„Der zerbrochne Krug“ im Schauspielhaus Stuttgart Foto: Süß

Sieben Jahre nach der Zürcher Premiere von Jan Bosses Inszenierung ist Kleists „Der zerbrochne Krug“ noch immer ein grandios abgründiger Spaß, wie die umjubelte Stuttgarter Premiere am Samstag im Staatsschauspiel zeigt.

Stuttgart - Kurz vor der Premiere, die Leute drängen schon in Richtung Saal, Brüllerei im Foyer. Ein Mann, Schreiber Licht (Ronald Kukulies), mit aalglatt gegeltem Haar, grauer Hose und schlecht sitzendem Jackett, ruft aufgeregt nach Richter Adam. Was ihm geschehen, wie er denn aussehe und überhaupt. Dann taucht Adam auf (Edgar Selge), mit entgeistertem Blick zwar, als er erfährt, dass Gerichtsrat Walter kommen und nach dem Rechten vor Gericht schauen will, doch ansonsten vor allem frech und – nackend.

Was für ein Stress für den armen Schreiber. Chef informieren, dessen Blöße bedecken und herausfinden, wie der sich die blutigen Schrammen am Kopf, an Wange und Nase und am Schienbein geholt hat. Was für ein Stress auch für den in bester Louis-deFunès-Manier hektisch schnarrenden Richter, glaubhaft Lügenmärchen zu erfinden von einem Fall aus dem Bett, einem Kampf mit einem Ziegenbock und einer Katze, die in seine Richterperücke hinein Junge geworfen hat. Denn gleichzeitig muss er Licht auf gemeinsames Vertuschen von, na – Unregelmäßigkeiten in der Amtsstube einschwören.

Da kann man glatt übersehen, dass man von Hunderten Leuten angestarrt wird. Erst recht, wenn man vom Volk ohnehin geringschätzig denkt. „Was machen die ganzen Leute hier?“, fragt Richter Adam dann aber doch nach einer Weile indigniert. Die Premierengäste am Samstag im Schauspielhaus, unversehens zu Statisten geadelt, sind da, weil Gerichtstag ist.

Mit dieser herrlichen Two-Man-Show eröffnet Jan Bosse seine Inszenierung von Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“. Und wie 2006 bei der Premiere in Zürich (und der Übernahme ans Maxim Gorki Theater Berlin) kommt der Fall des zerbrochenen Kruges dann auf der Bühne des Theaters zur Verhandlung. Bei den Wiederaufnahmeproben zeigte sich offenbar lediglich die auch terminlich bedingte Schwierigkeit von Neubesetzungen. Die Rolle des Schreibers wird jetzt weiter von Ronald Kukulies gespielt statt von Thomas Lawinky. Wie fragil die demokratische Ordnung ist, zeigt die Erfolgsproduktion aber auch noch sieben Jahre nach der Premiere.

Aus der Mitte der Gesellschaft – zwar auf den teuren Plätzen der ersten Reihe sitzend, dabei doch der unteren Mittelschicht angehörend – erhebt sich Marthe Rull (körperbetont im Jeansanzug,lustig mamsellig: Franziska Walser). Sie schüttelt drei Mal ihre Tasche, es klirrt. Nicht nur ihr Krug, ihre ganze kleinbürgerliche Welt: alles in Scherben.

Ruprecht, der Verlobte ihrer Tochter Eve, bestreitet, den Krug zerdeppert zu haben. Und mehr noch: Er bezichtigt Eve (herzzerreißend bei der Erzählung von Adams Machenschaften: Svenja Liesau) des Betrugs. Behauptet, einen Kerl in ihrem Zimmer gesehen zu haben und will Eve nicht mehr heiraten. Extra-Applaus für Matti Krauses witzige Schnoddrigkeit beim Erzählen. Um die Tochterehre geht’s der Dame Marthe, aber auch, so ruft sie, die Blondlöckchen wackeln, wie sie mit dem Kopf nickt und den moralischen Zeigefinger hebt, um die Kultur ( Demokratie, Recht).

Dass es damit nicht weit her ist, hat das Publikum ja schon im Foyer erfahren, auch jetzt rollen Richter Adam und Gerichtsrat Walter (Jean-Pierre Cornu) nur genervt und gelangweilt die Augen, als Hobbyhistorikerin Rull mit Overhead-Projektor bewaffnet die Demokratie-Geschichte des Landes am Beispiel der Bildnisse auf dem Krug erzählt.

Konzentration jetzt also darauf, wie sprachlich virtuos hier das Recht behandelt und gebeugt wird. Mit Slapstick auch und mit Pointen und einem Edgar Selge, der sich immer neue Ausreden und Finten ausdenkt und tobt und intrigiert, Marthe als „Schafsgesicht“ beschimpft und „Wuff, wuff, schweig er!“ den jungen Ruprecht in die sprachlichen Schranken weist.

Regisseur Jan Bosse gelingt es mit Leichtigkeit und ohne zu moralisieren, die Janusköpfigkeit der Figuren herauszustellen: wie alle vermeintlich um das allgemeine Wohl und die Wahrheit besorgt, doch in Wirklichkeit nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind. Grandios: das Ensemble und die Gäste Ronald Kukulies und Jean-Pierre Cornu.

Cornu gibt den vom Volk wie vom Richter angewiderten Gerichtsrat Walter. Lange wirkt er wie der Gewährsmann für Recht und Gerechtigkeit, doch seine Zuhälterstiefeletten und das fiese Lachen verraten ihn. Beim gemeinsamen Besäufnis verbrüdert er sich mit Kollege Adam und beruhigt die hintergangene Eve, Ruprecht und Marthe mit tätschelnden Es-wird-schon-alles-gut-Gesten. Er bugsiert auch Marthe Rull mit einem nachsichtigen Lächeln von der Bühne, als die nach Pseudo-Happy-End doch noch mal an die Kultur erinnert, die in Gefahr ist. Heftiger Applaus, auch für die beutelrasselnde Mahnung, dass mit Humor Vieles leichter zu ertragen, aber noch lange nicht gut ist.