sichtbeton ist an vielen Stellen dominant und prägt das Raumgefühl in den Innenräumen.

Weitere schmale Lückenfüller-Häuser

  • Einfamilienhaus im Metallkleid von Thomas Sixt Finckh in Stuttgart Sillenbuch
  • Einfamilienhaus mit Backsteinfassade von Loweg Architekten in Stuttgart Ost
  • Einfamilienhaus mit Polycarbonat-Verkleidung von Thomas Sixt Finckh in Esslingen
  • Einfamilienhaus mit Wohngalerie von Mehr*Architekten in Kirchheim unter Teck
  • Einfamilienhaus mit verglaster Fassade von Heinrich Binder in Tuttlingen
  • Einfamilienhaus als Garagenaufbau von Wolfgang Zeh in Köln

Es scheint, als hätte die Fülle an Bedingungen und neuen Herausforderungen mit dem Infraleichtbeton bei der Planerin Inge Zalenga einen wahren Kreativitätsschub ausgelöst: „Ich wollte das Material formen, um mit Vor- und Rücksprüngen, Abschrägungen, Knicken und Einzügen den Bezug zur mittelalterlichen Nachbarbebauung zu schaffen.“

Tatsächlich ist dieses Townhouse, wie es neudeutsch heißt, ein Augenschmeichler im Herzen Biberachs. Es fügt sich stimmig ein in die geschmackvoll sanierte Fassadenzeile der verkehrsberuhigten Straße. Inge Zalengas Beharrlichkeit zeigt, dass innerstädtisches Bauen in historischem Kontext gleichermaßen integrierend und radikal modern sein kann. Und dass es in diesen Zeiten sinnvoller ist, weiteren Flächenverbrauch möglichst zu vermeiden, muss nicht eigens betont werden. Eine Blaupause für unzählige Baulücken und leerstehende Stadtruinen in alten Stadtkernen.

Dass Inge Zalenga nebenbei auch eine talentierte Innenarchitektin ist, erkennt man sofort. Das Konzept für die Einbauten und das Mobiliar? Minimalistisch, farbenfroh, durchlässig, stilsicher. Im Erdgeschoss wird in der schwarzen Küchenzeile gekocht, im Obergeschoss wird entspannt – und damit es nicht zu eng wird, ist die erste Etage durch eine Galerie mit dem Erdgeschoss verbunden. Das schafft Höhe und ein angenehmes Raumgefühl.

Im Dach- und Schlafgeschoss fühlt man sich unter den vierseitig verglasten Dachgauben sehr wohl, genießt man freie Blicke über die Altstadt samt Kirchturm. Selbst eine nicht einsehbare Sauna fand auf der rückseitigen Loggia noch ihr Plätzchen.

Keine Frage, diese architektonische Maßarbeit provoziert, und zwar im besten Sinne. „Die Besichtigung des Hauses ist bereits Teil der Altstadtführung geworden“, erzählt Inge Zalenga lachend. Inzwischen ist ihr neues Zuhause auch mit dem renommierten Hugo-Häring-Preis ausgezeichnet und landete auf der Longlist des DAM-Preises 2025. Mut zur Lücke muss man eben haben.