Schriftzug vor einem Zug der Deutschen Bahn im Bahnhof in Hanau Foto: dpa

Es ist fast zu einem Ritual geworden: Die Gewerkschaft GDL ruft zum Streik auf – und Pendler wie Unternehmen zittern vor den Auswirkungen. Mit sechs Tagen ist es der längste Ausstand in der Tarifauseinandersetzung.

Stuttgart - Deutschlands Konzerne fürchten durch den einwöchigen Bahnstreik einen Schaden von bis zu einer halben Milliarde Euro. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer forderte die Lokführergewerkschaft GDL am Montag auf, noch die Notbremse zu ziehen und den Streik abzusagen: „Der gesamten deutschen Wirtschaft drohen Schäden von täglich 100 Millionen Euro. Das Vorgehen der GDL ist verantwortungslos und vollkommen unverhältnismäßig.“

Vor allem in der Autoindustrie wachsen die Sorgen. Für die Materialanlieferung und den Transport der Neuwagen spiele die Bahn eine wichtige Rolle, sagte Matthias Wissmann, Chef des Verbands der Automobilindustrie (VDA), unserer Zeitung. „Ein bis zwei Tage lassen sich verkraften.

Gefahr für die Produktionsabläufe

Doch je länger ein Streik im Güterverkehr dauert, desto größer wird die Gefahr, dass die Produktionsabläufe ins Stocken geraten und die Bänder stehen bleiben“, warnte er. Mit einem Streik von einer ganzen Woche werde eine neue Dimension erreicht. „Gewerkschaftliche Eigeninteressen dürfen nicht auf dem Rücken des Unternehmens ausgetragen werden“, so Wissmann.

Bei Daimler bleibt man aber noch gelassen. Dort tauschen sich die Logistiker regelmäßig aus. „Wir beobachten sehr sorgfältig die weitere Entwicklung der Lage“, sagte ein Sprecher. Die Produktion laufe, je nach Situation weiche man auf die Straße aus. Auch eine Sprecherin von Audi sagte, dass die Fertigung aktuell an den Standorten wie etwa Neckarsulm bei Heilbronn gesichert sei. Auch der Transport von Neufahrzeugen über die Schiene laufe bisher wie geplant. Aber: „Auswirkungen des flächendeckenden Streiks im Güterfernverkehr auf unsere Lieferströme sind nicht ausgeschlossen.“ Für diesen Fall hätten die Logistiker Alternativen parat.

Pendler in und um Stuttgart am härtesten betroffen

Auch Hans-Jürgen Reichardt, Leiter der Abteilung Industrie und Verkehr bei der Industrie und Handelskammer Region Stuttgart (IHK), beschäftigt sich nicht zum ersten Mal mit dem Streik. „Wir können bereits auf Erfahrungswerte zurückgreifen“, sagte er. Die hätten beispielsweise gezeigt, dass es die Pendler in und um Stuttgart regelmäßig am härtesten trifft. Diese kämen nur unter erschwerten Bedingungen zum Arbeitsplatz.

Die sei auch für die Unternehmen problematisch, etwa bei Schichtbetrieb, wo für einen reibungslosen Ablauf alle Mitarbeiter anwesend sein müssten. Im Güterverkehr auf der Schiene hielten sich die Auswirkungen dagegen in Grenzen. Nur ein Fünftel des Transports in Deutschland werde über die Bahn abgewickelt, sagte Reichardt. Dass die Bänder stillstehen, sei daher auch nach einer Woche Streik nicht zu befürchten.

Ähnlich schätzt man die Lage in der Chemiebranche ein – einem der wichtigsten deutschen Industriesektoren. Vom Chemie-Branchenverband im Südwesten hieß es, die Firmen seien grundsätzlich von einem Ausstand der Lokführer betroffen. Ein Sprecher verwies allerdings darauf, dass es bereits im November 2014 zu einer ähnlichen Situation gekommen sei.

„Sehr viel Logistik über den Lkw abgewickelt“

Der „Ernstfall“ sei also schon einmal geprobt worden. Außerdem werde in der mittelständisch aufgestellten Branche im Land „sehr viel Logistik über den Lkw abgewickelt“. Nur rund 14 Prozent der Lieferungen für die Chemiefirmen laufen bundesweit über die Bahn. Vor allem ergäben sich Beeinträchtigungen für die pendelnden Mitarbeiter im Schichtbetrieb, sagte ein Verbände-Sprecher.

Vom Baustoffriesen Heidelberg-Cement, einem der drei Dax-Werte im Land, hieß es, sechs Tage Streik könne man überbrücken. Erst bei Lieferausfällen von zwei bis drei Wochen seien Beeinträchtigungen möglich. Heidelberg-Cement wird von der Bahn hauptsächlich mit Brennstoffen wie Koks oder Hüttensand beliefert. Beides wird zur Zementherstellung benötigt. Man verfüge aber über eine ausgedehnte Bevorratung, die dem Unternehmen über Engpässe hinweghelfe.

Von der Situation profitieren könnten dagegen die Speditionen, deren Trucks und Lkw auf den Straßen unterwegs sind. Etwa die Hälfte der Güter im Südwesten, die normalerweise auf Schienen transportiert werden, können demnach auf Straßen verlagert werden, hieß es vom Verband Spedition und Logistik im Südwesten Auf den während eines Streiks steigenden Frachtraumkosten bleiben die Speditionen allerdings oft sitzen.