Vor dem Amtsgericht Leonberg menschelt es nur all zu oft. Foto: by Helmut Anton Pangerl

Seit zehn Jahren ist Eberhard Loos ehrenamtlicher Schöffe am Leonberger Amtsgericht. Eine dritte Amtszeit tritt er nicht mehr an – hat aber viel mitgenommen.

Wenn es nach Eberhard Loos geht, dann laufen im Fernsehen zu viele Kriminalfilme. Eine Passion für das Genre war es also schon mal nicht, die den 69-Jährigen vor fast genau zehn Jahren dazu verleitete, sich für ein Ehrenamt als Schöffe zu bewerben. Stattdessen sind es die Menschen, die Loos reizen – und die Geschichten, die sie mitbringen, wenn sie auf den Bänken des Leonberger Amtsgerichts sitzen.

Zwölf Schöffen, ehrenamtliche Richter, sind am Leonberger Amtsgericht tätig. Immer zu zweit, gemeinsam mit einem Berufsrichter. Gewählt werden Schöffen, die keine juristische Erfahrung haben müssen, alle fünf Jahre. Eberhard Loos bewarb sich 2013, seit 2014 ist er als Laienrichter bei Prozessen um Vergehen dabei, die mit zwei bis vier Jahren Haft bestraft werden. Ob er nach diesen zehn Jahren denkt, dass jeder Mensch eine Straftat begehen kann? „Das habe ich mich oft gefragt“, sagt Loos. „Ich glaube schon.“

Welche Windungen des Lebens führen ins Amtsgericht?

Loos liest merklich viel, im Gespräch zitiert er immer wieder Autoren, berichtet von Werken, die ihm in Erinnerung geblieben sind. Da wäre etwa die Biografie von Uli Hoeneß. „Ich wollte wissen: Was ist das für ein Mensch? Wie tickt der?“ Oder Paul Auster, der das Leben als eine Aneinanderreihung von Weggabelungen beschreibt, an denen man sich immer wieder neu entscheiden muss. „Und je nachdem, wie ich mich entscheide, treffe ich andere Menschen, die mir guttun oder nicht, treffe glückliche finanzielle Entscheidungen oder nicht“, beschreibt Loos. Man könne sich schon vornehmen, ein rechtstreues Leben zu führen. Die Windungen des Lebens führen manchen aber doch in den Gerichtssaal.

Diese Lebensgeschichten der Menschen, auch wenn man sie nicht immer im Detail ausleuchten könne, sind es auch, die Loos bei seinen Entscheidungen als Schöffe leiten – besonders in Sachen Strafmaß. Bei rund der Hälfe aller Verhandlungen, bei denen er in den vergangenen zehn Jahren war, ging es um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Häufig seien die Angeklagten selbst drogenabhängig. „Wie kriegt man die wieder auf die Spur?“ Gewisse Auflagen könne man dann geben, etwa den regelmäßigen Besuch einer Drogenberatung, das Netz sei aber trotzdem nicht engmaschig genug geknüpft, findet Loos. Entscheiden können Laien- und Berufsrichter auch über Arbeitsstunden oder Geldauflagen zugunsten regionaler, sozialer Organisationen.

Es braucht Menschenkenntnis und Empathie

Worum genau es in einem bestimmten Fall geht, erfahren die Schöffen immer erst kurz vor Verhandlungsbeginn. Wo andere Prozessbeteiligte die Akten einsehen können, haben Schöffen keinen Zugriff. „Man muss sich dann in relativ kurzer Zeit in den Fall hineindenken“, erklärt Loos. Bei komplexen Fällen sei das manchmal ganz schön anspruchsvoll. Trotzdem: „Das Puzzle bildet sich in der ersten halben Stunde der Verhandlung“, sagt der Schöffe. Auch deshalb habe das Schöffenamt einen Anspruch an eine gewisse Menschenkenntnis. Auch Empathie brauche es, sagt Loos – gegenüber den Angeklagten, aber auch gegenüber den Geschädigten, die sich vielleicht nicht selbst im Gerichtssaal befinden.

Die meisten Fälle, so berichtet es Loos, seien an einem Verhandlungstag geklärt. Im Anschluss an die Verhandlung, bei der die Schöffen selbst Fragen stellen dürfen, beraten sich die Ehrenamtlichen mit dem Berufsrichter. 20 Minuten, maximal eine Stunde würde das dauern, so Loos. Eine ganz andere Meinung als der zweite Schöffe oder der Richter habe er aber bisher nie gehabt, obwohl die beiden Schöffen den Berufsrichter theoretisch überstimmen könnten.

Keine Lappalien, aber auch kein Mord und Totschlag

Manchmal, da trägt Loos die Verhandlungen auch noch ein paar Tage mit sich herum. „Was einen belastet, sind die Fälle, bei denen Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden.“ Einmal sei es etwa um einen Fall von Säuglingsverletzung gegangen, erinnert er sich. Anhören mussten sich die Anwesenden, welche Verletzungen der Säugling hatte. Das Baby hatte keine bleibenden Schäden. Aber der Hergang? „Krass“, sagt Loos.

Keine Lappalien seien die Vergehen, bei denen Schöffen herangezogen würden – aber auch keine großen Kriminalfälle. Mord und Totschlag, Bankraub, Veruntreuung in Millionenhöhe: All das fällt nicht in den Verantwortungsbereich eines Schöffen. Weitermachen, eine dritte Amtszeit absolvieren, würde Loos gerne. Weil er bei Amtsantritt zum Jahreswechsel 70 Jahre alt wäre, stößt er allerdings an die oberere Altersgrenze. „Für mich selber war es das richtige Ehrenamt“, sagt der Schöffe. „Aber bestimmt nicht für jeden.“ Was die neue Generation an Laienrichtern mitbringen müsse? „Ein Interesse an Menschen, an ihren Lebensläufen, an ihren Erfolgen und Fehltritten“, sagt Loos. Und die Empathie – die darf nicht fehlen.