Von Ministerpräsident Kretschmann geehrt: Stuttgarts Opernintendant Jossi Wieler Foto: Oper Stuttgart

Ministerpräsident Winfried Kretschmann macht die Sanierung des Staatstheaters Stuttgart zur Chefsache. Was aber ist der „Jahrhundertbeschluss“ wert, fragt „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - Seit 20 Jahren wird in Stuttgart über die notwendige Sanierung des Opernhauses debattiert. Und immer wieder wird die Beseitigung der Mängel in allen Bereichen verschoben. Liefern die Staatsoper und das Stuttgarter Ballett nicht auch so Spitzenkunst mit nationaler und internationaler Ausstrahlung?

Spitzenkunst ist zentrales Thema im Wettbewerb der Metropolregionen

Solches Denken ist fahrlässig. Spitzenkunst wirkt vielfältig in alle gesellschaftlichen Bereiche und ist ein zentrales Thema im international geführten Wettbewerb der Metropolregionen. Folgerichtig will Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beim Thema Zukunftssicherung des Staatstheaters Stuttgart in die Offensive. Ein im grün-schwarzen Kabinett herbeigeführter Ministerratsbeschluss soll Sicherheit geben. Handlungsfähigkeit will man zudem mit einem am Freitag im Opernhaus demonstrierten Schulterschluss von Stadt und Land belegen.

Richtiger Verweis auf Lothar Späths Doppel High Tech und High Culture

Das „Ja“ zu Sanierung und Erweiterung des Staatstheaters Stuttgart mit seinen drei Erfolgssparten Oper, Ballett und Schauspiel sieht Kretschmann als „Jahrhundertbeschluss“. Und mit gutem Grund verwies er im Kabinett auf einen Schrittmacher im Ministerpräsidentenamt – Lothar Späth und dessen Aufbruchsszenario des aktiven Dialogs von Spitzentechnologie und Spitzenkunst.

Was aber ist dieser „Jahrhundertbeschluss“ wert? Diese Frage muss man stellen, wenn es um Summen von bis zu 500 Millionen Euro für das Staatstheater-Areal geht. Und wenn die Berechnungen der Kosten für das Einrichten einer auf mindestens fünf Jahre angelegten Zwischenspielstätte für Oper und Ballett die 50-Millionen-Grenze überschritten haben.

Akzeptanz und Begeisterung schaffen

„Man muss mit transparenten Diskussionen dafür sorgen, dass die relevanten Summen von den Menschen verstanden und gewollt werden.“ Wissenschaftministerin Theresia Bauer hat Recht mit diesem Satz. Er stammt jedoch von Juli 2014 – und wirklich angekommen ist in der Öffentlichkeit die absolute Notwendigkeit der Sanierung und Erweiterung des Staatstheater-Areals in Stuttgart nicht.

Wettbewerbsfähigkeit sichern

Stattdessen knirschte es beim Thema Staatstheater zuletzt im Koalitions-Gebälk. Jetzt rächt sich, dass seit dem ersten grünen Licht im Jahr 2014 die seinerzeit eingeklagte „Transparenz“ kaum hergestellt wurde. Zudem hat man die Staatstheater-Verantwortlichen in immer neue Überprüfungsrunden geschickt. Und ließ zuletzt das Thema Ausweichspielstätte – unnötig dem freien Spiel der Diskussionskräfte freigegeben – zur Hängepartie werden. Rückhalt in der Bürgerschaft von Stadt und Region gewinnt man so nicht. Mehr noch: Die eigentliche Gesamtaufgabe geriet immer weiter aus dem Blick – die Wettbewerbsfähigkeit des größten Dreispartenhauses Europas mit seinen jährlich 500 000 Besuchern zu sichern.

Museum der Gegenwartskunst als warnendes Beispiel

Der „Jahrhundertbeschluss“ wird die Defizite nicht vom Tisch fegen. Er ist ein überfälliges Signal, richtig. Und doch dürfen Winfried Kretschmann und sein Kabinett keine Beifallsstürme erwarten. Selbst in der Kulturszene wird man vorsichtig bleiben. Unvergessen ist der Ausgang, als 1990 ein Kabinettsbeschluss einem wegweisenden Kulturprojekt galt. Das „Ja“ zum Museum der Gegenwartskunst und dem Entwurf von Arata Isozaki war schon 1991 in der Nachfolge von Lothar Späth nichts mehr wert. Dieses Aus riss eine Lücke, die Stuttgart bis heute nicht schließen konnte. Umso mehr gilt es heute, deutlich und erlebbar zu machen: Das Staatstheaterprojekt ist weit mehr als eine Bauaufgabe.

nikolai.forstbauer@stuttgarter-nachrichten.de