Aktivisten bringen am Zaun des Sanctuariums auf dem Pragsattel Trauerflor an. Foto: Susanne Müller-Baji

Nachdem das Gartenamt das Grün der Kunststation Sanctuarium auf der Prag gerodet hat, haben Aktivisten bei einer Performance Trauerflor angebracht.

Feuerbach - Ein eisernes Rund mit vergoldeten Spitzen als letzter Rückzugsort der geschundenen Natur, so hatte sich der niederländische Künstler Herman de Vries (*1931) seine Kunststation vorgestellt. 1993 hat er sie anlässlich der Internationalen Gartenbau-Ausstellung (IGA) auf dem oberen Ausläufer des Leibfriedschen Gartens konzipiert: Ein Areal von elf Metern Durchmesser, in das der Mensch fortan nicht mehr eingreifen sollte. Dann, Mitte März, der Schock: Das Garten-, Friedhofs- und Forstsamt ließ die gesamte Fläche leerräumen (wir berichteten).

Viel ist seither geschehen. Der Artikel rief die Künstlerinnen Anna Ohno und Justyna Koeke auf den Plan: Am vergangenen Wochenende veranstalteten sie eine Performance und brachten mit weiteren Aktivisten Trauerflor am Zaun an. Außerdem erstatteten sie Anzeige gegen das Amt – „wegen Vandalismus“: Es handle sich bei dem Kahlschlag um die mutwillige Zerstörung eines Kunstwerks. Außerdem hat die Fraktion SÖS/Linke-plus eine Anfrage im Gemeinderat eingebracht und fordert die Aufklärung der Angelegenheit.

Stadt hat gründlicher als sonst gestutzt

Amtsleiter Volker Schirner räumt indessen zwar ein, man habe vielleicht etwas gründlicher als sonst gestutzt, er verteidigt den Kahlschlag aber als Beschnitt, wie ihn das „Parkpflegewerk“ vorsieht. Demnach wäre das Sanctuarium kein Kunstwerk sondern ein Teil des Parks. Künstler Herman de Vries beruft sich dagegen auf die Projektbeschreibung und den von der Stadt zur IGA herausgegebenen Katalog, wonach innerhalb des Sanctuariums die Natur uneingeschränkt und zeitlich unbegrenzt wachsen sollte und dem Zugriff des Menschen entrückt sei: „Hätte ich gewollt, dass drinnen etwas gemacht wird, dann hätte der Zaun eine Tür“, so de Vries. Immerhin 2,85 Meter ist der Zaun übrigens hoch, was die Entfernung der Vegetation deutlich erschwert haben dürfte.

Klar ist: Hier treffen zwei Welten aufeinander: Bürokratische Ordnung und künstlerische Vision. Wer hat Recht? Tatsächlich gilt: Obwohl die Stadt Stuttgart die Kunststation erworben hat, darf sie mit ihr nicht nach Belieben verfahren. Das Gesetz räumt der Kunst nämlich eine Doppelnatur ein, bestehend aus dem eigentlichen Gegenstand und seinem geistigem Inhalt. Anders gesagt: Ein Kunstwerk ist mehr als die Summe seiner Materialien. Und dieses „mehr“ bleibt das geistige Eigentum des Künstlers – oder obliegt, nach seinem Tod, 70 Jahre lang seinen Erben. Überdies wird immer wieder die Frage diskutiert, inwieweit beliebte Kunstwerke Teil des kollektiven Kulturempfindens werden: Dürfte, überspitzt formuliert, eine Mona Lisa einfach so im Panzerschrank eines schwerreichen Sammlers verschwinden oder hat das Interesse der Allgemeinheit Vorrang?

Künstler fordert Schadenersatz-Zahlung

Und es kommt hinzu: Seit dem „Schwarzen Donnerstag“ und den Rodungen im Schlossgarten für das Bahnprojekt Stuttgart 21, ist man besonders sensibilisiert für den bisweilen schroffen Umgang der Verantwortlichen mit der Natur – was im Übrigen genau das ist, was das Sanctuarium schon damals visionär angeprangert hatte. Auch Justyna Koeke sagt, dass dieser Aspekt sie am meisten erschüttert – zusammen mit der Respektlosigkeit gegenüber der Kunst und dem uneinsichtigen Verhalten des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes. „Andererseits wollen wir aber auch zeigen, dass wir dankbar für die Kunst sind und dass es eine andere, schöne Seite von Stuttgart gibt.“

Herman de Vries selbst sagt: „Es enttäuscht mich, dass das passiert, obwohl Fritz Kuhn Oberbürgermeister ist und ich über viele Jahre die Grünen gewählt habe, weil die sich anscheinend für die Umwelt einsetzen wollten.“ Er sieht sein Konzept um 25 Jahre zurückgeworfen und will rechtliche Schritte anstreben: So will er eine Entschuldigung und eine verbindliche Erklärung erwirken, dass nicht noch einmal gerodet wird. Darüber hinaus fordert er eine Schadenersatz-Zahlung. Herman de Vries: „Nicht für mich. Sie möchte ich einem gemeinnützigen Verein spenden, zum Beispiel für den Naturschutz.“