Lu Jong sieht läppischer aus Foto: Judith A. Sägesser

Eigentlich hatte ich das Kapitel Yoga abgehakt. Bis zu dem Tag, an dem ich wissen wollte, was Lu Jong ist.

Schönberg - So fühlt sich also ein Kamel, das aufsteht. Ich liege auf dem Rücken, die Beine angezogen und umklammert, ich schaukele hin und her. Nach einer Weile soll ich mich aus der Kraft meiner Hüfte in die Sitzposition bringen. Das funktioniert so lala. Claudia Rentel schaut mir zu und sagt, irgendwann klappe das wie von selbst. „Wenn man die Übungen lange macht, kommt man in die Meditation, dann bin ich nur noch die Übung, das ist irre.“

Claudia Rentel heißt für uns einfach nur Claudia. „Wir duzen uns hier“, hat sie bei der Begrüßung gesagt. Sie will uns beibringen, wie das Kamel aufsteht und wie der Falke sich im Wind dreht. Willkommen beim Lu-Jong-Kurs, einem Heilyoga aus Tibet.

Vor der Praxis stehen ein paar Minuten Theorie. „Lu Jong ist sehr, sehr alt“, sagt Claudia Rentel. Die Bewegungskunst sei vor etwa 8000 Jahren entstanden, „im sogenannten Schneeland“. Die Menschen haben sich für die Übungen ein Beispiel an der Natur genommen, erklärt die Kursleiterin. Sie haben Tiere und Pflanzen beobachtet – und sie nachgeahmt. „Es geht darum, die Lebensströme im Körper zu aktivieren“, sagt Claudia Rentel. Nach anderthalb Stunden werden wir – wenn wir alles richtig machen – den Gemeindesaal der evangelischen Himmelfahrtskirche in Schönberg innerlich gereinigt verlassen.

Alle Emotionen sammeln sich im Bauch

Die Übungen sehen läppisch aus. Hier wird weder gehüpft noch gerannt. Die Bewegungen haben kein Tempo, sie sind in Zeitlupe. Wir stehen einfach da, die Hände in die Hüften gestemmt, den Kopf im Nacken. Dann soll der Oberkörper langsam nach vorne in die Waagrechte gebeugt werden, der Kopf ist die Verlängerung der Wirbelsäule. So trinkt die Wildgans Wasser. Als wir den Geier nachahmen, wie er nach seiner Beute greift, kann ich es kaum glauben: Mir läuft doch tatsächlich eine Schweißperle am Arm herab. Von wegen läppisch. Ich habe Lu Jong unterschätzt.

Nach jeder Übung ist Reinigung angesagt. Dann atmen wir den Abfall aus, den wir vorher mit den Bewegungen in unseren Bauch befördert haben. Dafür stehen wir gerade, atmen ein und stoßen die Luft mit einem lauten „Ha“ aus. „Im Bauch sammelt sich alles, was uns an Emotionen widerfährt“, sagt Claudia Rentel. Atmen ist ganz wichtig beim Lu Jong. Die Kursleiterin erinnert uns ständig daran. Zu Recht, denn immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich vor lauter Konzentration die Luft anhalte.

„Im Lu Jong geht es darum, immer nur so weit zu gehen, wie ich es gerade spüre“, sagt Claudia Rentel. Sie sagt es vor allem für einen Mann, der sich ein bisschen überfordert. Jedenfalls stöhnt er zwischendurch immer wieder auf. „Wir machen hier kein Harakiri, es soll uns gut tun.“

Nach einer halben Stunde Lu Jong kehrt bei mir langsam die innere Ruhe ein. Es ist lustig, sich wie eine durstige Wildgans zu fühlen oder wie ein Falke, der im Wind dreht. Die Alltagshektik verblasst. Als ich vor Jahren das letzte Mal beim Yoga war, bin ich vor lauter Entspannung eingeschlafen. Das fand ich blöd und habe das Kapitel deshalb abgehakt. Bis zu jenem Tag, an dem ich unbedingt verstehen wollte, was sich hinter Lu Jong verbirgt. Ich denke, ich werde dem Yoga eine zweite Chance geben.