Falsche Adresse für Flüchtlinge – den Schleusern war’s offenbar egal. Sie haben 30 Iraker vor dem Hotel am Schlossgarten abgesetzt. Foto: Peter Petsch

Die Bundespolizei hat in den letzten Monaten deutlich weniger Flüchtlinge in Zügen auf dem Weg nach Stuttgart angetroffen. Dafür bekommt es die Polizei mit größeren Gruppen auf verschlungenen Pfaden zu tun.

Stuttgart - Warum nicht ein Fünf-Sterne-Hotel? Dreist haben unbekannte Schleuser 30 Flüchtlinge, darunter 19 Kinder, vor dem Hotel am Schlossgarten in der Innenstadt abgesetzt – und die Menschen sich selbst überlassen. Der Fall, der sich am Sonntag gegen 22 Uhr abspielte, wirft nunmehr die Frage auf: Haben die Schleuser ihre Taktik geändert? Offenbar transportierten sie die Flüchtlinge mit Fahrzeugen direkt in die Innenstadt. Früher kamen größere Gruppen eher mit Zügen im Hauptbahnhof an. Die Stuttgarter Polizei wie auch die Bundespolizei kümmerten sich in der Nacht zum Montag um die Unterbringung der Gestrandeten im alten Postgebäude beim Hauptbahnhof.

Hatten sich die Schleuser einen schlechten Scherz erlaubt? Die Hoteldirektion mochte die Vorgänge vom späten Sonntagabend „nicht kommentieren“, hieß es auf Anfrage. Zehn Erwachsene, ein Jugendlicher und 19 Kinder aus dem Irak waren jedenfalls vor dem Luxushotel an der Schillerstraße an der falschen Adresse.

Eine Mutter und ihr Kind müssen ins Krankenhaus

Zum Glück hat die Bundespolizei noch die Räume im alten Postgebäude im Hauptbahnhof, ausgestattet mit Liegen und Getränken. Eine Dolmetscherin und eine Bereitschaftsärztin kamen dazu. Neun Betroffene waren in einem schlechten Gesundheitszustand, eine Mutter und ihr einjähriges Kind mussten ins Krankenhaus. Die anderen fuhren am Montag mit der Bahn zur Erstaufnahmestelle nach Karlsruhe weiter.

Größere Gruppen von Flüchtlingen waren in Stuttgart schon lange nicht mehr angekommen. „Seit den Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze ging das deutlich zurück“, sagt Jonas Große, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Stuttgart. Waren es einst über hundert Flüchtlinge, die an manchen Tagen in Zügen in der Landeshauptstadt ankamen, so seien es derzeit nicht mehr als zehn. „Jetzt rollen die Züge eben nicht mehr einfach ohne Kontrolle durch“, sagt Große.

Die Entwicklung spiegelt sich in den Statistiken der Bundespolizei deutlich wider. Die ist dann zuständig, wenn Flüchtlinge auf Bahngelände angetroffen werden und nicht länger als 48 Stunden in Deutschland sind. Waren es im September noch 1638 Menschen auf der Flucht, die in Stuttgart aufgegriffen wurden, so ging diese Zahl im Oktober auf 617 zurück, im November auf 425. „Am deutlichsten ist diese Entwicklung im Dezember“, sagt Bundespolizeisprecher Große. Bis zum Sonntag waren es lediglich 66 Personen.

In diesem Jahr bisher 88 Schleuser im Land gefasst

Bisher ging man bei der Bundespolizei davon aus, dass die Schleuser vorsichtig geworden sind und oft nicht mehr bis nach Deutschland mitreisen. Sie überlassen die Flüchtlinge auf dem letzten Abschnitt ihres Weges meist sich selbst. Denn seit die Behörden vor zwei Jahren begonnen haben, verstärkt Jagd auf die Kriminellen zu machen, die die Not der Flüchtlinge schamlos ausnutzen, gingen ihnen reihenweise Leute ins Netz. Waren es 2013 noch 80 Schleuser, die die Bundespolizei in Baden-Württemberg festgenommen hat, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 138. In diesem Jahr sind es bis Ende November 88 gewesen. „Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, Schleuser zu erwischen und die Organisationen dahinter aufzudecken“, sagt Cora Thiele von der Bundespolizeidirektion Stuttgart. Also tauchen Flüchtlinge meist ohne ihre Schleuser auf.

Nun aber geben größere Gruppen Rätsel auf. Denn die 30-köpfige irakische Gruppe vom Sonntag war nicht die einzige in den letzten Tagen. 35 Flüchtlinge, darunter elf Kinder, waren am vergangenen Mittwoch in einem Zug von Heidelberg nach Stuttgart aufgefallen. Die irakischen Familien sollen am Vortag über Österreich eingereist sein – in einem Zug von Salzburg nach Kiefersfelden. Jedoch wurden sie weder in den Aufnahmestellen in München noch in Rosenheim registriert. Als sie in dem Zug von Heidelberg nach Stuttgart aufgegriffen wurden, hatten sie keine Papiere dabei. Warum die Flüchtlinge den Umweg über Heidelberg nahmen, kann sich die Bundespolizei ebenfalls nicht erklären. Das ist so rätselhaft wie die Reise zum Fünf-Sterne-Hotel.

Hintergrund: Flüchtlingsunterbringung

Bis Ende November sind rund 162.000 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen. Einige Tausend sind in andere Bundesländer verlegt worden, mutmaßlich Zehntausende unregistriert auf eigene Faust weitergezogen, doch der Großteil ist im Land geblieben. In den vergangenen Wochen sind die Zugänge insgesamt etwas weniger geworden, sie schwanken aber stark. Am vergangenen Wochenende sind insgesamt 1071 Menschen nach Baden-Württemberg gekommen.

In Stuttgart sind bis einschließlich Donnerstag vergangener Woche 6778 Flüchtlinge untergekommen. Die Stadt will sie möglichst dezentral unterbringen, was inzwischen aber nicht mehr gelingt. So werden seit einigen Wochen fünf Turnhallen und jetzt auch Nebenräume der Schleyerhalle genutzt. Im Januar will die Verwaltung eine sechste Tranche mit Standorten für weitere Systembauten und Container vorschlagen. Zusätzlich gibt es mehrere Notquartiere des Landes, etwa das Zeltlager im Reitstadion auf dem Cannstatter Wasen. Die Landesmesse ist dagegen seit wenigen Tagen geräumt und steht vorerst nicht mehr als Unterkunft zur Verfügung.