Ästhetisch oder ärgerlich? Im Norden ist die Windkraft nicht unumstritten. Foto: dpa

Welche Partei auch nach der Wahl in Kiel regieren wird: Die stürmischen Zeiten beim Aufbau von Windenergieanlagen sind vorbei. Die Bürger sind verdrossen über die Verspargelung der Landschaft – und ein Gericht tritt auf die Bremse.

Kiel - Die Klage der Bürgerinitiativen „Gegenwind“ und „Mensch und Natur“ in Schleswig-Holstein liest sich wie eine Bedrohung der Existenz: „Überall in unserem Lande sprießen monströse Windkraftanlagen aus dem Boden. Genehmigt und gerechtfertigt durch alte Verordnungen und Messmethoden rücken diese Windkraftanlagen immer dichter an unsere Wohnungen heran und zerstören unseren Lebensraum.“ Nur drei Tage vor der Kieler Landtagswahl am Sonntag hatten die Initiativen von 14 000 Unterschriften berichtet, die sie für größere Abstände zwischen Windkraftanlagen und Häusern sowie „für die Durchsetzung des Bürgerwillens bei der Regionalplanung Wind“ gesammelt haben.

Fast ganz Schleswig-Holstein gilt im bundesweiten Vergleich als windstark, fast über all herrschten Windgeschwindigkeiten über sechs Meter pro Sekunde, teilt das Umweltministerium in Kiel mit: „Deshalb ist fast jeder Standort bei uns deutlich besser für Windkraftanlagen geeignet als zum Beispiel in Bayern.“ Konsequent hatte die seit 2012 regierende Koalition von SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) den Ausbau der Windkraft betrieben, und die „Frankfurter Zeitung“ hat den mit 2,8 Millionen Einwohnern relativ dünn besiedelten Flächenstaat einmal als „Energiewendestreber“ bezeichnet.

Die Windenergie gilt in Schleswig-Holstein als Jobmotor

In der Tat scheint das Land zwischen den beiden Meeren beim Netzausbau sowie beim Aufbau oder besser gesagt beim Ausbau (Repowering) von Windkraftanlagen seine Hausaufgaben gemacht zu haben: Die Westküstenleitung, die viele Engpässe lösen wird, soll 2019 fertiggestellt sein, die Ostküstenleitung 2021. Mit den Genehmigungsverfahren und dem Bau der Anlagen stünden die Netze in Schleswig-Holstein also „rechtzeitig“ zur Verfügung, sagt Umweltminister Robert Habeck (Grüne). In den vergangenen fünf Jahren sei in acht Planfeststellungsbeschlüssen Baurecht für 283 Leitungskilometer an Stromtrassen geschaffen worden, das sei gut die Hälfte dessen was in den nächsten Jahren vermutlich an Höchstspannungsleitungen im Land neu gebaut werde, sagt Habeck: „Damit sind wir im Bundesvergleich vorn.“

Der Grüne sieht es persönlich als einen seiner Erfolge im Ministeramt an, sich „mit der Kritik am Bau der Trassen“ auseinandergesetzt und dabei ein Ergebnis erzielt zu haben: „Der Widerstand ist Lösungen gewichen.“

Windkraft als Jobmotor

Für das Land gilt die Windkraft mittlerweile als Jobmotor, rund 18 400 Arbeitsplätze hängen mittlerweile am Installation, Betrieb und Wartung der erneuerbare Energie herstellenden Anlagen – der Löwenanteil entfällt auf Windkraftanlagen am Land (onshore) und im Meer (offshore). In den vergangenen fünf Jahren sind 1400 Genehmigungen für Neubau oder Repowering von Windkraftanlagen erteilt worden, so dass derzeit 2900 Anlagen im Betrieb mit insgesamt fast 6000 Megawatt Leistung im Betrieb sind. Die Stromerzeugung aus den Erneuerbaren betrug 2015 rund 17,9 Terrawattstunden, ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 5,5 Terrawattstunden, so dass Schleswig-Holstein rein rechnerisch heute 115 Prozent seines Strom durch „Erneuerbare“ deckt, zu denen im weit geringeren Maße als Windkraft auch Solar- und Biomasseanlagen gehören. Bis 2025 will die Landesregierung auf zwei Prozent der Landesfläche die installierte Leistung schrittweise auf zehn Gigawatt erhöhen, mit rund 3600 Windkraftanlagen sei zu rechnen.

Ein Moratorium für neue Anlagen

Aber eine Flaute für die Windkraft zeichnet sich ab. Zum einen sagt selbst Robert Habeck, dass man „die Akzeptanz der Energiewende“ im Blick haben müsse. Landkreise wie Dithmarschen mit 829 Windkraftanlagen oder Nordfriesland mit 749 gelten heute schon als „vollgestellt“. Überdies wirkt sich ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom Januar 2015 aus, das die frühere Windenergieplanung in Schleswig-Holstein weitgehend kassierte. Die Landesregierung erstellte daraufhin ein Moratorium bis Juni diesen Jahres, dass die Aufstellung neuer Windkraftanlagen untersagte – abgesehen von Ausnahmen in immerhin 343 Fällen. Man sorge dafür, dass der Windkraftausbau „unter widrigen Umständen“ nicht über die Maßen „ausgebremst“ werde, sagt Robert Habeck. Das Moratorium aber soll bis Ende September 2018 verlängert werden, wenn neue Regionalpläne fertig sind.

Die CDU will einen größeren Abstand zu Wohnhäusern

Die CDU und die FDP – bisher in der Opposition – haben den Ärger von Bürgern über die Windkraft aufgegriffen. So hat der CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther in sein 100-Tage-Programm im Falle einer Regierungsübernahme eine Verlängerung des Windkraftmoratoriums aufgenommen sowie die Überarbeitung der Regionalpläne mit dem Ziel von höheren Abständen (1200 Meter) der Windkrafttürme zur Wohnbebauung. Die Liberalen wollen einen Abstand des siebenfachen der Anlagenhöhe. Die CDU weist auch auf die Schwachstelle hin, dass dem Stromnetz im Norden noch der Anschluss an den Süden fehlt. Günther sagte im Gespräch mit unserer Zeitung: „Die Regierung in Kiel hat den Ausbau der Windkraft forciert und ausgeblendet, dass es noch keine Abnehmer und keine Netze zur Weiterleitung für den Strom gibt. Die Folge ist, dass wir 2015 rund 300 Mio Euro Entschädigung für nicht abgenommen Strom aus Erneuerbaren Energien zahlen mussten - im Jahr 40 Euro pro Haushalt.“ Die CDU wolle, dass der Netzausbau „Hand in Hand“ mit dem Aufbau von Anlagen erfolge.

Schließlich dämpft der sogenannte „Nord-Deckel“ der Bundesregierung die Windeuphorie in Kiel. Bei der Verabschiedung der Reform des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG) war der Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Nordniedersachsen eingeschränkt worden, da dies „Netzengpassgebiete“ seien. An den bundesweiten Ausschreibungen von 3000 Megawatt darf die Region sich nur mit 902 Megawatt im Jahr beteiligen. In Kiel hat man errechnet, dass dies dem „durchschnittlichen Zubau der Jahre 2013 bis 2015“ entspreche. Auch die Bundespolitik hat die Windkraft im Norden also etwas gebremst.