Peter Stirm hat durch die Blauzungenkrankheit unzählige Schafe verloren. Noch gibt es keinen allgemein zugelassenen Impfstoff. So hat der verzweifelte Schäfer seinen Tieren Tee aus der Heilpflanze Artemisia annua serviert – mit erstaunlichen Folgen.
Jeden Morgen, wenn Peter Stirm sich auf den Weg zu seinen Schafen macht, stellt er sich die Frage: „Wie viele liegen heute auf dem Boden?“ Denn wenn die Tiere sich hinlegen, ist das oft ein Hinweis darauf, dass sie krank sind. Doch als sich Peter Stirm an diesem kühlen, nebeligen Herbstmorgen seiner bei Murrhardt grasenden Herde nähert und pfeift, laufen alle Schafe flink auf ihn zu. „Das ist ein gutes Zeichen“, sagt er und klingt erleichtert.
Im Sommer war das anders. Da hat Peter Stirm viel zu viele liegende, geschwächte Schafe gefunden, die nicht mehr aufstehen geschweige denn laufen konnten. Schuld war die gefürchtete Blauzungenkrankheit, die mittlerweile auch im Rems-Murr-Kreis und in seiner Herde angekommen war. Mindestens 50 Lämmer seien daran gestorben, erzählt Peter Stirm, der irgendwann mit dem Zählen aufgehört hat: „Täglich Leichen vom Acker tragen, das geht an die Substanz.“
Für Schafe ist das Virus besonders gefährlich
Als einige seiner Schafe im Juli plötzlich etwas schlapp wirkten und Durchfall hatten, war Peter Stirm zunächst nur mäßig beunruhigt. Er vermutete Darmparasiten als Ursache und verabreichte den Tieren eine Wurmkur. Etwas später erfuhr er aber, dass sich die von einem Virus ausgelöste und von kleinen, blutsaugenden Mücken – sogenannten Gnitzen – übertragene Blauzungenkrankheit über Belgien und die Niederlande in raschen Tempo bis nach Deutschland ausgebreitet hat. Da fiel bei ihm der Groschen.
Sein Verdacht bestätigte sich: Ein Teil der Herde, zur Sommerzeit sind es rund 500 Tiere, war mit dem heimtückischen Virus infiziert. Dieses befällt auch Rinder und Ziegen, ist aber für Schafe besonders gefährlich. Erkrankte Tiere bekommen hohes Fieber, sind apathisch und entwickeln Schwellungen im Maulbereich und an der Zunge. Haut und Schleimhäute verfärben sich teils bläulich. Der Übergang vom Fell zur Klaue rötet sich und schmerzt, sodass die Tiere lahmen. Schwer erkrankte Tiere sterben sogar.
Drei Vakzine mit Notzulassung
Im Frühjahr haben drei Hersteller neue Impfstoffe gegen die Blauzungenkrankheit, genauer den Virusstamm BTV-3, entwickelt, die aber alle noch nicht zugelassen sind. Einer der Impfstoffe – welcher, ist nicht bekannt – sei nach wenigen Tagen zurückgezogen worden, weil er offenbar schwerwiegende Nebenwirkungen hatte, sagt Stirm: „Da sind viele Tiere geopfert worden.“ Angesichts der steigenden Zahl von Erkrankungen hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft dann aber per Eilverordnung die Anwendung der drei nicht zugelassenen Impfstoffe bis zum 6. Dezember befristet erlaubt.
Peter Stirm hat bisher keines seiner Tiere impfen lassen, denn er hat nicht nur Gutes über die Vakzine und deren Nebenwirkungen gehört. Zwei Schäferkollegen hätten mit den notzugelassenen Impfstoffen schlechte Erfahrungen gemacht, erzählt der Schäfer. Als Nebenwirkungen seien zum Beispiel bei jungen Schafen Scheinschwangerschaften und sehr schmerzhafte Euterentzündungen aufgetreten. „Wenn das überstanden ist, können die Schafe ihre Lämmer oft nicht mehr säugen, und diese verhungern.“ Aus den Medien kennt er den Fall eines Deichschäfers im Norden, der seine rund 1500 Schafe impfen ließ. Wenig später erkrankten die Tiere dennoch, rund 1000 Tiere starben.
Ein zugelassener Impfstoff kommt erst im Sommer 2025
„Wenn ein Impfstoff funktioniert, investiere ich auch das nötige Geld für die Impfung. Aber wenn ich die Nebenwirkungen nicht kenne und meine Tiere schon erkrankt sind, tue ich ihnen das nicht an“, sagt Peter Stirm. Mit einem zugelassenen Impfstoff für die grassierende Virusvariante BTV-3 sei laut Behörden erst im Sommer 2025 zu rechnen. Derweil entwickelt sich das Virus weiter. In den Niederlanden sind schon Fälle des neuen Virusstamms BTV-12 aufgetreten.
Peter Stirm war verzweifelt. Da vermittelte seine Schwester den Kontakt zum Winnender Pharmazeuten Hans-Martin Hirt, der sich in der Heilpflanzenforschung engagiert. Er gab Peter Stirm kostenlos Bestandteile des chinesischen Beifuß, Artemisia annua. Die Pflanze ist laut wissenschaftlichen Studien hochwirksam gegen Bakterien und Viren. Peter Stirm bereitete damit einen Tee, den er den Schafen zusätzlich zu normalem Wasser hinstellte. Stirm zeigt auf ein weißes Schaf, auf dessen Pelz in großen roten Ziffern das Datum 30.8. prangt. „Das war das erste Schaf, das Artemisia-Tee bekommen hat. Es ist etwa sechs Jahre alt und hat sich wieder gut von der Krankheit erholt.“
Kranke Tiere tranken Tee bis zur Gesundung
Beim Beobachten seiner Herde hat Peter Stirm festgestellt, dass die erkrankten Schafe gezielt den mit Tee gefüllten Kübel ansteuerten und daraus tranken. Erste Erfolge seien schon am nächsten Tag zu sehen gewesen, sagt der erfahrene Schafhalter. „Sobald es den Schafen wieder gut ging, haben sie keinen Tee mehr getrunken und sind wieder zum Wasser übergegangen.“
Weil die Tiere bei feuchter Witterung kaum trinken, muss sich Peter Stirm für die kühle Jahreszeit etwas einfallen lassen. Nun füttert er den Schafen Zuckerrübenschnitzel, die mit Tee getränkt wurden, und hofft, dass dies ebenso gut wirkt wie der Tee. Kranke Tiere gibt es in seiner Herde derzeit keine, aber nun muss der Schäfer schauen, dass die Lämmer, die das Virus überlebt haben, durch den Winter kommen. Sie sind selbst für Laien leicht erkennbar, denn sie sind nur etwa halb so groß wie die gleichaltrigen Lämmer, die nicht erkrankt waren.
Ob es im Frühjahr überhaupt Nachwuchs geben wird, muss Peter Stirm abwarten: „Ich weiß nicht, ob meine beiden Böcke nach der Erkrankung noch zeugungsfähig sind.“