Ein von der italienischen Polizei veröffentlichtes Foto zeigt deutsche Polizisten bei der Aktion gegen die Mafia. Foto: Polizia di Stato/dpa

Im Zuge der länderübergreifenden Operation „Boreas“ wurden am Dienstagmorgen mutmaßliche ’Ndrangheta-Mitglieder verhaftet. Der Schwerpunkt der Aktion lag im Großraum Stuttgart. Was bislang über den Fall bekannt ist.

Den Behörden in Deutschland und Italien ist am Dienstagmorgen ein erheblicher Schlag gegen die italienische Mafiaorganisation ’Ndrangheta gelungen. In Italien, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland gab es 40 Durchsuchungen, insgesamt 34 Haftbefehle wurden vollstreckt. Ein Schwerpunkt der Razzien lag dabei im Rems-Murr-Kreis. Hier gab es Einsätze in Fellbach, Kernen, Weinstadt, Rudersberg, Schorndorf und Waiblingen.

 

Auch andere Städte in der Region Stuttgart waren Schauplatz von Durchsuchungen und Verhaftungen. Laut dem Aalener Polizeipräsidenten Reiner Möller handelt es sich um Steinheim (Kreis Ludwigsburg), Stuttgart-Feuerbach und Mühlacker bei Pforzheim. „Unter anderem haben wir fünf scharfe Schusswaffen mit Munition, Betäubungsmittel, Bargeld im fünfstelligen Bereich, digitale Speichermedien und andere Beweismittel sichergestellt“, so Möller. An der länderübergreifenden Aktion seien rund 350 Polizisten beteiligt gewesen, darunter Spezialeinheiten aus dem gesamten Bundesgebiet.

Ein Polizist soll die Mafia in der Region Stuttgart unterstützt haben

Besonders brisant sind Vorwürfe gegen einen Polizisten. Unter den Festgenommen ist ein 46 Jahre alter Polizeihauptmeister, der im Rems-Murr-Kreis für das Polizeipräsidium Aalen tätig war und die Mafia unterstützt haben soll. „Ihm wird Geheimnisverrat vorgeworfen“, so Joachim Dittrich, der Leiter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Der Verdacht gegen den Beamten bestand bereits seit dem Jahr 2021. „Natürlich ist es ein Schock, wenn ein Polizeibeamter, der für Recht und Gesetz steht, sich derart an diesen Handlungen beteiligt“, sagt Polizeipräsident Möller.

Größte Geheimhaltung für Operation Boreas

Pressekonferenz in Waiblingen zur Operation Boreas Foto: Weingand / 

Der Beamte sei nach Bekanntwerden des Verdachts versetzt worden. „Dadurch konnten wir sicherstellen, dass er keine weiteren Informationen weitergibt“, so Möller. Davon, dass seine Kollegen nun gegen ihn ermittelten, habe der Mann nichts mitbekommen. Dass der Verdacht gegen ihn schwer wiegt, zeige auch die Tatsache, dass er inzwischen in Untersuchungshaft sitze. Die Ermittlungen gegen ihn und den Mafia-Clan liefen lange Zeit verdeckt und unter großem Aufwand – erst mit den Großrazzien gelangte „Operation Boreas“ ans Licht.

Die meisten Festgenommenen sind italienische Staatsbürger und mutmaßliche Mitglieder des Farao-Marincola-Clans der kalabresischen ’Ndrangheta. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Unterstützung einer ausländischen kriminellen Vereinigung, versuchten Totschlag, bandenmäßigen Betrug und Erpressungen. In den meisten Fällen sollen Mafiosi sich fälschlicherweise als Vertreter namhafter deutscher Firmen ausgegeben und in Italien und Ungarn Lebensmittel und Geräte bestellt haben. Diese wurden dann in ein Lagerhaus in Fellbach geliefert – und von den Kriminellen nie bezahlt. „Der Schaden beträgt mehrere hunderttausend Euro“, so Dittrich.

So arbeitet die ’Ndrangheta in der Region Stuttgart

Doch damit nicht genug: Der Clan soll die ergaunerten Waren italienischen Restaurants in der Region aufgedrängt haben. „Allein die Zugehörigkeit zur Mafia reichte aus, damit die Gastronomen die Waren aus Angst vor Repressionen übernahmen“, erklärt Dittrich.

Die Mafia ist seit vielen Jahren auch in Baden-Württemberg aktiv – besonders die kalabrische ’Ndrangheta, die in den 1960er-Jahren nach Deutschland kam und heute als eine der mächtigsten kriminellen Organisationen weltweit gilt. Ihr Einfluss reicht tief in die Wirtschaft, vor allem durch Geldwäsche in der Gastronomie und Immobilienbranche. Auch in der Region Stuttgart, mit Schwerpunkt im Rems-Murr-Kreis, operieren mafiöse Strukturen über Restaurants, Geschäfte und Immobilienprojekte.

Mafiöse Verstrickungen in der Region Stuttgart

In der Vergangenheit tauchte im Zusammenhang mit der ’Ndrangheta in der Region immer wieder auch der Name von Mario L. auf. Der Gastronom galt als Statthalter des Farao-Marincola-Clans, er genoss lange Zeit gute Verbindungen in die Politik und betrieb direkt und indirekt zahlreiche Lokale, darunter in Waiblingen, Fellbach und Winnenden. Nach Jahrzehnten ohne Konsequenzen wurde er im Jahr 2018 im Rahmen der internationalen Operation Styx festgenommen und in Italien verurteilt. Das Urteil gegen ihn ist seit Juni 2024 rechtskräftig. Unter den anderen Verurteilten im Zusammenhang mit der Operation Styx war laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch der Fellbacher Gastwirt und Fischhändler Domenico P.

Seit einiger Zeit reichen Restaurants und Pizzerien nicht mehr aus, um die von den Mafia-Organisationen erwirtschafteten Mengen an Geld – unter anderem stammen sie aus dem weltweiten Drogenhandel – zu waschen. Daher konzentrieren sich die Kriminellen auch auf Immobilien und Bauprojekte, an denen sie sich über verschachtelte Finanzkonstrukte beteiligen. Ermittler stehen dabei oft vor großen Herausforderungen, da die Strukturen komplex und die rechtlichen Hürden hoch sind.