Das Bernsteinzimmer (hier eine Nachbildung) ist bis heute nicht gefunden. Foto: dpa

Deutschlands kulturellem Erbe droht die Zerstörung. Illegale Schatzsucher suchen mit Metallsonden systematisch nach Artefakten. Für Archäologen sind die Fundstätten danach oft wertlos.

Deutschlands kulturellem Erbe droht die Zerstörung. Illegale Schatzsucher suchen mit Metallsonden systematisch nach Artefakten. Für Archäologen sind die Fundstätten danach oft wertlos.

Stuttgart - Für den Hobby-Archäologen und Tierfutterverkäufer Benny C. aus der Pfalz schien es der Fund seines Lebens zu sein. Nahe dem südpfälzischen Rülzheim entdeckte der 22-Jährige mit Hilfe einer Metallsonde einen Schatz aus spätrömischer Zeit: Gold- und Silberstücke, dazu Silbergeschirr sowie Reste eines vergoldeten und versilberten Klappstuhls im Wert von rund einer Million Euro. Die Raritäten gehörten offenbar einem römischen Patrizier, der von umherstreifenden Germanenhorden ausgeraubt worden war. Der stolze Finder flog allerdings auf, als er seinen Fund blauäugig im Internet präsentierte. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Während die Suche mit Metalldetektoren eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist die Entwendung archäologischer Funde ein Eigentumsdelikt. Wer sie nicht meldet, macht sich der Unterschlagung strafbar. Käufer können wegen Hehlerei belangt werden. Für professionelle Archäologen ist die Amateur-Konkurrenz ein Albtraum. Schätzungsweise 10 000 bis 20 000 Hobby-Forscher gibt es in Deutschland, die mit Metallsonden den Wald- und Wiesenboden absuchen und mit Klappspaten durchwühlen. Dabei werden häufig die Fundorte zerstört, der Fund wird meist nicht gemeldet, wertvolle Objekte wie Münzen oder goldene Gefäße wandern in private Sammlungen oder werden an Hehler verkauft. Verlässliche Daten über die verschwundenen Gegenstände gibt es nicht. Der weltweite Graumarkt für Relikte aus der Vergangenheit ist jedoch riesig. Experten schätzen ihn auf mehrere Milliarden Euro.

Für Thomas Schäfer, Direktor des Instituts für klassische Archäologie der Uni Tübingen, sind die „Raubgräber“ – wie Schatzsucher despektierlich genannt werden – eine Plage. Sie zerstörten die historischen Kontexte, in denen die Gegenstände gefunden würden und hinterließen archäologische Kraterlandschaften. „Die Schatzsucher picken sich die Rosinen raus, die kulturhistorischen Informationen, die wir Archäologen suchen, gehen dabei flöten.“

Seit Metallsonden Anfang der 1970er Jahre auch für Privatleute erschwinglich wurden, sind die Hobby-Archäologen unterwegs. Keine bronzezeitliche, römische oder mittelalterliche Fundstätte ist vor ihnen sicher. Gute Metallsonden bekommt man inzwischen schon für 300 Euro. Bis in eineinhalb Meter Tiefe reichen die Geräte – je nach Bodenbeschaffenheit. Oft reicht das.

Viele Funde werden von Hobby-Schatzsuchern gemacht

Archäologen warnen vor einer systematischen Zerstörung des kulturellen Erbes. „Für viele ist das wie eine Sucht – wenn sie einmal damit angefangen haben, können sie nicht mehr aufhören“, sagt Kriminalkommissar Eckard Laufer, Raubgrabungsexperte bei der hessischen Polizei. Dass viele Funde der vergangenen Jahrzehnte von Hobby-Schatzsuchern gemacht wurden, wird auch von den Profis nicht bestritten. Doch anstatt mit den Behörden zusammenzuarbeiten, gehen sie auf eigene Faust los und räumen Fundstätten leer. Institutsleiter Schäfer verdeutlicht das Ausmaß der Schatzräuberei: Ein verstorbener Sammler von antiken Helmen hatte demnach rund 1000 Exponate gehortet. Da man aber nur in jedem 100. Grab einen Helm findet, könne man davon ausgehen, dass allein durch seine Sammelleidenschaft 10 000 Grabstätten zerstört worden seien. „Ein unwiederbringlicher Verlust für die Forschung und die Öffentlichkeit.“ In Flyern warnen die Denkmalschutzämter vor den dreisten Dieben und fordern die Bevölkerung auf, bei Verdachtsfällen die Polizei zu rufen. Die gezielte Suche nach archäologischen Funden werde mit bis zu 250 000 Euro Geldbuße geahndet, heißt es in einer Broschüre des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums.

Die Schatzsucher wollen diese Anschuldigungen nicht auf sich sitzen lassen. Ein Hobby-Archäologe, der seit mehr als zehn Jahren sondiert, sagt: „Eine kleine Clique von Archäologen kriminalisiert Tausende Sucher, die sich in der Heimatforschung engagieren. Der Sucher ist immer der Dumme. Was er findet, gehört dem Staat. Dass sie ihre Sachen nicht abgeben, ist doch nur logisch.“

Die Rechtslage in Deutschland ist knifflig: Bis auf Bayern gilt in den 15 Bundesländern die Regelung, dass Fundstücke automatisch ins Eigentum des Staates übergehen. Das grundsätzlich auch für Schatzfunde geltende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) greift in diesem speziellen Fall nicht. Bis zur Einführung des BGB im Jahr 1900 wurden Schatzfunde nach dem Prinzip der Hadrianischen Teilung geregelt. Diese nach dem römischen Kaiser Hadrian benannte Regelung sieht vor, dass sich Entdecker und Eigentümer des Grundstücks den Schatz teilen müssen. Der Wert wird von Gutachtern ermittelt, der Fund danach verkauft, der Erlös geteilt. Seitdem Baden-Württemberg 1972 als erstes Bundesland diese Regelung kippte, haben sukzessive alle anderen Länder – bis auf Bayern – das „Schatzregal“ wiedereingeführt. Es besagt, dass herrenlose bis zum Zeitpunkt des Fundes verborgene Schätze mit ihrem Auffinden in staatliches Eigentum übergehen. Rechtliche Grundlage ist ein Passus aus dem „Sachsenspiegel“ – einem bedeutenden mittelalterlichen Rechtsbuch. Darin heißt es: „Jeder Schatz, der tiefer in die Erde vergraben ist, als ein Pflug geht, gehört in die Verfügungsgewalt des Königs.“

Wer in Wald und Flur sucht, braucht eine Nachforschungsgenehmigung, die Privatpersonen nicht erteilt wird. „Die Suche findet unabhängig von den gesetzlichen Regelungen statt“, sagt Walter Franke, Vorsitzender des Wiesbadener Geschichtsforschungsvereins Argus. Er plädiert für eine Reform nach britischem Vorbild. 1996 beschloss das Parlament in London den „Treasure act“: Dieser „Schatzakt“ verpflichtet jeden, seinen Fund umgehend zu melden. Ein Sachverständigenausschuss prüft, ob die Objekte von nationalem Interesse sind. Wenn ja, hat das Nationalmuseum in London ein Vorkaufsrecht: Der Finder erhält einen Betrag in Höhe des Verkehrswertes. „Seitdem sind in England die Fundmeldungen explodiert, während in Deutschland Ebbe herrscht.“ Franke schlägt vor, dass die Bundesländer die Finder ebenso angemessen entschädigen. Realistisch sei das nicht: „ Ehrlich gesagt haben wir keine Hoffnung, dass sich etwas ändert. Angesichts der Sparmaßnahmen haben die Behörden immer weniger Geld, um unser kulturelles Erbe zu schützen.“ Auch in Baden-Württemberg will man am generellen Verbot von illegalen Grabungen festhalten. Dem zuständigen Experten für Illegale Archäologie in der Landesdenkmalpflege, Jonathan Scheschkewitz, zufolge werden auch in Zukunft in aller Regel keine Nachforschungsgenehmigungen an Privatpersonen erteilt: „Von unserer Seite wird es mit Sicherheit keine Änderung des Gesetzes geben.“

Wer mit seiner Sonde loszieht, darf dies nur im Rahmen einer offiziellen Beauftragung durch die Denkmalschutzbehörden. Im April 2013 fand die erste Schulung für 15 Hobby-Archäologen statt, die auf festgelegten Arealen suchen dürfen. Auf das „Vorbild“ England angesprochen, erklärt er: „Die Zustände dort sind problematisch. Sämtliche ungeschützten Fundstellen werden geplündert. Die Funde werden zwar vermehrt gemeldet, aber nur in den seltensten Fällen von öffentlicher Hand aufgekauft. Das Kulturgut verbleibt im Privatbesitz oder gelangt in den Handel, so dass die Objekte oft für die Forschung verloren gehen.“