Vom Trauermarsch zur Polka, von der Volksmusik zur klassischen Musik: Die Osttiroler Musicbanda Franui Foto: Christoph Hitsch

„Wir dürfen die Volksmusik nicht Karl Moik überlassen“, fordert Thomas Wördehoff, der Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele – und lädt immer wieder Musiker wie Franui und das Taksim Trio ein, die kreativ mit Traditionen ihrer Herkunftsländer umgehen.

Ludwigsburg - Abend eins in der Ludwigsburger Karlskaserne. Drei Männer sitzen auf der Bühne: rechts ein Klarinettist, in der Mitte einer mit einem lautenähnlichen Instrument; auf den Knien des Mannes ganz links liegt ein trapezförmiger Saitenkasten, der einer Zither ähnelt. Die Zither heißt Kanun, wird mit Plektren gezupft, die Laute ist eine Baglama und genießt in Deutschland mittlerweile eine so große Popularität, dass junge Leute mit ihr zuletzt sogar beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ antreten durften.

Das Taksim Trio spielt traditionelle türkische Musik: schwebende, reichlich verzierte Melodien, von denen der türkische Teil des Publikums einige leise mitsingt, dazu oft rasch und auf vertrackte Weise wechselnde Rhythmen. Dabei bleibt es aber nicht. Die Musik des Taksim Trios wechselt rasch ihr Gesicht. Unvermittelt kann sie nach Flamenco klingen, urplötzlich lässt der Klarinettist Hüsnü Senlendirici sein Instrument so wohlig und tänzerisch klagen, wie man das sonst nur bei Klezmer-Musik hören kann, und es kann zwischendurch auch passieren, dass das Miteinander ganz im Geiste des gefestigten Improvisierens im Jazz geschieht.

Dabei sorgen Aytac Dogan am Kanun und Ismail Tuncbilek an der Baglama für blitzsaubere gemeinsame Aktionen. Die Übergänge zwischen den Stilen sind nahtlos, und manchmal gibt es sie gar nicht, weil die Musik alles zusammenbringt.

Die Wurzeln sind da, der Rest stellt sich her

Die Ohren des Publikums wandeln durch diese Musik hindurch wie im Traum – ganz gleich, ob sie nun an einem türkischen Schädel befestigt sind oder an einem deutschen. Die Wurzeln sind da, der Rest stellt sich her. Der Weg ist das Ziel. Kreativ mit Volksmusik umzugehen ist für das Taksim Trio eine ständige Herausforderung. Ein Imperativ. Ruht euch nicht aus! Bleibt beweglich! Schaut euch um! Wer mit diesen Forderungen lebt, definiert bei jedem Auftritt und gemeinsam mit jedem Publikum das neu, was sich Volksmusik nennt und was als solche eigentlich immer mit einer speziellen Regionalkultur verbunden ist, bis am Ende eine Art reflektierte Welt-Volksmusik dabei herauskommt.

Cross-over im Sinne weichgespülter Konturen ist die Musik des Taksim Trios keinesfalls. Und ein bisschen ist hier auch jenes Geben und Nehmen wieder da zwischen Aktiven und Passiven, Musikern und Zuhörern, das ursprünglich einmal zum Wesen dessen gehörte, was erst im 19. Jahrhundert den Namen Volksmusik erhielt – und nach der Vereinnahmung des Volkstümlichen in Hitler-Deutschland heute hierzulande als „volkstümliche Musik“ zum betulichen Schunkel-Pop verkommen ist.

„Volksmusik ist nicht nur morsche Erinnerung“, sagt Schlossfestspiel-Intendant Thomas Wördehoff, „wir müssen sie in den Alltag schmeißen.“ Und: „Ja, es gibt ein Leben jenseits von Florian Silbereisen!“

Von traditionellen Trauermärschen hin zu Schubert und Bartók

Abend zwei in der Karlskaserne. Die Osttiroler Musicbanda Franui bewegt sich in ihrem Programm „Tanz Boden Stücke“ von traditionellen Trauermärschen hin zu Schubert und zu Béla Bartók, die sich volksmusikalischer (Tanz-)Formen bedienten. Das Ergebnis der Wurzelbehandlung, die Franui der sogenannten klassischen Musik angedeihen lassen, ist hochreflektiert: Zu erleben sind nicht nur Ausläufer alpenländischer Bläser-Folklore, sondern immer wieder auch Musik über Musik.

Die ergibt sich, indem die zehn Musiker gemeinsam mit ihrem Gast Wolfgang Mitterer am (verspielt) präparierten Klavier Vokabular, Reaktionsmuster und Aufführungstradition der Klassik nicht nur aufnehmen und variieren, sondern oft auf hinterfotzige Weise ironisieren. „Wie der Bauer zur Kultur kam“ heißt etwa ein Stück, das Teile von Schuberts zweitem Impromptu auf kreative Weise in deren Herkunftsland zurückbringt, und im „Menuett mit Dirndl“ wird die Kakofonie der Tänze in Mozarts „Don Giovanni“ einfach noch ein bisschen weitergetrieben.

Das alles begleitet Ensembleleiter Andreas Schett als Moderator mit einem trockenen Humor, der immer wieder das Absurde streift. Vielleicht muss das in einem Ensemble so sein, das aus einem kleinen Osttiroler Dorf mit dem knorzigen Namen Innervillgraten stammt. „Etwas ist überall“, zitiert Schett den Wirt des dortigen Gasthofs Raiffeisen, „und nichts ist nirgends.“ Ein langer Seufzer. Tja. „Früher haben wir uns Gedanken gemacht. Heut nimmer.“

Konzert-Tipp zum Thema Volksmusik: Trio Alma (Österreich), 3. Juli, 20 Uhr, Scala Ludwigsburg