Die Aussegnungshalle ist ein architektonisches Schmuckstück im neoromanischen Stil, muss innen aber saniert werden. Foto: Horst Rudel

Für empfindsame Gemüter können Bestattungen auf dem Hauptfriedhof in Göppingen eine Belastung sein. Denn ausgerechnet in der Leichenhalle, wo die Verstorbenen aufgebahrt werden, geht es höchst beengt zu.

Göppingen - Ein kleiner Junge drückt sich blass und verschreckt auf dem Flur der Leichenhalle auf dem Göppinger Friedhof herum. Die Tür zur gegenüberliegenden Zelle steht offen. Ein Sarg steht direkt hinter der Öffnung. Zwei, drei Verwandte haben sich in den schmalen Raum gequetscht, um den Großvater des Kindes ein letztes Mal zu sehen. In ihrer Trauer merken sie kaum, dass das Kind vor dem winzigen Raum zurückweicht und an der Wand Schutz sucht. Eigentlich würde auch der Kleine gerne noch einmal Abschied nehmen, doch der Raum ist so eng, der Sarg so groß, der Tod so übermächtig, dass das Kind schließlich flieht.

Seit Jahren fordern die Göppinger Stadträte immer wieder, dass auf dem Friedhof endlich etwas passieren müsse. Denn die weitläufige Anlage mit den riesigen Kastanien, den denkmalgeschützten Großgräbern von Industriellen und dem neoromanischen Gebäudekomplex am Eingang ist zwar architektonisch ansprechend, aber ausgerechnet die Aussegnungs- und die Leichenhalle sind in die Jahre gekommen. Die Stadt hat jetzt zwar einen Sanierungsplan vorgelegt, doch mit dessen Umsetzung will sie sich noch sehr viel Zeit lassen.

Rollstuhlfahrer haben keine Chance, in der Leichenhalle Abschied zu nehmen

Die Aussegnungshalle mit ihrer hohen Lichtkuppel ist eigentlich ein Schmuckstück. Doch der rote Teppich ist ausgefranst und wellt sich. Die Stühle sind abgegriffen, die Beleuchtung ist düster. Und die zwölf Zellen der Leichenhalle sind so eng, dass man direkt vor dem Sarg steht, wenn man eine der Türen öffnet. Mehr als zwei, drei Trauernde gleichzeitig passen nicht in die Räume mit den wundervollen hohen Decken und Bögen, von deren Wänden aber zum Teil der Putz blättert. Rollstuhlfahrer schaffen es erst gar nicht hinein.

Die Stadträte wollen schon lange, dass die Räume saniert werden, immer wieder haben die Fraktionen Anträge zu dem Thema gestellt. Jetzt hat die Stadt den seit Jahren geforderten Masterplan Hauptfriedhof vorgelegt, in dem alle geplanten Maßnahmen zusammengefasst sind: Die Sanierung der Leichenhalle, die 1,3 Millionen Euro verschlingen soll, und die Aussegnungshalle stehen an erster Stelle. Außerdem sollen der Verwaltungstrakt und die Räume der Mitarbeiter, die sich in einem weiteren Gebäude befinden, auf den neuesten Stand gebracht werden. Und es sollen zusätzliche Parkplätze angelegt werden. In der Roßbachstraße soll ein zusätzlicher Eingang gebaut werden. An den Plänen selbst haben die Stadträte nichts auszusetzen. Im Gegenteil, es gab viel Lob für die Arbeit der Planer. Doch beim Blick auf den Zeitplan stockte vielen der Atem: Die Bauarbeiten sollen erst in fünf Jahren beginnen.

Die SPD hält den Zeitplan für einen „schlechten Scherz“

„Das ist eine schöne Vorlage und eine schöne Planung“, sagt etwa die SPD-Stadträtin Christine Schlenker. „Aber der Baubeginn ist viel zu spät. Die Probleme sind schon so lange bekannt, das kann man den Leuten nicht länger zumuten.“ Ihre Fraktion bezeichnet den Zeitplan als „schlechten Scherz“ und fordert, den Sanierungsbeginn auf das kommende Jahr vorzuverlegen. Weil der SPD bewusst sei, dass die Stadt gerade mit einer Vielzahl von Bauprojekten beschäftigt sei, solle sie bei Bedarf andere Projekte benennen, die man verschieben könne. Auch die FWG-Fraktion spricht von der seit Jahren andauernden „Hängepartie“ und fordert, dass die Umsetzung der Pläne im kommenden Jahr beginnt. Wie die SPD sieht die FWG den größten Handlungsbedarf bei der Leichenhalle, gefolgt von der Aussegnungshalle.

Ob die Stadt den Baubeginn doch noch vorzieht, ist offen. Immerhin, ein Aufschrei der Bürger wegen des Sanierungsstaus ist nicht zu erwarten. Denn, wie es Christine Schlenker formuliert, „Trauer ist etwas eher Stilles. Trauernde begehren nicht auf, die haben andere Sorgen.“ Kalt lässt das Thema die Bürger trotzdem nicht, wie das Beispiel einer Seniorin zeigt, die am Donnerstag im Blumenladen neben dem Friedhof Einkaufen war. Die Dame hat bereits gehört, dass die Sanierung erst in fünf Jahren beginnen soll. Ihr Kommentar: „Es ist eine Sauerei. In der ganzen Stadt wird gebuddelt und gebaut, nur für den Friedhof hat man kein Geld übrig. Aber gestorben wird trotzdem.“