Ratten sind Allesfresser und bedienen sich gerne am Müll. Foto: dpa/Max Radloff

Tausende Ratten leben in Weissachs Kanalisation – und trauen sich auch an die Oberfläche. Um die Population unter Kontrolle zu bekommen, muss die Gemeinde tief in die Tasche greifen.

Sie sind klein, flink, haben süße Kulleraugen und einen riesigen Appetit – und sie vermehren sich rasant. Geschätzt 350 Millionen Ratten gibt es in Deutschland. Dass mal eine durch den Bahnhof der Landeshauptstadt oder über die Königstraße huscht, mag für den abgehärteten Großstädter nicht weiter überraschend sein. Viermal so viele Ratten wie Menschen leben in Stuttgart. Ähnliche Quoten erreicht man derweil aber auch anderswo in der Region.

 

In Weissach zum Beispiel: Die kleine Gemeinde im Landkreis Böblingen hat zwei beschauliche Ortsteile, Großstadtfeeling kommt hier selten auf. Ratten erwartet man hier weniger. Auf jeden der rund 7700 Einwohner kommen hier aber sogar drei bis fünf der kleinen Nager. Das rechnete jetzt die Bauamtsleiterin Julia Wagner vor. Die Ratten, laut dieser Schätzung also bis zu 38 000 Stück, leben hauptsächlich in der Weissacher Kanalisation, dort ist es warm und geschützt. Boomt die unterirdische Population, drängen die Ratten jedoch auch immer wieder an die Oberfläche – besonders, wenn dort das Nahrungsangebot stimmt.

Abfälle werden zum Festmahl

Betroffen seien dann vor allem einzelne Straßenzüge, berichtet der Bürgermeister Jens Millow. „Das können in einem Monat aber schon wieder ganz andere sein“, sagt er. Bauamtsleiterin Julia Wagner nennt als aktuelle Problemzone eine Kreuzung in der Weissacher Ortsmitte. Wo die kleinen Nager auftauchen, gibt es meistens reichlich Nahrung. Abfälle, die nicht weggeschlossen sind, das ausgelegte Katzenfutter für den Streuner, Säcke mit Hühnerfutter oder die Kartoffelschalen auf dem Komposthaufen kommen für die vierbeinigen Allesfresser einem Gourmetbüffet gleich.

Weil Ratten über ihren Speichel, Kot und Urin auch Krankheiten übertragen können, gelten die Nager als Schädlinge. Bekämpfen kann die Gemeindeverwaltung das Problem derweil nur in der Kanalisation. Hier werden seit einem Beschluss des Gemeinderats im Jahr 2023 Köderfallen verteilt. Zuvor, so kommentierte es Julia Wagner, sei „nicht immer hundertprozentig etwas gegen die Rattenpopulation“ unternommen worden.

67 Köderfallen kommen zum Einsatz

Die Gemeinde muss sich beim Ködern außerdem an strenge Auflagen halten und sogenannte Risikominderungsmaßnahmen einhalten. Das Rattengift darf etwa keinesfalls mit dem Wasser in der Kanalisation in Berührung kommen.

Die Ratten werden, angezogen vom Köder, in die Box gelockt. Foto: IMAGO/Christian Ohde

In Weissach kommen deshalb seit 2023 spezielle Köderboxen zum Einsatz, die am Gullideckel aufgehängt werden. Die Ratten werden, angezogen vom Köder, in die Box gelockt. Steigt der Wasserspiegel im Kanal und kommt mit der Box in Kontakt, schließt sie sich, das Gift bleibt drin. Laut Bürgermeister Millow eine „smarte Lösung“ – die aber auch kostet. „Leider sind die Köderboxen durch die hohen, rechtlichen Auflagen recht teuer“, sagt er. Eine Box koste rund 390 Euro. Inzwischen baumeln 67 Stück in den Weissacher Kanälen, einmal im Monat werden sie kontrolliert. Manche sind sogar mit Bewegungssensoren ausgestattet. „In stark betroffenen Bereichen haben wir jeden Gullideckel beködert“, erläutert Millow. Einen „flächendeckenden Vernichtungsfeldzug“ nennt er das. Zumindest in den Kanälen sei die Lage inzwischen deutlich besser.

Zieht es die Ratten doch an die Oberfläche, stößt die Gemeinde mit ihrem Handlungsspielraum schnell an ihre Grenzen. „Wir können überirdisch wenig machen“, betont Bauamtsleiterin Wagner. Denn dort befinden sich Nahrungsquellen und Lebensräume oft auf Privatgrundstücken, zu denen die Kommune keinen Zugang hat. „Erst bei gesundheitsgefährdenden Zuständen könnten wir vorgehen“, ergänzt Millow. „Diese Hürde ist recht hoch.“

Verwaltung setzt auf Information

Sind Privatleute betroffen, müssen sie sich also in erster Linie selbst um die Bekämpfung kümmern. Auch deshalb setzt Weissach jetzt auf eine ausführliche Informationskampagne und Prävention: Lebensmittel müssen in gut verschlossene Abfallcontainer, dürfen nicht im Klo heruntergespült oder gar auf den Komposthaufen geworfen werden. Und auch Tierfutter sollte lieber verschlossen untergebracht werden.

Gleichwohl, so sieht es Jens Millow, stehe Weissach mit dem Rattenproblem nicht alleine da. „Das ist überall dasselbe“, sagt er. Das würden auch die vielen Fachleute berichten, mit denen er bei seiner Verwaltungsarbeit zu tun habe. Ganz los wird man die Ratten aber wohl nie werden, das weiß auch der Bürgermeister. „Es ist ein Kampf gegen Windmühlen.“

Was tun gegen Ratten?

Tierschutz
Nicht überall gibt es Zustimmung für die Verwendung von Giftködern für die Rattenbekämpfung – Tierschützern etwa ist diese Methode meist ein Dorn im Auge. Ratten sind sehr soziale und intelligente Tiere – der Tod durch Gift ziehe sich über mehrere Tage.

Bekämpfung
Nach einer Beköderung erholt sich die Rattenpopulation außerdem häufig wieder, weil sich die Tiere so schnell fortpflanzen. Anderswo sucht man deshalb nach effektiveren und tierfreundlicheren Alternativen: In New York etwa wurde im vergangenen Jahr ein Pilotprojekt gestartet, dass statt herkömmlichem Gift Flüssigköder einsetzt, der die Tiere sterilisiert. In der EU ist der Wirkstoff bisher allerdings nicht zugelassen.