Schlachten am Fließband Foto: dpa

Der Preisdruck zwingt die Fleischer, in immer kürzerer Zeit immer mehr Tiere zu schlachten.

Stuttgart - Noch nie haben deutsche Schlachter so viele Schweine getötet wie in diesem Jahr. Den Knochenjob machen heute vor allem Arbeiter aus Osteuropa zu konkurrenzlos niedrigen Löhnen.

Ein Mensch küsst viermal am Tag einen anderen. Alle 80 Minuten lacht er. Das lehrt uns die Statistik. Der junge Mann mit den Blutflecken auf der Hose tötet zudem alle zehn Sekunden ein Schwein. Der Wettbewerb unter den Schlachtbetrieben wird weltweit immer härter.

Dieses Jahr erreicht die Zahl der geschlachteten Schweine in Deutschland voraussichtlich zum ersten Mal die 59-Millionen-Marke. Das prognostiziert die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN). Seit 2001 hat sich die Zahl der geschlachteten Tiere von 44 Millionen auf 56 Millionen erhöht. Das ist ein Anstieg um gut 27 Prozent - und es werden immer mehr.

Kohlendioxid betäubt die Tiere

Bevor die Schweine bei dem Mann mit den Blutflecken auf der Hose ankommen, hängt ein Kollege sie an einem Bein an eine fahrende Schiene. Den Namen ihres Schlachtbetriebs wollen die Geschäftsführer nicht in der Zeitung lesen. In den Augen der Schweine lässt sich keine Angst erkennen, sie starren ins Nirgendwo. Der Bauch hebt und senkt sich fast nicht. Das liegt am Kohlendioxid. Es betäubt die Tiere, damit sie keine Angst bekommen vor dem Mann mit der blutigen Kleidung. Stress macht das Fleisch minderwertig.

Zur Betäubung werden vier Schweine zusammen mit dem Aufzug in die Gaskammer gefahren, "Betäubungsgrube" sagen die Experten. Die Schweine sind leise. Man hört nur Rauschen. Gas, das in die Grube strömt. Im Lexikon steht, Kohlendioxid sei geruchlos, farblos und nicht brennbar. Das Gas ist dichter als Luft, sammelt sich an tiefen Stellen. Es regt die Atmung an. Die Schweine holen viel Luft. Ihr Organismus will den hohen CO2-Gehalt im Blut mit mehr Sauerstoff ausgleichen. Dadurch atmen sie noch mehr Kohlendioxid ein. Wegen des Sauerstoffmangels strecken sie den Kopf nach oben und atmen mit offenem Maul weiter. Sie denken, dass sie ersticken. Nach zehn Sekunden fallen sie um. Sie haben Muskelkrämpfe, spüren aber nichts. Sie liegen in Narkose.

160 Schnitzel isst jeder Deutsche im Jahr

Jeder Deutsche isst im Schnitt 160 Schnitzel im Jahr. Das Fleisch der Schlachtriesen landet in den Burgern von McDonald's und Burger King oder als Schnitzel bei den Lebensmitteldiscountern. Der Chef des Betriebs sagt, dass es so gute Qualität für so wenig Geld nur in Deutschland gäbe.

In München hat Frigga Wirths ihr Büro. Die Tierärztin arbeitet für den Deutschen Tierschutzbund. Sie fährt zu den Betrieben und gibt Ratschläge. "Die optimale Schlachtung gibt es immer noch nicht", sagt sie. Bei der Betäubung mit Kohlendioxid bekämen die Tiere Panik. Weil das Gas die Schleimhäute reizt. Eine Alternative wäre Elektrobetäubung. Da kann es passieren, dass Schweine bei Bewusstsein bleiben, wenn sie geschlachtet werden. Wenn überhaupt, kauft Frigga Wirths Bio-Fleisch. Doch ob bio oder konventionell: Geschlachtet wird immer gleich.

Die Schweine sollen es vor der Schlachtung gut haben

Manche Schlachthöfe bauen spezielle Warteräume. Die Schweine sollen es vor der Schlachtung gut haben. Der Mitarbeiter eines großen deutschen Schlachtbetriebs hat den Stall seiner Anlage einmal als "Wellnesscenter" bezeichnet. Die Tiere können vor der Schlachtung mit Bällen spielen. Gegen die Kälte gibt es eine Fußbodenheizung, gegen die Hitze Sprenkelanlagen. "Wie ein leichter Sommerregen", sagen die Mitarbeiter. Das Zitat mit dem Wellnesscenter erschien in einer Zeitung. Die Menschen schrieben empört Briefe. 98,4 Prozent der Deutschen essen Fleisch. Das ergibt eine Verzehrstudie des Max-Rubner-Instituts.

Manche Unternehmen zeigen den Menschen, wie geschlachtet wird, was auf ihren Teller kommt. Die Führung beginnt am Ende der Schlachtprozedur: Am Schluss werden den Schweinen Ohren und Füße abgeschnitten. Kräftige Männer in weißen Schürzen nehmen die Innereien heraus. Das Blut ist lästig. Sie sehen nichts mehr, wenn es ins Gesicht spritzt. Jeder hat deshalb eine Dusche am Arbeitsplatz.

Am Anfang hat sie nachts von Schweinen geträumt

Wie ihnen die Arbeit gefällt, können sie nicht auf Deutsch sagen. Die Schweine würden von polnischen, ungarischen oder rumänischen Mitarbeitern geschlachtet, sagt eine Mitarbeiterin. Es gibt außer ihr keine Frau in einer Führungsposition im Betrieb. Frauen erledigen allenfalls einfache Arbeiten. Sie nehmen Teile des Schweinegesichts aus oder prüfen die Qualität des Fleischs.

Schläuche zischen, Sägen kreischen. Es ist laut. Am Laufband an der Decke baumeln Schweine. Die Mitarbeiterin geht zwischen den Tieren hindurch , ohne anzustoßen. Sie kennt den Arbeitsrhythmus seit drei Jahren. In der ersten Zeit hat sie nachts von Schweinen geträumt. Nach vier Wochen war es vorbei. Sie mag Tiere, besitzt einen italienischen Hütehund. Als er einmal Schmerzen im Rücken hatte, gab sie über 1000 Euro für eine Operation aus.

200 Stunden für 1000 Euro

Manche Schlachter in Deutschland müssen 200 Stunden arbeiten, bis sie 1000 Euro verdient haben. Die geringen Stundenlöhne sind ein Grund dafür, warum deutsche Schlachtbetriebe so produktiv sind. In der europäischen Schlachtszene gilt Deutschland als Billiglohnland. "Es gibt in der Branche keinen Mindestlohn und keinen flächendeckenden Tarifvertrag", sagt Bernd Maiweg von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Bei manchen Betrieben gelinge es, Haustarifverträge abzuschließen, insgesamt liege die Tarifbindung aber unter 50 Prozent.

"Viele Arbeiter kommen aus Osteuropa. Sie arbeiten für einen Stundenlohn zwischen fünf und neun Euro, meistens mit Werkverträgen." Viele sprechen kein Deutsch. Bernd Maiweg kann ihnen nicht sagen, dass in Dänemark Fachkräfte 20 Euro in der Stunde verdienen.

Die Discounter drücken die Preise

2001 brachten ausländische Landwirte 1,4 Millionen Schweine zum Schlachten nach Deutschland. 2009 waren es vier Millionen, fast dreimal so viele. Auch das ist ein Grund, warum die Zahl der Schlachtungen steigt. Das bedeutet nicht, dass man in der Branche viel Geld verdienen kann. Die Unternehmen haben ihre Produktivität ausgeweitet, um die sinkenden Erträge auszugleichen. "Wir haben es mit einer sehr ertragsarmen Branche zu tun", sagt Carsten Schruck (36). Er ist Prokurist der WGZ Corporate Finance, einer Tochtergesellschaft der WGZ-Bank, die Unternehmen der Ernährungsindustrie berät.

Seit die Discounter Frischfleisch anbieten und die Preise drücken, müssen die Schlachthäuser immer mehr und immer billiger produzieren, um einigermaßen wirtschaftlich zu arbeiten. Der Selbstversorgungsgrad liegt in Deutschland bei 110 Prozent, das bedeutet zehn Prozent Überschuss. 2009 exportierte Deutschland über zwei Millionen Tonnen Schweinefleisch ins Ausland - vor allem nach Italien, in die Niederlande, nach Russland und Polen.

Alle zehn Sekunden ein Schwein

"Kleine Unternehmen können in diesem Markt nicht überleben", sagt der Unternehmensberater Schruck. Er beobachtet eine fortschreitende Konzentration in der Branche. Die drei größten Schlachtunternehmen, Tönnies, Vion und Westfleisch, beherrschen 52,4 Prozent des Markts. Nur ein Fünftel (20,8 Prozent) Marktanteil haben die Firmen auf den Plätzen vier bis zehn.

Ein Spruch sagt uns: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Deshalb wissen wir nicht, wie oft der Mann mit dem Blut an der Hose heute noch küssen wird. Auch nicht, wie oft er was zu lachen hat. Nur dass er morgen wieder auf seinem Podest stehen und alle zehn Sekunden einem Schwein mit der Lanze in den Hals stechen wird.