Auf dem Weg zum Prozess im Landgericht Stuttgart: Der ehemalige Drogeriekettenbesitzer Anton Schlecker und seine Tochter Meike Schlecker Foto: dpa

Am zweiten Prozesstag beschreibt sich der gefallene Drogeriekönig Anton Schlecker als ein urschwäbischer Unternehmer. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, Geld beiseitegeschafft zu haben.

Stuttgart - Der rechte Zeigefinger von Anton Schlecker schießt in die Luft, wirbelt herum und zeigt dann wieder auf das Papier, das er mit der linken Hand festhält. Seine Gesten wirken, als würde er dirigieren, als er am zweiten Prozesstag vor dem Stuttgarter Landgericht seine Sicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft abliest. Auch wenn er inzwischen schmal und blass wirkt, wird schnell klar, dass hier ein Mann spricht, der es gewohnt ist, die Richtung vorzugeben. Seine Stimme ist fest, seine Hände zittern nicht, und als er gefragt wird, ob er eine Pause braucht, lehnt der 72-Jährige ab.

„Sich durchsetzen, Widerstände überwinden und am Ende recht behalten“, mit dieser Strategie habe er sein Unternehmen aufgebaut, erzählt er im Raum 18 des Landgerichts. Eine Stunde lang widerspricht er den einzelnen Punkten der Anklage. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft ihm vor, dass er die Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker geahnt und in den Jahren vor 2012 Vermögen in Sicherheit gebracht habe.

Er habe bis zum Schluss an das Fortbestehen seines Unternehmens geglaubt, widerspricht Schlecker. Er habe gedacht, dass er vielleicht ein paar Filialen schließen und eine Zukunftsstrategie erarbeiten müsse und dass dann alles wieder gut werden könne. Denn eines habe er früh gelernt: dass man mit harter Arbeit alles schaffen kann. Und hart gearbeitet hat Anton Schlecker. Er habe sich aufgerieben für die Firma und für sie gelebt, sagt er. „Auch an den Wochenenden haben meine Frau und ich Filialen besucht.“ Urlaube seien manchmal jahrelang ausgefallen. Doch am Ende hat sein Einsatz nichts mehr gebracht.

Schlecker soll Vermögen beiseitegeschafft haben

Seine Stimme gerät ins Stocken, als er vom Anruf seiner Tochter Meike Schlecker im Januar 2012 erzählt. Er war gerade einige Filialen in Niedersachsen besuchen, als er abends im Hotel mit seiner Tochter telefonierte und sie den Satz sagte: „Papa, die lassen uns fallen.“ Diesen Moment wird Schlecker-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz später als den Anfang vom Ende bezeichnen. Es war der Augenblick, an dem der Einkaufsverbund Markant entschied, Schlecker kein Lieferdarlehen mehr zu gewähren.

Und so musste Schlecker am 23. Januar 2012 schließlich Insolvenz anmelden. „Das war ein schwerer Gang“, sagt der gefallene Drogeriekönig heute. Er hätte ihn seiner Familie, seinen Mitarbeitern und auch sich selbst gern erspart.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 72-Jährigen vor, in 36 Fällen ein Vermögen von rund 20 Millionen Euro beiseitegeschafft und so dem Zugriff der Gläubiger entzogen zu haben. Bezieht man die vermeintlichen Straftaten der Kinder Lars und Meike Schlecker mit ein, geht es gar um 25 Millionen Euro. Auf betrügerischen Bankrott in einem schweren Fall, wie er Schlecker vorgeworfen wird, steht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Das meiste Geld soll er beiseitegeschafft, haben, indem er mit der LDG, der Logistikfirma seiner Kinder Lars und Meike Schlecker, überhöhte Stundensätze vereinbart habe. Die Berechnungen für die Stundensätze habe er aber gar nicht selbst vorgenommen, sagt Schlecker. „Weder die Prüfer noch das Finanzamt haben diese je beanstandet.“

Es sei nicht der Hintergedanke gewesen, durch diese Konstruktion Geld in Sicherheit zu bringen. Das gelte auch für die Schenkungen an seine vier Enkelkinder von je 200 000 Euro im März 2011. Vielmehr hätte sein Steuerberater ihm dazu geraten, die Freibeträge zu nutzen, um Erbschaftsteuer zu sparen. Die Familie hätte diesen Gedanken unterstützt, „und ich wollte meine Ruhe haben“, so der Patriarch. Es sei geplant gewesen, den Enkeln nach dem Ablauf von zehn Jahren – also 2021 – weiteres Geld steuerfrei zu übertragen.

Der Patriarch beschreibt sich als erfolgsverwöhnt

Daran, dass er einmal Liquiditätsprobleme bekommen könnte, habe er nicht gedacht. Er erzählt von den Anfangsjahren seines Unternehmens. Wie er in den USA war und dort die großen Verbrauchermärkte gesehen hat und wie er dann auf die Idee gekommen ist, solche Märkte nach Ehingen (Alb-Donau-Kreis) zu holen. Und obwohl alle dachten, das sei eine verrückte Idee, machte der gelernte Metzgermeister 1965 in Ehingen, wo er und seine Frau heute noch leben, ein SB-Warenhaus auf. Von 1972 an folgten noch vier weitere Läden in der Umgebung. Schlecker stellte fest, dass er mit Drogeriewaren wesentlich höhere Umsätze erzielte als mit Lebensmitteln. Zudem fiel 1974 die Preisbindung für Drogerieartikel.

Also machte Schlecker 1975 in Kirchheim/Teck (Landkreis Esslingen) seinen ersten Drogeriemarkt auf. Das Konzept ging auf, und Schlecker schlug einen radikalen Expansionskurs ein. Nur zwei Jahre später zählte er bereits über 100 Läden. In den Folgejahren erarbeitete sich der schwäbische Unternehmer die Marktführerschaft im Drogeriebereich.

Doch der Erfolg machte ihn auch beratungsresistent. „Für mich gab es kein unternehmerisches Scheitern. Ich war sehr erfolgsverwöhnt“, sagt er heute und: „Ich bin davon ausgegangen, dass ich die Forderungen meiner Gläubiger immer erfüllen kann.“

In seiner Familie habe immer schon die Regel gegolten, dass jeder für seine Handlungen selbst verantwortlich sei, erzählt Schlecker. Darum habe er sein Unternehmen als eingetragener Kaufmann geführt. Ein solcher haftet auch mit seinem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten seines Unternehmens. Es gab nur einen Fall, der diese Rechtsform infrage gestellt hätte, sagt Anton Schlecker: In seinem Testament habe er verfügt, dass seine Erben die Rechtsform ändern sollen.