Gerhard Steinle findet mit der Schäferei noch ein gutes Auskommen. Foto: Faltin

Baden-Württemberg ist Schafland – nur in Bayern grasen mehr Tiere. Doch die Probleme der 2700 Schäfer sind gewaltig; in wenigen Jahren ging die Zahl der Tiere um ein Drittel zurück. Viele Betriebe geben auf; Gerhard Steinle aber trotzt der Krise.

Ilsfeld - Gerhard Steinle scheint ein glücklicher Mensch zu sein. Er lacht viel und mit Wonne, tief in sich ruhend wirkt der 51-jährige Schäfer aus Wüstenhausen bei Ilsfeld: „Ich bin mein eigener Herr und schaff keinen einzigen Tag mehr, wenn ich nicht will“, sagt er. Damit fängt er jetzt schon an und gibt einen Teil der zwei Herden mit 600 Mutterschafen in jüngere Hände. Steinle ist eine Ausnahmeerscheinung, denn er hat seine Schäfchen im Trockenen. Während die meisten Schäfer um das wirtschaftliche Überleben kämpfen, beschäftigt Steinle vier Personen und bilanziert: „Uns geht es gut.“

Doch wie groß die Probleme der Schäferei im Land tatsächlich sind und welch tiefe Gefühle auch der 51-Jährige damit verbindet, offenbart dann ein beiläufiger Satz. Steinle fischt sich ein kleines Lamm aus dem Stall, krault es sanft und sagt: „In 20 Jahren wird es in Baden-Württemberg keine nennenswerte Schäferei mehr geben. Aber ich kann sagen: Ich bin dabei gewesen.“

Es gab nach dem Krieg schon Zeiten mit weniger Schafen – doch der Niedergang beschleunigt sich gerade. 2003 wanderten 300 000 Schafe über die Schwäbische Alb und durchs Gäu; heute sind es noch gut 200 000. Die meisten Schafe grasen im Kreis Reutlingen (20 000 Tiere) und im Zollernalbkreis (16 500 Tieren). Mitte des 19. Jahrhunderts waren es übrigens noch rund eine Million Tiere im Land.

Nur noch 150 Schäfer sind hauptberuflich tätig

Anette Wohlfahrt, die Geschäftsführerin des Landesschafzuchtverbandes, nennt weitere Zahlen, die bitter schmecken: Zwar halten 2700 Personen Schafe, aber es gibt nur noch 150 hauptberufliche Schäfer. Und gerade vier junge Menschen konnten 2016 als Lehrlinge gewonnen werden: „Der niedrige Verdienst und die langen Arbeitszeiten schrecken ab“, meint sie. Ein Berufsstand löst sich auf. Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig. Da ist tatsächlich zuallererst die geringe Entlohnung. In einem Leitfaden des Landes von 2012 wurde errechnet, dass selbst das obere Drittel der Schafbetriebe einen Jahresgewinn von nur 49 000 Euro erzielt; selbst da liegt der Stundenlohn mit 8,48 Euro unter dem Mindestlohn. Im Schnitt hat ein Schäfer ein Einkommen von 27 500 Euro. Der nächste Punkt: Ein Schäfer kann von einer 40-Stunden-Woche nur träumen; im Sommer muss er eigentlich so lange draußen bei seiner Herde bleiben, wie es hell ist. Attraktiv ist der Beruf deshalb nicht mehr. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Schafwolle längst eine Belastung für die Betriebe ist. Die Tiere müssen geschoren werden, doch das kostet laut Gerhard Steinle 2,20 Euro pro Kilogramm Wolle – der Abnehmer zahlt ihm aber nur noch einen Euro dafür. Und: Die Wiesen gehen langsam zur Neige, weil sie in Baugebiete verwandelt wurden oder weil Gülle oder Gärsubstrat aus Biogasanlagen ausgebracht wird. Solches Gras verschmähen selbst die anspruchslosen Schafe.

Mehr als die Hälfte des Einkommens kommt vom Naturschutz

Heute hat ein Schäfer deshalb nur noch zwei bedeutende Einnahmequellen. Das ist erstens das Lammfleisch. Doch die Konkurrenz aus Polen und Neuseeland ist übermächtig. Trotz der Importkosten ist jenes Lammfleisch nur etwa halb so teuer wie das deutsche. Zweitens lebt der Schäfer von staatlichen Geldern; laut Wohlfahrt machen sie im Schnitt 59 Prozent der Einnahmen aus. Der Schäfer erhält die Beträge für die Pflege von Magerwiesen und Hangweiden: „Das sind also keine Subventionen“, so Wohlfahrt.

Das Paradoxe an der Entwicklung der Schäferei ist dies: Alle sind sich einig, dass die Schafherden zu unserem Kulturgut gehören und unverzichtbar sind – und dennoch werden es immer weniger. So sind die Tierschützer für die Schäferei. Im Gegensatz zu Rindern und Schweinen werden Schafe meist sehr naturnah gehalten – eine Tierschutzdebatte ist fast überflüssig. Bei Gerhard Steinle sind die Tiere nur während des Ablammens im Stall, sonst wandern sie sommers wie winters von Weide zu Weide. Künstliche Besamung gibt es nicht, der Bock darf weiter zum Schaf. Und die Lämmer bleiben lange bei der Mutter. Nur dass die Tiere, gerade vor Ostern, schon mit zehn Wochen geschlachtet werden, schmerzt manchen Tierschützer. Das normale Schlachtalter liegt zwischen dem vierten und siebten Monat. Vor Ostern werden laut Statistischem Landesamt etwa doppelt so viele Lämmer wie sonst geschlachtet; jährlich sind es im Land 170 000 Tiere.Auch die Naturschutzverbände stehen fest an der Seite der Schäfer. Die Tiere bewahren die wertvollen Trocken- und Magerrasen mit Margeriten und Wiesensalbei und natürlich auch die Wacholderheiden der Alb vor dem Zuwachsen. Zudem, so sagt Jochen Goedecke vom Naturschutzbund Baden-Württemberg, seien Schafe beliebte Taxis für die Samen bedrohter Pflanzen und für Insekten. Goedecke appelliert an die Politik, die Schäfer besser zu honorieren. Und er fordert das Land auf, die Vermarktung des Fleisches stärker zu unterstützen.

Direkte Vermarktung verschafft Steinle gute Wertschöpfung

Tatsächlich tun Kommunen und Land schon heute viel, um den Schäfern zu helfen. In Bad Urach und Markgröningen gibt es noch kommunal angestellte Schäfer. Und im Herbst findet in Münsingen die erste internationale Schäfertagung statt. Doch trotz aller Bemühungen geben viele auf.

Vielleicht hätten sie vorher mit Gerhard Steinle sprechen sollen. Denn er hat eine Strategie entwickelt, mit der er dem Trend trotzen kann. Drei Punkte führt der Schäfer aus Wüstenhausen an. Erstens habe er gute Verträge zur Landschaftspflege mit den Gemeinden ausgehandelt. Zweitens besitzt er ein kleines Schlachthaus, wo er für sich und andere tätig ist. Und er hat es geschafft, das Lammfleisch direkt zu vermarkten: „So habe ich eine große Wertschöpfung.“ Dass nun noch der 20-jährige Lukas Körner zu ihm gefunden hat, der unbedingt Schäfer werden will und bald eine Herde übernimmt, ist für Steinle die Krönung. Was Körner gefällt an der Schäferei? „Man ist in der Natur, man ist frei“, sagt er – und lacht. Nicht nur das hat er schon von Gerhard Steinle gelernt.