Wohnzimmer-Atmosphäre mit Panorama-Blick auf den Marktplatz: Damit will Osiander punkten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Obwohl der Kuchen immer kleiner wird, glauben die großen Buchhändler Osiander und Wittwer an den Markt Stuttgart. „Die anderen jammern, wir investieren“, sagt Christian Riethmüller, Geschäftsführer von Osiander.

Stuttgart - Stuttgart muss voller Bücherwürmer sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass innerhalb von zwei Tagen Osiander am Marktplatz und Hugendubel im Dorotheen- Quartier neue Läden eröffnen? Darüber kann Reiner Steegmüller, Inhaber der Buchhandlung Steinkopf am Rotebühlplatz, nur staunen. „Die Lage ist eigentlich unverändert“, sagt er. Der Onlinehandel setze dem Buchhandel weiter stark zu. „Und immer mehr junge Leute lesen heutzutage keine Bücher mehr“, sagt Steegmüller, dessen Buchhandlung die älteste der Stadt ist.

Und doch wagt Osiander mit einer Innenausbauinvestition von einer Million Euro in die neue Filiale am Marktplatz und einer geschätzten Monatsmiete von 30 000 Euro den Sprung in ein Haifischbecken. Denn der Markt im Buchhandel ist hart umkämpft. Neben Hugendubel thront am Schlossplatz der Platzhirsch Wittwer – zudem hat Osiander Filialen im Milaneo und im Gerber. Wie es heißt, läuft die Gerber-Filiale schleppend, die Dependance im Milaneo dafür gut.

Trotz aller Umstände und Wagnisse ist Osiander-Geschäftsführer Christian Riethmüller unverdrossen optimistisch. Er glaubt fest an die Chance des inhabergeführten stationären Einzelhandels: „Dass sich in Wittwer, Hugendubel und uns drei solche Familienbetriebe an diesem Standort investieren, ist ein großes Zeichen für die Stadt“, sagt er. Es soll aussagen: Schaut her, es geht doch - den sinkenden Passantenfrequenzen, trotz der drohenden Fahrverbote und trotz des wachsenden Onlinehandel. „Die anderen jammern“, sagt Riethmüller keck, „wir investieren.“

Wettbewerber ja, Feinde nein

Wer vermutet, dass die harte Konkurrenz erbitterte Rivalen erzeugt, irrt. Wittwer-Geschäftsführer Rainer Bartle und Christian Riethmüller sind fast so etwas wie Brüder im Geiste. „Riethmüller und ich denken in diesem Bereich ziemlich ähnlich. Wir wissen beide, dass wir die Rahmenbedingungen nicht ändern können. Das wird auf politischer Ebene entschieden. Aber wir werden alles dafür tun, dass wir auf diesem Markt erfolgreich sind. Wir bekriegen uns nicht“, sagt Bartle von Wittwer. Riethmüller von Osiander ist da noch konsequenter als sein Mitbewerber: „Wenn wir am Marktplatz nicht den nötigen Umsatz machen, dann verkaufe ich alles.“

Nur in der Standortfrage unterscheiden sich die beiden in ihren Meinungen. „Der Marktplatz ist eine Katastrophe: Die Kundenströme werden am Marktplatz vorbeilaufen. Die Stifts- und Sporerstraße wird die neue Achse“, sagt Bartle. Riethmüller hält den Marktplatz indessen für ideal: „Dreimal Wochenmarkt, dazu die vielen Feste und neue Passantenströme wegen des Dorotheen-Quartiers – das ist perfekt.“ Gleichwohl weiß Riethmüller, dass man im Wettbewerb mit Wittwer in vielen Bereichen nicht auf Augenhöhe agieren kann: „Wittwer ist ein Buch-Kaufhaus mit einer riesigen Fläche und dem dazugehörenden Sortiment. Da können wir nicht mithalten.“

Daher hat Osiander aus der Not eine Tugend gemacht: Es wurde bewusst auf Fläche für Buchregale verzichtet. Stattdessen sollen gemütliche Plätze mit Aussicht auf den Marktplatz Kunden zum Schmökern und Kaufen einladen. Die Inspiration für die Innenkonzeption hat sich Riethmüller ausgerechnet in Seattle (USA) im Laden von Amazon geholt. Diese Großzügigkeit geht jedoch nicht nur auf Kosten des Sortiments. Aus diesem Grund blieb kein Platz mehr für ein Café, dass sich so viele Stuttgarter auf dem Marktplatz wünschen. „Wir hätten ein Café eröffnen können, haben uns aber erst mal dagegen entscheiden“, sagt Riethmüller.

Mit Lieferservice punkten

Einigkeit besteht jedoch darin, dass Lieferservice ein Faktor sein kann, um sich vom Onlineriesen Amazon abzuheben. „Der Anteil unserer Stammkunden, die eine Lieferung per Radkurier am selben Tag wünschen, ist auf einen zweistelligen Bereich angewachsen. Das ist ein Merkmal, mit dem wir gegen Amazon punkten können“, sagt Bartle. Auch Riethmüller weiß das und versucht, Wittwer hier zu überflügeln. Lieferungen sind bei Osiander kostenlos.

Nach Lage der Dinge, werden sich die beiden Großen in Stuttgart durchsetzen, ahnt Bartle: „Der Kuchen wird nicht größer. Nur das Kuchenstück für jeden Wettbewerber wird neu definiert. Sollte unseres gleich groß bleiben, wird ein anderes kleiner. Wer auf den neuen Markt keine gute Antwort hat, wird untergehen.“ Bartle weiß auch: „In den vergangenen 15 Jahren haben im zweistelligen Bereich kleinere Buchhandlungen in der Stadt zugemacht. Das bedaure ich. Ich hoffe, dass die, die übrig sind, es schaffen.“

Das Rezept kennen alle Buchhändler: Wer sich als Kleiner am Stuttgarter Buchmarkt behaupten will, muss in einer Nische, mit einem speziellen Sortiment oder einem persönlichen Kundenservice erfolgreich sein. Sowohl Steegmüller am Rotebühlplatz als auch Uscha Kloke vom Botnanger Buchladen haben sich darauf eingestellt. Steegmüllers Alleinstellungsmerkmal ist seine frühe Öffnungszeit: er schließt von Montag bis Freitag schon um 7.30 Uhr auf, samstags um 9 Uhr.

Uscha Kloke setzt dagegen „auf hohe Kundenbindung“. Ihr Rezept, die Buchhandlung im Stadtteil durch Lesungen und Veranstaltungen „zu einem kulturellen Zentrum Botnangs“ zu machen, scheint auch aufgegangen zu sein. Sie sagt daher sehr selbstbewusst: „Ob in der Stadt neue Buchhandlungen aufmachen oder nicht, tangiert uns nicht.“