Klicken Sie sich durch Impressionen aus dem Schlossgarten Quelle: Unbekannt

Drehort und Pilgerstätte: Ein Spaziergang durch den zurzeit bekanntesten Park Deutschlands.

Stuttgart - Früher war der Mittlere Schlossgarten ein Park. Heute ist er Drehort, Touristenziel, Pilgerstätte, Widerstandscamp. Menschen strömen aus unterschiedlichen Gründen dorthin, aber viele eint das Gefühl, bei etwas Besonderem dabei zu sein. Ein Spaziergang durch den derzeit bekanntesten Park Deutschlands.

Auf der Königstraße wuseln die Menschen durcheinander. Es ist ein gewöhnlicher Nachmittag unter der Woche mit all seinem Trubel. Die Sonne scheint, rund um den Hauptbahnhof fließt der Verkehr. In der Klett-Passage kaufen Studenten Semestertickets für die Stadtbahn. Noch ein paar Schritte - und man betritt eine andere Welt.


Seit Jahrzehnten vertraut ist er, der Mittlere Schlossgarten. Und doch seit ein paar Wochen so vollkommen verändert. Menschen mit Kameras an allen Ecken. Die Atmosphäre hat beinahe etwas Festliches. Die Besucher, weshalb auch immer sie hergekommen sind, schauen sich an und scheinen sich gegenseitig zu versichern: Wir sind hier im zurzeit berühmtesten Park der Republik. Wir sind dabei.

Die Bäume sind durchnummeriert

Der Bauzaun, hinter dem die Anlage für das Grundwasser-Management für das Projekt Stuttgart 21 eingerichtet wird, ist von Menschen belagert. Sie lesen die vielen Zettel, die Demonstranten hier aufgehängt haben. Wo bis vor kurzem noch Bäume standen, ist kaum ein Bauarbeiter zu sehen. Spricht man einen der wenigen an, winkt er sofort ab. Kein Kommentar.

Im ganzen Park trifft man auf keinen einzigen Polizisten. Die Staatsmacht hat sich vollkommen zurückgezogen und überlässt den Schlossgarten den Demonstranten, Touristen und Schaulustigen. Und den Kamerateams. "Wir sind vom ZDF", sagt eine blonde junge Frau, "wir drehen hier für die Kultursendung Aspekte einen Bericht über neue soziale Strömungen." Morgens mit dem Flieger aus Berlin hergekommen, abends geht's zurück. Für einen Tag mit dabei im Schlossgarten.

Die Bäume sind durchnummeriert und geschmückt. An vielen hängen Friedensfahnen in Regenbogenfarben. Baum Nummer 282 ist komplett mit Plüschtieren umwickelt, sein Nachbar mit lackierten CDs. An einem anderen ist ein Zettel befestigt. "Hallo, ich bin ein Pflastanienbaum", steht darauf. Wo Minister Steine fliegen sehen, entstehen blitzschnell neue Baumarten.

"Das wird Stuttgart verändern"

Vom einstigen Rasen ist nicht mehr viel übrig. Wo der Boden von Wasserwerfern und Demonstrationen zu sehr ramponiert ist, liegt ein bisschen Stroh. Es riecht wie auf dem Schaubauernhof der Wilhelma.

Eine Frau aus Neckartailfingen hat den Stuttgart-Besuch zu einer Stippvisite genutzt. Sie steht staunend auf der Wiese und begutachtet die Baumhäuser der Robin-Wood-Aktivisten. "Über so was würden sich meine Enkel freuen", sagt sie und lacht. Einen solchen Protest habe sie noch nie gesehen. "Aber bringen wird der nichts", sagt sie und wirkt zugleich fasziniert und verständnislos. Ihren Namen nennen will sie nicht, wie so viele hier. Die Auseinandersetzungen haben vorsichtig gemacht.

"Das wird Stuttgart verändern"

Im Biergarten blinzeln die Gäste in die Sonne. Als Sonderangebot gibt es das halbe Hähnchen für fünf Euro. Neulich haben die Bierbänke hier noch als Schutz gegen den Wasserstrahl gedient. "Der Schaden ist überschaubar", sagt Betreiberin Sonja Merz. Sie kann ansonsten gut mit der Pilgerstätte vor der Haustür leben, nicht nur, weil ihr Biergarten nicht wird weichen müssen, wie manche Gäste befürchten. "Die Lage ist entspannt. Es kommen unheimlich viele Baustellentouristen. Wir profitieren gerade nicht nur vom schönen Wetter, sondern auch von den Ereignissen", sagt Merz.

Auf der anderen Seite der Wiese ist eine kleine Zeltstadt entstanden. So mancher stört sich an dem Anblick, auch die Stadt. Deshalb hat sie Zelte dort verboten. "Wir haben jetzt zeltähnliche Gestelle aus Planen und Schirmen", bemüht ein Parkschützer Behördendeutsch und schmunzelt. Rund 50 Demonstranten, schätzt eine Parkschützerin, übernachten in wechselnder Besetzung im Schlossgarten. Inzwischen gibt es für sie eine Versorgungsstation samt Spültheke. "Das Angebot fängt beim Kaffee an und hört beim Seelentröster auf", sagt die Frau. "Es menschelt im Park, es entstehen Freundschaften, Liebschaften, Feindschaften."

Heiner Geißler als Vermittler halten fast alle hier für einen kompetenten Mann. Ob er etwas bewirken kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Zunehmend gebe es auch Diskussionen mit Projektbefürwortern. Allerdings komme es oft zu Provokationen. "Wir sind keine Berufsdemonstranten, viele müssen zur Arbeit", sagt die Frau deshalb. Und: "Egal, wie diese Geschichte ausgeht - das hier wird Stuttgart verändern."

"In zwanzig Jahren finden alle alles toll"

Einige Meter weiter betreten ein paar der Aktivisten aus den Baumhäusern gerade festen Boden. "Auf den Plattformen haben wir Isomatten ausgelegt und nutzen nachts zwei Schlafsäcke", erzählt Peter. Er kommt aus Köln und sagt: "Stuttgart 21 ist nicht nur ein regionales Projekt, deshalb bin ich hier." Bezahlt werde man dafür nicht, wie manche vermuteten. Und durchhalten könne man auch, wenn es bald Frost gibt.

Eine vielgestaltige Truppe bevölkert den Schlossgarten. Während links unter einer Flagge mit Hammer und Sichel zur Revolution aufgerufen wird, steht rechts ein Amerikaner und filmt das Geschehen. "Roy aus Virginia", stellt er sich vor. Auf Deutschland-Tour habe er die Bilder aus Stuttgart gesehen und jetzt kurzerhand dem Besuch im Mercedes-Museum einen im Park hinzugefügt. "Crazy" finde er, was hier passiert, verrückt. Er verstehe nicht, warum sich die Leute weigerten, eine Milliardeninvestition in ihre Region anzunehmen.

"In zwanzig Jahren finden alle alles toll"

Damit ist er an diesem Nachmittag nicht allein. Nur wenige hundert Meter vom Widerstandscamp entfernt lassen sich die Schachspieler ungern stören. "Die Meinungen hier gehen auseinander", sagt schließlich einer und stellt den Springer ab. Aber von den Demonstranten im Park halten die meisten nicht viel. "90 Prozent von denen haben keine Ahnung, worum es bei dem Projekt überhaupt geht", sagt er und erntet Kopfnicken. "Wenn man sich immer gegen alles sperren würde, wären wir heute noch im Mittelalter. Und in zwanzig Jahren finden alle alles toll." Doch sicher sei auch: "Die Bahn müsste viel besser informieren."

Zurück geht es am Bauzaun entlang, wo noch immer die Kameras klicken. Auf der Königstraße geht das Leben seinen gewohnten Gang. Ganz so, als liege nicht direkt nebenan Deutschlands bekanntester Park.