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Die Politiker melden sich nicht mehr zu Wort, die Arbeitsagentur zählt keine arbeitslosen Schlecker-Frauen mehr, und der Hilfsfonds für verarmte Verkäuferinnen läuft aus: Die Pleitefirma Schlecker verschwindet aus dem Bewusstsein der Menschen. Doch für manche ist Schlecker noch Gegenwart.

Stuttgart - Es riecht nach Haarspray und Kaffee. Christel Hoffmann, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der pleitegegangenen Drogeriekette Schlecker, sitzt nun allein im Pforzheimer Betriebsratsbüro. Ende September sind ihre verbliebenen beiden Kolleginnen ausgeschieden. Die 59-jährige Christel Hoffmann hat ihren letzten Arbeitstag am 31. Dezember – nach 18 Jahren Schlecker. Am 20. Januar 2012 hat sie aus den Medien erfahren, dass das einstige Drogerieimperium Insolvenz anmelden muss. Heute ist die Vergangenheit immer noch ihre Gegenwart. Hoffmann archiviert Unterlagen und kümmert sich um die einstigen Kolleginnen.

Auch Bettina Meeh und Karin Meinerz arbeiten noch in der alten Schlecker-Umgebung. Am 27. November feiert ihr Laden, den sie in ihrer alten Filiale aufgemacht haben, einjähriges Bestehen. Drehpunkt heißen die Märkte der einstigen Schlecker-Frauen.

An die schmuddeligen Läden mit den blauen Schlecker-Logos erinnert in Erdmannhausen nichts mehr. Die Einrichtung ist bunt, die Gänge sind hell. Am Anfang waren oft Journalisten im Laden, Fernsehteams haben Beiträge über die Existenzgründerinnen gedreht. Inzwischen müssen Karin Meinerz und Bettina Meeh ohne die öffentliche Aufmerksamkeit wirtschaften. Leicht ist das nicht. Um profitabel zu sein, muss der Laden einen Umsatz von 1200 Euro am Tag abwerfen. Im Moment liegen die Verkäuferinnen noch 200 Euro drunter. Und trotzdem: Bereut haben Karin Meinerz und Bettina Meeh nichts. Eine Kundin fragt, welche Babynahrung sie ihrem Kind geben kann, ein Mann will Einzelheiten zu Spiritus wissen. „Wir können jetzt alles machen, was bei Schlecker nicht möglich war“, sagt Bettina Meeh und meint damit vor allem: „Auf die Kunden eingehen.“ Manchmal kommen Senioren in den Laden und bringen Päckchen mit von Produkten, die Drehpunkt gar nicht führt, in der Ortschaft aber auch sonst nirgends mehr zu bekommen sind. „Die können wir dann einfach bestellen. Wir können jetzt stärker auf Sonderwünsche eingehen.“

Mit Schlecker abgeschlossen

Ramona Damske war die erste Schleckerfrau in Baden-Württemberg, die ihren eigenen Laden aufgemacht hat. Unabhängig von dem Drehpunkt-Projekt, das vor allem von der Verdi-Sekretärin Christina Frank zum Laufen gebracht worden ist, hat Damske in Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) ihre ehemalige Schlecker-Filiale wiederbelebt. Am 5. Oktober hat sich die Eröffnung ihres Geschäfts zum ersten Mal gejährt.

Ramona Damske ist zufrieden mit dem ersten Jahr: „Ich habe viele Stammgäste, viele Kurgäste, die aus den Medien von meinem Laden gehört haben, kommen vorbei.“ Ramona Damske sagt, dass sie mit Schlecker abgeschlossen hat.

Im Pforzheimer Betriebsratsbüro wischt sich Christel Hoffmann die Tränen aus den Augen. Sie erzählt von der ersten Betriebsräteversammlung unmittelbar nach der Nachricht von der Insolvenz und von der letzten am 1. Juli 2012 in Berlin, als der Neu-Ulmer Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz das endgültige Aus für Schlecker verkündet hat. „Als Herr Geiwitz ans Mikrofon getreten ist, sind wir alle aufgestanden. Wir wollten mit durchgedrücktem Kreuz hören, was er zu sagen hat.“ Sie wirft ihm nicht vor, dass er am Ende keinen Investor gefunden hat. „Ich habe ihm angesehen, wie sehr ihm die Situation ans Herz gegangen ist.“ Sie sagt es häufiger an diesem Tag: „Ich wusste nicht, dass es noch Menschen mit so hohen Moralvorstellungen gibt wie Arnd Geiwitz.“ Oder: „Schon nach unserem ersten Telefonat wusste ich, dass mir mit dem Insolvenzverwalter ein Mensch an die Seite gestellt worden ist, auf den ich mich verlassen kann.“

Ein Jahr nach Insolvenz war immer noch jede zweite Schlecker-Frau ohne Job

Christel Hoffmann zieht ein dickes Buch mit schwarzem Rand aus dem Regal. Es ist die Kündigungsliste der ersten Entlassungswelle vom März 2012. „Hinter jedem Namen steht ein Schicksal.“ Insgesamt haben sich nach der Insolvenz 23 400 ehemalige Schlecker-Beschäftigte arbeitslos gemeldet. Ein Jahr nach der Insolvenz war immer noch jede zweite Schlecker-Frau ohne Job.

Im März hat die Arbeitsagentur aufgehört, die ehemaligen Schlecker-Beschäftigten ohne Arbeit zu zählen. Leicht sei es nicht, im Handel einen neuen Job zu finden, sagt die Betriebsratschefin. „Viele Firmen vergeben nur noch Minijobs oder bezahlen weit unter Tariflohn.“ Sie sitzt im Vergabegremium des Solidaritätsfonds für Schlecker-Beschäftigte der Paul-Schobel-Caritas-Stiftung. Die Anträge auf finanzielle Unterstützung füllen sechs dicke Ordner in Hoffmanns Regal. In etwas mehr als einem Jahr haben über 160 ehemalige Schlecker-Mitarbeiter Hilfe aus dem Fonds erhalten. Insgesamt sind für den Geldtopf 75 000 Euro zusammengekommen. „Knapp 50 000 Euro der Spendeneingänge wurden von Einzelpersonen geleistet“, sagt Angelika Hipp, Caritas-Stiftungsreferentin. „Darunter befinden sich auch Kleinstbeträge, die beispielsweise im Rahmen eines Gottesdienstes oder bei Gewerkschaftsveranstaltungen gesammelt wurden.“ Einige wenige Personen haben auch über 500 Euro gespendet. Die meisten Beträge fänden sich jedoch im Bereich zwischen fünf und 100 Euro. Der Fonds wird jedoch nur noch wenige Monate existieren. „Anfang Dezember werden wir den Fonds auflösen“, sagt Angelika Hipp. Er sei nur für eine begrenzte Zeit angelegt gewesen.

Unterdessen finden sich immer mehr einstige Schlecker-Kolleginnen, die sich selbst helfen, indem sie eigene Läden aufmachen. Am Samstag ist die Eröffnung eines Drehpunkts in Bayern. Eine Woche später folgt Hoheneck, ein Stadtteil von Ludwigsburg.