Kunsthandwerker schwärmen von Arbeiten einer großen Künstlerin. Foto: Lg/Ferdinando Iannone

Nanna Aspholm-Flik erinnert an Lotte Hofmann und präsentiert in ihrer Atelierwerkstatt Hinterlassenschaften der Künstlerin. Das Repertoire Hofmanns erstreckte sich über Sticken, Färben, Filzen und Weben. Wo findet man die Schätze?

In einem Hinterhof an der Claudiusstraße, tritt man, ein paar steile Stufen tiefer, ein in eine Wunderkammer. Es ist die Atelierwerkstatt Nannatextiles der Textilkünstlerin Nanna Aspholm-Flik.

Die gebürtige Finnin, die ihr Diplom als Textildesignerin an der Stuttgarter Kunstakademie absolviert hat, beherrscht das ganze Repertoire wie Sticken, Färben, Filzen und Weben. Aber nicht ihre Arbeiten stehen an diesem Abend im Mittelpunkt, sondern das Werk einer Frau, deren Namen Nanna sie zum ersten Mal bei ihrem Praktikum im Landesmuseum gehört hat: Lotte Hofmann. Eine Textilkünstlerin (1907-1981), die fast in Vergessenheit geraten ist und deren Bedeutung Aspholm-Flik hervorheben will.

Reste ihres Schaffens in der Liederhalle?

Im Beethovensaal der Liederhalle soll der blaue Vorhang von Lotte Hofmann noch vorhanden sein, jedoch versteckt hinter einem Holzpaneel. Das Landesmuseum verwahrt 15 Arbeiten von ihr. Leider im Depot. Wo sind die Schätze? Ausgebreitet an diesem Abend, der zu einer Feier der Erinnerung an Lotte Hofmann wurde, in der Atelierwerkstatt. Darunter auch eine Stoffprobe vom Liederhallen-Vorhang. Hervorgeholt aus einem silberfarbenen Metallkoffer, den die Kunsthandwerkerin speziell für Frank Soehnle gefüllt und als Erbe hinterlassen hat. Ein Tribut an seine früh erkennbaren künstlerischen Ambitionen, denn Soehnle wurde ein Theatermann, der 1991 das Figurentheater Tübingen gründete und bis heute leitet. „Ich bin mit ihr verwandt, Lotte Hofmann und meine Großmutter waren Cousinen“, erzählt der 59-Jährige. Kennengelernt habe er sie als Zwölfjähriger. Bei Besuchen draußen im Murrhardter Wald, wo Lotte Hofmann in Oberrot 1946 ihre Werkstatt „LoHo“ gründete und bis zu ihrem Tod 1981 betrieb. Hierher war sie 1945 aus Königsberg geflohen.

Hofmann ließ sich inspirieren

Lotte Hofmann wurde 1907 in Karlsruhe geboren, 1921 zog die Familie nach Stuttgart. Früh war ihr Interesse an Textilem ausgeprägt, von 1924 an widmete sie sich der Ausbildung zur Kunsthandarbeit – so hieß das damals – und Zeichnen in Hamburg, Potsdam und Berlin. Hier besuchte sie die Schule von Johannes Itten, dessen schon am Bauhaus vertretene Farblehre ebenso großen Einfluss auf ihre Arbeit hatte wie Hermine Urban, eine Schülerin von Adolf Hölzel.

Als Gewerbelehrerin in Bonn absolvierte sie noch eine Schneiderlehre, leitete die Staatliche Stickschule in Mittenwalde und von 1933 bis 1945 die Ostpreußische Gewerbeschule in Königsberg, wo sie auch noch die Stickmeisterprüfung ablegte.

Hofmann gestaltete auch Alltagsgegenstände

In Oberrot ist sie unvergessen. Im örtlichen Musikverein ist man bis heute stolz auf die von LoHo gestaltete und genähte Fahne. „Ich habe noch einen Kaffeewärmer von ihr“, berichtet eine Dame. Eine zweite hatte ihr Lieblingsstück, eine kleine Giraffe aus rosa Plastik, mitgebracht. Alltagsgegenstände, mit denen auch Geld verdient werden musste. Daneben aber hat LoHo auch große Aufträge, zum Beispiel für die Ausstattung von Hotels und den Vorhang im neuen Kleinen Haus der Staatstheater in Stuttgart, bekommen. Die Werkstücke aus Soehnles Koffer, hauchzarte Webereien, Applikationen, Stickereien, Collagen, faszinieren durch ihre Schönheit und Perfektion. Als typische Vertreterin der Arts-and-Crafts-Bewegung, die zwischen 1880 und 1910 in England als Reaktion auf die Mechanisierung und Massenproduktion entstand, war sie 1964 als einzige Deutsche zum Ersten Weltkongress der Kunsthandwerker (Craftsmen) der Columbia Universität in New York eingeladen.

Wegwerfware verdrängt Kunsthandwerk

Lotte Hofmann ist Mitbegründerin vom Bund der Kunsthandwerker (BdK), dessen 75-jähriges Bestehen jüngst mit der Ausstellung „Achtung Kunsthandwerk!“ in Stuttgart im Haus der Wirtschaft begangen wurde. Nanna Aspholm-Flik gehörte zu den Initiatoren dieser langersehnten Gelegenheit. Es kamen 100 BdK-Mitglieder, 40 europäische Freunde und vier Gäste aus der Ukraine zur Präsentation ihrer Arbeiten. Eine großartige Schau mit erlesenen Stücken höchster Qualität aus Glas, Textil, Keramik, Metall, Holz, Leder, Gold und Silber, die weit mehr als die tatsächlich gezählten Besucher verdient hätte. Und die vor allem nicht einmalig bleiben sollte. „Ach“, seufzt Nanna Aspholm-Flik, die bei der Schau mit einem Textil vertreten war, in das sie das Glitzern der Stromschnellen in ihrer Heimatstadt Tampere zauberte, „das Kunsthandwerk hat doch keine Lobby.“ „Weil“, beklagt die Keramikerin Ute Beck, „die Massenproduktion von Wegwerfware das nachhaltige und wertbeständige Kunsthandwerkhandwerk verdrängt“. Die Lotte-Hofmann-Stiftung mit Preisen und Auszeichnungen macht Mut, sich von dieser fatalen Entwicklung nicht abschrecken zu lassen.

Wer die Schau „Achtung Kunsthandwerk!“ verpasst hat, bekommt eine zweite Chance: Bis zum 26. Juni in Karlsruhe, im Regierungspräsidium am Rondellplatz, Montag bis Sonntag, von 11 bis 18 Uhr.