Die Geschichte der Alten Meierei reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Foto: Thomas Graf-Miedaner

Die Projektgruppe Geschichte des Sanierungsgebietes Kaltental hat sich ambitionierte Ziele gesetzt. Zudem wird im Stadtteil ein Jubiläum vorbereitet.

Kaltental - Bei Sanierungsgebieten kommen einem zunächst ganz andere Themen in den Sinn: Wie sollen öffentliche Plätze gestaltet werden, wo verläuft künftig der Radweg, und wie saniert man Häuser möglichst nachhaltig. Das ist auch beim Sanierungsgebiet „Stuttgart 31 Kaltental“ der Fall. Dieses wurde im Frühjahr 2018 in das Landessanierungsprogramm aufgenommen und ist seit Sommer 2018 förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt.

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Mit dem Beginn eines jeden Sanierungsgebietes müssen die Ziele festgelegt werden, und hier geht man in Kaltental neben den üblichen auch etwas ausgefallenere Wege: „Wer einen Stadtteil weiterentwickeln und sanieren möchte, muss diesen auch verstehen und seine Geschichte kennen“, sagt Wolfgang Jaworek, nicht nur Bezirksbeirat in Stuttgart-Süd, sondern auch im Vorstand der Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd und einer der Initiatoren der Themengruppe Geschichte im Sanierungsgebiet. Sein Credo: Wer sich der Frage „Wo will ich hin?“ stellt, muss sich auch der Frage „Wo komme ich eigentlich her?“ stellen.

Gehört der Stadtteil zu Vaihingen oder zum Stuttgarter Süden?

Und die ist gerade in Kaltental sehr besonders: „In Kaltental gibt es historisch gesehen immer schon ein gewisses Identitätsproblem“, sagt Jaworek. Der Stadtteil hing auch nach seiner Eingemeindung nach Stuttgart immer ein wenig zwischen den Stühlen. „Gehört er eher nach Vaihingen oder zum Stuttgart Süden?“ Rein formell ist die Frage seit 1956 beantwortet – zum Stuttgart Süden. Trotzdem heißt es heute oftmals noch „Stuttgart-Süd mit Kaltental“, und auch zieht es viele Bewohner für tägliche Erledigungen eher in Richtung Vaihingen. Jaworek sieht im Prozess rund um das Sanierungsgebiet eine große Chance, sich solchen Identitätsfragen einmal ganz grundlegend zu stellen – und auch Schlüsse für die Stadtteilentwicklung daraus zu ziehen.

Und um sich diesen Identitätsspuren anzunähern, wurde im Sanierungsgebiet Kaltental vor allem auf Initiative von Jaworek und Ingrid Felber-Bischof, Kirchengemeinderätin in der St. Antonius-Gemeinde, die Themengruppe Geschichte gegründet. „Uns ist klar, dass wir im Gesamtkomplex Stadtteilsanierung nur eine Begleitmusik spielen“, sagt Jaworek. Trotzdem ist er guter Dinge, dass diese Begleitmusik ihren Teil zu einer gelungenen Sanierung beitragen kann. Und eben auch den Bürgern von Kaltental historische Themen näherbringt. Erstes Nahziel ist es, bis zum Anna-Scheufele-Fest im Sommer einen historischen Stadtspaziergang auf die Beine zu stellen.

Die Eingemeindung war vor 100 Jahren

Die ersten Themenschwerpunkte, die in der Gruppe gesetzt wurden, beziehen sich vor allem auf die jüngere Geschichte: Von der Eingemeindung 1922 bis zu den heftigen Luftangriffen 1942 fasst Jaworek einen zeitlichen Rahmen zusammen. Themenschwerpunkte, die auch aufwendige Recherche bedeuten: Um beispielsweise die Entwicklung vor und nach 1933 zu untersuchen, gilt es in den Archiven Wahlergebnisse auszuwerten, aber auch Nachforschungen zum sogenannten Judenhaus an der Schwarzwaldstraße anzustellen. Als Judenhäuser wurden in der Zeit des Nationalsozialismus Häuser bezeichnet, die ursprünglich im Besitz jüdischer Bewohner waren und in denen jüdische Bewohner zwangsweise untergebracht wurden, als eine Art Vorstufe zur Deportation. Aber auch die ehemalige Arbeitersiedlung Schlossbergsiedlung spielt eine wichtige Rolle und, auch wenn es zeitlich viel weiter zurückreicht als nur bis 1922, die „Alte Meierei“ an der Burgstraße 34.

Zu den jeweiligen Bereichen wurden jeweils Kleingruppen gebildet. An einem historischen Thema kommt im Jahr 2022 das Sanierungsgebiet Kaltental auch losgelöst von der Projektgruppe Geschichte absolut nicht vorbei: 100 Jahre Eingemeindung Kaltental. In ihrem aktuellen Newsletter hat das Team des Sanierungsgebiets Kaltental einen Aufruf zur Beteiligung gestartet: Was verbindet man mit der Eingemeindung Kaltentals? Gibt es Erzählungen von Verwandten, die dieses Ereignis miterlebt haben? Das Jubiläum lässt natürlich auch die Stadt Stuttgart nicht unberührt. „Es laufen bereits Vorbereitungen für Festivitäten im Sommer“, sagt der Bezirksvorsteher von Stuttgart-Süd, Raiko Grieb. Aktuell coronabedingt allerdings noch mit vielen Unsicherheiten behaftet.

Auch die Projektgruppe Geschichte befasst sich mit der Eingemeindung. Allerdings wird hier die Arbeit auch nach dem Jubiläum weitergehen: auf der Suche nach der Identität eines gesamten Stadtteils.