Der Obstbauberater Andreas Siegele verfügt über Entertainer-Qualitäten. Foto: Frommer

Eine Schnittunterweisung mit Andreas Siegele im Lehrgarten des Obst- und Gartenbauvereins Vaihingen hat hohen Unterhaltungswert. Der Obstbauberater nimmt dabie kein Blatt vor den Mund.

Vaihingen - Der Mann hat Entertainer-Qualitäten und Hände wie Schraubzwingen: Stuttgarts Obstbauberater Andreas Siegele nutzt am Baum selten eine Schere; Wasserschösslinge rupft er einfach aus. „Anfangs“, erzählt der 49-Jährige mit breitem Lächeln, „gab das hier regelmäßig einen Riesen-Aufschrei“. Aber der gebürtige Karlsruher weiß „seine“ schwäbischen Obstgärtner längst zu nehmen. „Der Baum hat nur Interesse an Kernen, sprich: an seinen Nachkommen; der Apfel drum herum ist ihm gleich!“. Sein lakonischer Humor kommt an: Beim Obst- und Gartenbauverein Stuttgart-Vaihingen im Gewann Honigwiesen umringt ihn ein Kreis von gut 60 Zuhörern bei einer Schnittunterweisung an den Halbstämmen eines „Brettacher Sämlings“ (robuste Apfelsorte) und eines „Stuttgarter Geißhirtle“ (Sommerbirne). Manche staunen mit offenstehendem Mund.

Siegele: Nur Früchten mit vielen Kernen voll versorgt

Der Schalk mag dem bärtigen Obstbauberater im Nacken sitzen, doch alles was er mit Nachdruck sagt, leuchtet sofort ein: „Kulturpflanzen haben immer einen gewissen Pflegebedarf. Zu viele Früchte bedeuten zu wenige Blätter. Zucker und Aroma werden aber in den Blättern produziert.“ Normalerweise erfolge im Juni ein Abwurf kranker oder kernloser Früchte. In diesem Jahr müsse man aber nachhelfen und die kleineren Früchte abschneiden. „Am Ende hat man – so oder so – den gleichen Kiloertrag“, sagt Siegele. Um das Gesagte zu unterfüttern, schneidet er eine klein gebliebene Geißhirtenbirne ab und durchtrennt die Frucht mittig, auf Höhe ihres Kerngehäuses: drei, höchstens vier dunkle Kerne kommen jetzt zum Vorschein. „Nur Früchte mit vielen Kernen werden voll versorgt“, betont Siegele und ergänzt: „Dieses Jahr hängt der Baum zu voll. Übernimmt er sich mit dem Ertrag, wird er im nächsten Jahr eine Auszeit nehmen.“ Das Schneiden verfolge grundsätzlich das Ziel des gleichmäßigen Ertrags. Gerade der Sommerschnitt soll das Wachstum verbessern: „Entfernt man die Wasserschösslinge im Sommer, muss man’s im Winter nicht mehr machen – und hat im nächsten Sommer nicht zwei.“ Und er reicht noch nach: „Läuse hocken immer an weichem Gewebe. Also weg mit dem Wasserschoss, dann sind die Läuse auch gleich weg.“

Verein sorgt sich wegen Mitgliederschwund

Beim Obst- und Gartenbau-Verein (OGV) Stuttgart-Vaihingen weiß man, was man an Siegele hat: Richard Mochel (72), bis März Schriftführer des im Krisenjahr 1901 im Vaihingen Gasthaus „Löwen“ von Selbstversorgern gegründeten Vereins, weiß um Andreas Siegeles Grundsatz: „Bei Obstbäumen ist der Ertrag das alleine Ausschlaggebende.“ Er erinnert sich: „Was wir früher zur Optik von Obstbäumen gelehrt bekamen, ist heute zweitrangig. Auch das behände Ausrupfen von Sommertrieben hat einen guten Grund: Es geht schneller und Zeit ist Geld.“

Mochel ist glücklich, dass die Lage des Vaihinger Vereinslehrgartens zumindest bis 2016 vom Kreisliegenschaftsamt garantiert scheint. Sorgen bereitet ihm aber der anhaltende Mitgliederschwund: „Ältere Mitglieder versuchen ihre Enkel anzumelden. Das klappt zwei bis drei Jahre, dann sterben Opa oder Oma, die den Mitgliedbeitrag bezahlt haben, und dann sind die Jungen schnell wieder weg.“ 133 Mitglieder zählt der OGV heute, beim 100-Jahr-Jubiläum, 2001, waren es noch ungefähr 160. Hohe Aufmerksamkeit erfahren aber regelmäßig die vom OGV angebotenen Fortbildungsveranstaltungen. Zur kostenlosen Sommerschnittunterweisung betont Mochel: „Zwei Drittel der Zuhörerinnen und Zuhörer kam diesmal von auswärts; Interesse haben also nicht nur Vereinsmitgliedern aus dem Raum Vaihingen.“