Der Vorschlag, am Katharinenhospital einen Neubau zu errichten, um ihn wieder abzureißen, wird erst als Satire abgetan, tags darauf aber beschlossen. Foto: Michael Steinert

Bäume werden zum Sterben gepflanzt, Neubauten zum Abriss freigegeben, Ex-Playmates bewerben sich als Co-Oberbürgermeisterin. Im satirischen Jahresausblick ist vieles frei erfunden – und manches wahr.

S-Mitte - Das neue Jahr beginnt mit einer Erkenntnis. Diese Seele ist von einer Bürde befreit. Das Grinsen, das stets so störrisch schien wie ein entgleister Güterzug, ist dem Lächeln des Mannes gewichen, der mit sich und seinem Fahrplan im Persilreinen ist. Es ist Volker Kefer, der Technikvorstand der Bahn, den die Lampen der Kameramänner erhellen (und die Blitzlichter der Fotografen). Er erklärt, eine neue Neukalkulation habe zum Ergebnis, dass die alte Neukalkulation ein falsches Ergebnis gehabt habe. Der Tiefbahnhof werde nicht um ein Viertel teurer. Er wird um ein Viertel billiger.

Die Theologinnen und Theologen für Stuttgart 21 erklären, der Herr selbst habe Kefer erleuchtet. Wenig später verschickt die Nachrichtenagentur dpa die Meldung: Es war nicht Gott, es war Manfred Rommel, der Alt-Oberbürgermeister. Von Rommel stammt der Rat, dass wer falsche Zahlen benutzt, auch falsch rechnen möge, auf dass wenigstens eine Hoffnung auf ein richtiges Ergebnis bleibt. Wenn auch nur eine geringe, ähnlich der auf einen Lottogewinn, einen Flugzeugabsturz oder eine pünktliche S-Bahn.

Von Mia Grays Bewerbung erfährt die Öffentlichkeit nie

Damit verendet diese Aufregung wie ein Baum an der Willy-Brandt-Straße. Fritz Kuhn, der Neu-OB, wendet sich Dringenderem zu. Er gibt bekannt, auf Parteibeschluss sei er des Gender Mainstreaming wegen auf der Suche nach einer Co-Oberbürgermeisterin. Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte, sagt vorsorglich ab. Mia Gray, einst Playmate, inzwischen eher Oben-mit-Model, sagt vorsorglich zu, kommt aber so spät zu ihrer eigenen Pressekonferenz, dass die Öffentlichkeit davon nie erfährt. Alle Journalisten sind längst gegangen, als Gray atemlos in den Saal stöckelt. Um Kuhn von ihrer grünen Seele zu überzeugen, hatte sie versucht, mit der S-Bahn zu fahren.

Damit wendet sich der Verschönerungsverein Wichtigerem zu. Dessen Vorsitzender Erhard Bruckmann erklärt, der Verein sei es leid, Bäume zu spenden, die im Gift der Autoabgase alle zwei Jahre ihr letztes Chlorophyll aushauchen. Es sei nachhaltiger, Grundsteine für neue Spielhallen zu legen, als immer neue Setzlinge zu pflanzen.

Karl-Stephan Quadt, Urgestein aus arbeiterbewegten Vorzeiten der SPD mit Sitz im Bezirksbeirat, kommentiert, eben dies hätten die Sozialdemokraten schon vor 30 Jahren vorhergesagt. Vom wiederkehrenden Lauf der Geschichte gelangweilt, wendet sich Quadt wieder einem neo-sozialdemokratischen Thema zu: der Suche nach Plätzen für Taubentürme. Er beginnt dabei mit der Suche nach dem Taubenbeauftragten der Stadt, von dem Quadt argwöhnt, er sei nichts als eine PR-Erfindung Wolfgang Schusters. Niemand habe den Mann je gesehen. Es scheint, dass die Tauben im Turm vor der Uni-Bibliothek dazu nicken. Möglicherweise picken sie nur nach Körnern. In jedem Fall gurren sie.

Typisch Mann – dieses Gedenken an Gerda Taro

Die Grüne Regina Maria Diebold stößt den Streit um das Gedenken an Gerda Taro erneut an. Dies mit dem Satz, alle bisherigen Pläne zur Würdigung der jung verstorbenen Kriegsfotografin seien „typisch männlich“. Wenn einer Frau gedacht werde, sollten auch Frauen das Gedenken planen. Dieses für das Gender Mainstreaming wichtige Vorhaben dürfe der Stadt durchaus eine gute Viertelmillion Euro wert sein.

Die Liberalen im Bezirksbeirat fordern, sich mit diesem Geld besser Themen der Wirtschaftsförderung zuzuwenden. Sie stellen den Vorschlag zur Debatte, am Katharinenhospital einen fünfgeschossigen Fertigbau zu errichten. Dies helfe der darbenden Baubranche, sagt Christian Wulf, der Fast-Namensvetter eines Polit-Pensionärs, an den sich niemand erinnern mag, schon gar nicht die CDU. Die Grünen protestieren wegen der Frischluftschneise und fordern, vor Baubeginn zumindest alle Standorte aufzulisten, an denen des Ausgleichs wegen neue Bäume gepflanzt werden könnten. Wulf schlägt den Kompromiss vor, den Bau nach einigen Jahren wieder abzureißen. Dies wird von den anderen Fraktionen als Satire abgetan, aber wegen eines Protokollfehlers vom Gemeinderat nur einen Tag später so beschlossen.

Das Stadtplanungsamt deutet nicht das Protokoll, sondern die gesamte Debatte falsch, beendet die Suche nach Standorten für Taubenschläge und beginnt mit der Suche nach Standorten für neue Bäume. Es gibt bekannt, im gesamten Gebiet der Stadtmitte seien 24 Neupflanzungen denkbar, eigentlich nur 23, denn an einem Standort auf der Liste steht bereits einer jener Bäume, die der Verschönerungsverein jüngst gepflanzt hatte, der aber schon wieder verstorben sei. Die 24 sei eine stolze Zahl, allerdings die Finanzierung der Setzlinge bedauerlicherweise ungeklärt.

Kurz darauf reicht das Amt die Zusatzinformation nach, auf den Bäumen könnten auch Tauben sitzen. Vom Verschönerungsverein war bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme zu bekommen.

Wahr und erfunden:

Teile dieses Textes sind wahr, Teile frei erfunden. Die Auflösung:

Eine Neukalkulation, die Stuttgart 21 verbilligt, gibt es nicht. Rommels Rat, wer falsche Zahlen benutzt, möge auch falsch rechnen, ist dagegen echt. Fritz Kuhn sucht keine Co-Oberbürgermeisterin, aber Veronika Kienzle war vor dem OB-Wahlkampf gefragt worden, ob sie kandidieren würde und hat abgesagt. Mia Grays Bewerbung ist selbstverständlich ebenso frei erfunden wie ein Vorschlag des Verschönerungsvereins, Spielhallen zu fördern.

Tatsache ist hingegen, dass neu gepflanzte Bäume in der Stadtmitte regelmäßig binnen weniger Jahre wieder absterben. Wahr ist auch, dass es der Stadt trotz des Engagements eines externen Taubenbeauftragten innerhalb des Jahres 2012 nicht gelungen ist, auch nur einen Standort für einen Taubenturm zu finden. Das Zitat, die Planung für das Gedenken an Gerda Taro sei „typisch männlich“ ist echt – obwohl eine Historikerin zumindest mitgeplant hat. Die Verwirklichung der Pläne soll tatsächlich rund 300 000 Euro kosten.

Dem Vorschlag, das Katharinenhospital mit einem fünfgeschossigen Neubau zu erweitern, der nach wenigen Jahren wieder abgerissen wird, hat der Gemeinderat tatsächlich zugestimmt. Er stammt nicht von der FDP, sondern von Bürgermeister Werner Wölfle. Der Interimsbau soll Millionen im Krankenhausetat sparen. Am Absatz über die Suche nach Standorten für Bäume ist lediglich der erste Satz erfunden. Nur hat die Redaktion nicht versucht, den Verschönerungsverein dazu zu befragen.