Der große Timothy Spall ist wieder im Kino zu sehen: als Greis in „Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“. Im Gespräch verrät er, was solche Rollen mit einem anstellen.
Seinen größten Erfolg erlebte der britische Schauspieler Timothy Spall in seiner Rolle als Peter Pettigrew in den „Harry-Potter“-Verfilmungen. Fans kleinerer Filme jedoch ist Spall vor allem als einer der ergreifendsten Porträtisten des britschen Kinos bekannt. In der gerade in unseren Kinos gestarteten Edelschnulze „Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ zeigt der 65-Jährige mal wieder seine ganze Kunst: als hochbetagter Mann, der noch einmal eine allerletzte Reise unternimmt. Wir haben mit Timothy Spall über das Altwerden und die Schauspielerei gesprochen.
Herr Spall, nicht zum ersten Mal spielen Sie einen Mann, der sehr viel älter und gebrechlicher ist als Sie selbst. Sie waren in Filmen schon oft hinfällig und sind mehr als einmal gestorben. Was macht das mit einem? Stärkt es einen fürs eigene Altwerden, oder macht es einem Angst?
Wenn man im echten Leben alt wird, hat das eine ganz andere Wirkung auf einen als die Schauspielerei vor der Kamera. Du wirst dir irgendwann bewusst, dass du älter geworden bist, verwundbarer, dass Du Dich nicht mehr so gut verteidigen könntest. Außer natürlich, der Angreifer wäre noch älter als du. Ich war nie ein Raufbold, trotzdem kommt mir dieser Gedanke. Auch ein Hügel ist dann nichts mehr, das man einfach hochläuft. Er wächst sich zum Abenteuer aus. Das ist mir in Glastonbury passiert, als ich dort den berühmten Hügel Tor erklommen habe. Oben musste ich mich dann fragen: „Wie zum Teufel kommst Du jetzt wieder runter?“ Da packt einen dann schon ein Gefühl von Verwundbarkeit. Mit 25 hätte ich darüber keine Sekunde nachgedacht. Da wäre ich fröhlich auf dem Hintern wieder runtergerodelt.
Mit anderen Worten: Das Spielen alter Menschen bietet keine Hilfe fürs eigene Altern?
Ach, doch, man gewinnt schon so ein paar Ahnungen, wie es werden könnte. Man bekommt eine Sneak Preview. Aber bevor man es nicht wirklich am eigenen Leib erfährt, erfasst man die eigene Endlichkeit nicht wirklich. Tatsächlich war ich schon einmal ernsthaft krank. Als ich 39 war, als junger Vater, musste ich mit Leukämie fertig werden. Das war ein Blick in den Abgrund. Man lernt da das Leben zu schätzen. Als Training für bessere Schauspielerei würde ich so eine Begegnung mit dem Tod aber nicht notwendigerweise empfehlen.
Als es anstrengend wurde
Offenbar sind Sie kein Method Actor. Sie können eine Figur nach Feierabend zurücklassen. Ist trotzdem schon mal eine besitzergreifend geworden?
Es ist ein bisschen anders., wenn man mit dem Regisseur Mike Leigh arbeitet, mit dem ich zum Beispiel „Mr. Turner“ und „Lügen und Geheimnisse“ gedreht habe. Leigh feilt die Figuren und Geschichten zusammen mit den Schauspielern in langen Proben aus. Man wird zum Co-Autor. Als ich für ihn den Maler William Turner gespielt habe, wurde das besonders intensiv. Ich glitt beständig mal tiefer, mal weniger tief in diese Figur zurück. Das war sehr anstrengend, ich fühlte mich manchmal erschöpft. Aber das war das einzige Mal, dass eine Filmgestalt anfing, mein Leben ein wenig zu übernehmen.
In den Augen Hollywoods dreht selbst Mike Leigh ganz kleine Filme. Sie kennen das Geschäft auch an seinem ganz anderen Ende, Sie waren am Kinoableger des globalen Mega-Franchise „Harry Potter“ beteiligt. Ist das Arbeiten an solchen Blockbustern etwas fundamental anderes als die Arbeit im Independent-Kino?
Nicht für mich. Wenn man das Geschäft von allem Firlefanz entkleidet, und das gelingt mir immer besser, je älter ich werde, dann erzählt man einfach eine Geschichte. Was auch immer da dran hängen mag, wie riesig die Produktion sein mag, wie gigantisch das Budget – es geht ums Erzählen mit bewegten Bildern, mit Kamera und Mikrofon. Ob viel Aufwand oder wenig, man strebt danach, etwas Unterhaltsames, Lustiges, Anrührendes hinzubekommen, das die Zuschauer eine Weile aus ihrem eigenen Leben aussteigen lässt. Und ab und an erzählt man etwas, von dem man hofft, dass die Leute darin etwas wiedererkennen. Etwas, das ihnen hilft, mit dem Leben besser zurechtzukommen, das sie etwas begreifen lässt, was ihnen bis dahin entging.
Blockbuster sind auch bloß Geschichten
Aber es macht zumindest einen Unterschied in der Sichtbarkeit des eigenen Schaffens, ob man in einem Blockbuster mit gigantischem Werbebudget auftritt, oder an einem kleinen Film ganz ohne PR-Maschine?
Ja, ironischerweise ist Peter Pettigrew im Potter-Universum eine der kleinsten Rollen, die ich je gespielt habe. Aber genau die hat mich auf der ganzen Welt bekannt gemacht. Aber diesen Pettigrew bin ich so angegangen wie jeden anderen Charakter auch. Ich musste erst einmal verstehen, warum er so ist, wie er ist. Und was aus ihm werden könnte. Ob er vielleicht erlöst werden kann.
Die Qualität der Figur lässt Sie die Größe der Produktion vergessen?
Manche Filme werden zum Mega-Event, mit viel Gewese drumherum, da können sich wahre Religionen bilden. Aber auch wenn man einen kleinen Film gemacht hat, wird es einem passieren, dass irgendwann auf der Straße plötzlich jemand auf einen zueilt. Man denkt dann kurz: Will da jemand Böses, oder werde ich jetzt angebettelt? Und dann sagt er oder sie: „Ich habe ihren Film gesehen und wollte bloß sagen, wie schön ich ihn fand.“ Das ist der Lohn dafür, dass man alles gegeben hat, ob es eine kleine Produktion war oder eine große, eine Haupt- oder eine ganz kleine Nebenrolle, ob man ständig im Bild war, ob man zwanzig Zeilen Text hatte oder sogar nur einmal zwei Sätze gesagt hat.
Timothy Spall
Karriere
Der 1957 geborene Timothy Spall hat schon in Popcorn- und Kunstkino, in TV-Serien und am Theater geglänzt. Ob er in einem Werk eine Haupt- oder eine Nebenrolle spielt – schon seinetwegen lohnt sich stets das Anschauen.
Rolle
Sein neuer Film heißt im Englischen „The Bus – also viel schlichter als im Deutschen. „Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ ist ein Bandwurmtitel. Spall spielt einen Mann, der den Tod nahen fühlt und eine letzte Reise wagt.