Niemals ohne Helm: Wer auf einem E-Bike unterwegs ist, hat bei einem Unfall ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Foto: Kraufmann

Der Bestand an Pedelecs und E-Bikes ist in Deutschland von 2011 auf 2012 um 44 Prozent auf rund 1,3 Millionen Stück angestiegen. Noch schneller wuchs die Zahl der Unfälle.

Stuttgart - Der Autofahrer hatte die Frau auf dem Fahrrad gesehen. Er war sich sicher, dass er rechtzeitig vor der Radlerin die Straße queren würde. Was er auf die Ferne nicht erkannte: Die Frau saß auf einem Pedelec und kam viel schneller voran, als es der Mann hinterm Steuer der Limousine erwartet hatte. Als er bremste, war es zu spät.

Nach Ansicht von Rainer Hillgärtner, dem Sprecher des Auto Clubs Europa (ACE), ein typischer Fall. „Offenbar rechnen viele Autofahrer nicht mit der schnellen Fortbewegung der Zweiräder, die von weitem wie gewöhnliche Fahrräder wirken.“ Bei den Kollisionen mit E-Bikes sind auffallend häufig Vorfahrtsverletzungen durch andere Verkehrsteilnehmer die Ursache. Bei den durch Pedelec-Fahrer herbeigeführten Unfällen ist nicht angepasste Geschwindigkeit der Hauptgrund. So sind Fahrer von Pedelecs laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) im Durchschnitt schneller unterwegs als Radfahrer, doch die meisten nutzen die Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h nicht aus: Mehr als die Hälfte fährt laut einer Studie zwischen 15 und 20 km/h. Bei Unfällen ohne Beteiligung Dritter verursacht laut ADFC besonders oft falsches oder zu starkes Bremsen den Sturz.

Wer auf einem der modernen Elektroräder fährt, setzt sich einem erhöhten Verletzungsrisiko aus. Diesen Schluss zieht der ACE aufgrund einer Erhebung des Stuttgarter Innenministeriums. Demnach verunglücken Pedelec-Fahrer zwar vergleichsweise seltener als gewöhnliche Radfahrer. Aber die Unfallfolgen wiegen deutlich schwerer. Das Risiko, bei einem Pedelec-Unfall ums Leben zu kommen, ist viermal höher.

Technisch mangelhafte Pedelecs

Seit 2010 weist das Innenministerium die Unfälle von Elektrorädern separat aus. Im ersten Jahr musste kein Toter verzeichnet werden, 2011 schon zwei und 2012 bereits drei. Zudem zogen sich etwa 25 Prozent aller an Unfällen beteiligten Radfahrer, jedoch mehr als 37 Prozent der beteiligten Pedelec-Fahrer 2012 schwere Verletzungen zu.

Der Bestand an Pedelecs und E-Bikes wächst in Deutschland seit Jahren. 2011 waren es 900 000. Ein Jahr später bereits 1,3 Millionen. Die Zahl der Unfälle steigt noch rasanter. 2012 erreichte sie in Baden-Württemberg einen Höchststand von 160. Dies entspricht einer Zuwachsrate von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Von den 292 seit dem Jahr 2010 in Baden-Württemberg aufgenommenen Unfällen mit Pedelecs wurden drei durch Mängel an den Bremsen oder am Lenker verursacht. In Nordrhein-Westfalen (NRW) und in Niedersachsen haben sich Unfälle aufgrund technischer Mängel bei Pedelecs nach Angaben des Düsseldorfer Sozialministeriums zuletzt gehäuft. Seit Herbst 2012 befassen sich die dortigen Arbeitsschutzbehörden deshalb intensiv mit Fahrrädern mit Hilfsmotor. Viele Hersteller und Importeure kommen aus NRW oder Niedersachsen. Bei den Tests in den vergangenen Monaten kamen zum Teil alarmierende Ergebnisse heraus. „Technisch mangelhafte Pedelecs sind eine Gefahr für die Gesundheit und müssen aus dem Verkehr gezogen werden“, sagt NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider.

Stichprobenweise Überprüfungen

Die Ergebnisse der Behörden wurden auch von der Stiftung Warentest bestätigt. Bis November 2013 gibt es nun stichprobenweise Überprüfungen bei Herstellern, Händlern und Importeuren. Die Bezirksregierung Köln hat Ende Mai erste Pedelecs wegen technischer Mängel zurückgerufen.

Die Arbeitsschützer in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben inzwischen ein sogenanntes Marktüberwachungsinstrument – eine Checkliste für die Prüfer – und ein Verfahren zur Erarbeitung einer „Pedelec-Norm“ auf den Weg gebracht. Diese soll künftig Mängel verhindern und für mehr Verbrauchersicherheit sorgen. Der ACE fordert, „die Sicherheitstauglichkeit der Räder bundesweit flächendeckend und systematisch zu kontrollieren“.