Wer Waren in den ­Einkaufswagen legt, wird zum Besitzer. Ein anderer Kunde darf sie nicht einfach wegnehmen. Foto: Fotolia

Der Fall um die aus dem Ruder gelaufene Schnäppchenjagd bei Ikea ist juristisch geklärt. Verloren hat ihn die Rentnerin, die einem anderen Kunden den vollgepackten Einkaufswagen einfach weggenommen hatte.

Sindelfingen/Stuttgart - Ein besonders günstiger Backofen im schwedischen Einrichtungshaus in Sindelfingen bescherte einem 48-jährigen Kunden vor genau drei Monaten ein besonderes Einkaufserlebnis. Eine Rentnerin schnappte sich seinen Einkaufswagen mit dem Superschnäppchen in einem unbeobachteten Moment und ging damit zur Ikea-Kasse. Der Mann eilte hinterher und entriss der 67-Jährigen den Wagen. Dabei wurde die Frau leicht an einem Finger verletzt. Sie schrie Zeter und Mordio, verlangte nach der Polizei und zeigte den Mann wegen Körperverletzung an. Wird der 48-Jährige dafür bestraft, dass er um sein Schnäppchen gekämpft hat? Nein. „Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt“, sagt jetzt Claudia Krauth, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart, unserer Zeitung. Begründung: „Die Tat des Mannes war gerechtfertigt.“

Die Alltagsgeschichte, die sich am 23. Januar bei Ikea in Sindelfingen abgespielt hat, ist juristisch durchaus interessant. Mit dem Strafgesetzbuch (StGB) ist ihr jedenfalls nicht beizukommen. Gestohlen hat die Rentnerin den Backofen ja nicht. Diebstahl wäre es dann gewesen, wenn sie dem Mann dessen Eigentum weggenommen hätte. Doch der 48-Jährige hatte den Backofen noch nicht bezahlt, war also auch nicht Eigentümer.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat in diesem Fall das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) herangezogen. Und daraus die Paragrafen 858 und 859, in denen es um verbotene Eigenmacht und Selbsthilfe des Besitzers geht. Doch was genau ist an jenem 23. Januar, einem Mittwoch, bei Ikea geschehen?

Einen Einkaufswagen darf man nicht einfach wegnehmen

Das schwedische Einrichtungshaus an der Hanns-Martin-Schleyer-Straße in Sindelfingen lockte in dieser Zeit Kunden mit Knut-Schnäppchen. Im Angebot waren unter anderem Backöfen für 199 Euro. Doch es ging noch günstiger. In der Fundgrube gab es im Preis noch weiter herabgesetzte Ausstellungsstücke. Hier wurde der 48-Jährige fündig. Er ergatterte ein Einzelstück, einen Backofen für 139 Euro. Das Superschnäppchen wanderte in den Einkaufswagen. Damit war er zum Besitzer geworden.

Im Wagen befanden sich noch andere Einkäufe. Und auf dem Backofen lagen Regalbretter. Der Mann ging aber noch nicht zur Kasse, sondern ließ den Wagen stehen. Er brauchte noch die Bedienungsanleitung für den Backofen. Dafür musste er ein ordentliches Stück Weg bis zur Fachabteilung gehen.

Als er zurückkam, war sein Wagen weg. Dort, wo er gestanden war, lagen die Einkäufe auf dem Boden. Der supergünstige Backofen war freilich nicht dabei. Den suchte und fand der 48-Jährige an der Kasse. Die Rentnerin hatte ihn sich geschnappt. Das hätte sie nicht tun dürfen. „Die Frau handelte in verbotener Eigenmacht“, erklärt die Stuttgarter Staatsanwältin Krauth.

In Paragraf 858 BGB heißt es unter der Überschrift „Verbotene Eigenmacht“: „Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder Störung gestattet, widerrechtlich.“

Ohne Schnäppchen nach Hause

An der Kasse kam es zwischen den beiden aus Stuttgart angereisten Schnäppchenjägern zu einem heftigen Disput. Der 48-Jährige griff zu seinem Einkaufswagen, riss ihn an sich. „Der Mann hat die Frau auf frischer Tat bei verbotener Eigenmacht angetroffen“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Er habe ihr den Wagen abgenommen und sie dabei versehentlich leicht an einem Finger verletzt. Der wegen Körperverletzung angezeigte 48-Jährige habe vom „Selbsthilferecht Gebrauch gemacht und damit nicht rechtswidrig gehandelt“, sagt Claudia Krauth.

In Paragraf 859 BGB heißt es unter der Überschrift „Selbsthilfe des Besitzers“ in Absatz zwei: „Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen.“

Der Fall ist abgeschlossen. Gegen die 67-Jährige läuft kein Verfahren. Sie wurde nicht angezeigt. Den Backofen für 139 Euro hatte sie damals nicht mit nach Hause genommen. Der Mann aber auch nicht. Beiden war nach der Auseinandersetzung mit Polizeieinsatz offenbar der Spaß an dem günstigen Einkauf gründlich verdorben gewesen. Sie verließen Ikea ohne das Schnäppchen.