Zu zweite an der Spitze: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken beim SPD-Parteitag im Dezember 2019 Foto: imago images/photothek/Thomas Imo

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind am Sonntag seit 100 Tagen SPD-Vorsitzende. Die Partei hat sich stabilisiert. Das ist jedoch nicht unbedingt das Verdienst der beiden.

Berlin - Wer in der Spitzenpolitik ein neues Amt antritt, kann sich auf eine ungeschriebene Regel berufen: Die erste kritische Bilanz wird nach 100 Tagen gezogen, bis dahin wird eine Schonfrist gewährt. „Mein Eindruck ist, die war nach 100 Sekunden schon vorbei“, blickt Saskia Esken auf ihre bisherige Amtszeit mit Norbert Walter-Borjans als SPD-Vorsitzendenduo zurück. Am Sonntag sind die beiden schließlich 100 Tage im Amt. Die SPD, so ist festzuhalten, hat sich zumindest stabilisiert.

Der Start im Willy-Brandt-Haus war holprig

Als die Schwarzwälderin Esken und der Rheinländer Walter-Borjans nach ihrem überraschenden Sieg im SPD-Mitgliederentscheid am Nikolaustag ins Amt gewählt wurden, war die Skepsis gegenüber den beiden GroKo-Kritikern groß - nicht nur bei vielen Journalisten, sondern auch in den eigenen Reihen. Besonders sozialdemokratische Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordnete befürchteten, dass die beiden Neuen die Partei scharf nach links steuern und die Regierung sprengen würden.

Der Start der 58-jährigen Esken und des neun Jahre älteren Walter-Borjans war dann auch einigermaßen holprig. Die beiden zogen – offenbar selbst noch von ihrem Wahlsieg gegen Vizekanzler Olaf Scholz und dessen Teampartnerin Klara Geywitz überrumpelt – unvorbereitet und ohne schlagkräftiges Team ins Willy-Brandt-Haus ein. Ein paar ungelenke Interviews sowie kritische Berichte über Eskens Zeit im Landeselternbeirat Baden-Württemberg trugen zu der Unruhe der ersten Tage und Wochen bei. „Es gab anfangs im Eifer des Gefechts zu viele Botschaften und Ansagen“, räumte Walter-Borjans kürzlich ein. Hinzu kam die unbeantwortete Frage, ob die beiden die SPD nun aus der ungeliebten Koalition führen wollen oder nicht.

Walter-Borjans: Aus Berlin kommt wieder Rückenwind

Inzwischen geht es mit der SPD sachte bergauf – allerdings auch aus Gründen, die Esken und Walter-Borjans nicht zu verantworten haben. Gestört haben die beiden Vorsitzenden die positive Entwicklung jedoch auch nicht. Besonders seit sich in der CDU aufgrund der Ereignisse in Thüringen das Chaos ausbreitete, kann die SPD von sich behaupten, zumindest aktuell nicht der größte Krisenfall in der Koalition zu sein. Sogar als „Stabilitätsanker“ der Bundesregierung sieht sich die SPD seitdem.

Hinzu kam der Wahlsieg in Hamburg, wo die Genossen nach einem von Esken und Walter-Borjans freien Wahlkampf 39 Prozent holten und weiter mit den Grünen regieren können. In bundesweiten Umfragen liegt die SPD inzwischen bei 15 bis 17 Prozent. Das ist zwar immer noch deutlich weniger als bei der letzten Bundestagswahl, als die Sozialdemokraten auf historisch schlechte 20,5 Prozent absackten. Vor der Wahl des neuen Führungsduos dümpelte die SPD allerdings bei nur noch elf bis 13 Prozent Zuspruch. Inzwischen sei es so, „dass aus Berlin anders als noch vor einiger Zeit weniger Gegenwind kommt, sondern durchaus auch Rückenwind“, freute sich Walter-Borjans, als er in dieser Woche im Kommunalwahlkampf in Bayern unterwegs war.

Die Corona-Krise schweißt die Koalition zusammen

Auch von einem Ausstieg aus der Groko ist keine Rede mehr. Zwar ist die Begeisterung bei Esken und Walter-Borjans für das Bündnis mit CDU und CSU in den vergangenen Wochen keinesfalls gewachsen. Das Management der Corona-Krise schweißt Union und SPD jedoch aktuell zusammen. Binnen Tagen schnürte die Koalition ein Maßnahmenpaket, um Arbeitnehmer und Unternehmen vor den ökonomischen Auswirkungen der Epidemie zu schützen. Erfüllt werden damit auch Forderungen nach Milliardeninvestitionen, die Esken und Walter-Borjans bereits vor der Krise erhoben hatten.

Inzwischen diskutiert die SPD sogar wieder darüber, bei der nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Bis zum Jahresende soll die Frage geklärt werden. Esken und Walter-Borjans winken allerdings ab, sie hegen keine Ambitionen. Sie seien angetreten, „um die SPD als erkennbar und glaubwürdig sozialdemokratische, gestaltende Kraft in diesem Land sichtbar und stark zu machen“, begründete Esken den Verzicht. Diese Aufgabe sei „groß genug“. Eine solche Ansage ist ungewöhnlich für Parteivorsitzende, eröffnet aber Spielraum für andere Interessierte. So könnte Olaf Scholz am Ende doch noch zum Kanzlerkandidaten werden.