„Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muss.“ Samuel Becketts Briefe 1941–1956. Foto: Suhrkamp

Man dreht sich im Kreis. Man fällt hin. Man steht wieder auf. Der Schriftsteller Samuel Beckett erzählt in seinen Briefen aus den Jahren 1941 bis 1956 über Godot, die Malerei, den Erfolg und die Gefangenen.

Wer ist dieser Godot, auf den Vladimir und Estragon warten, am Rande einer Landstraße? Wird er noch kommen? Das ist ganz unwichtig und bleibt dennoch ein Rätsel. Eines, das auch der zweite Band der Briefe Samuel Becketts nicht löst: „Ich selbst kenne ihn noch schlechter als irgendeiner, da mir nie bewusst war, nicht einmal dunkel, was ich brauchte“, schreibt Beckett an Carlheinz Caspari, der „Warten auf Godot“ im Juli 1953 am Staatstheater Karlsruhe inszeniert, ein halbes Jahr, nachdem das Stück am Pariser Théâtre de Babylone seine Uraufführung erlebte. „Wenn sein Name Übersinnliches suggeriert, dann nur in dem Maße, wie ein Haarwuchsmittel göttlich erscheinen kann.“

Seine Briefe zeigen Becketts Wandlung vom unbekannten, obsessiv in sich gekehrten Autor zu jenem Schriftsteller, dem 1969 der Nobelpreis für Literatur zuteilwerden sollte. Zu Beginn des Bandes ist er 34 Jahre alt, hat Gedichte, Kurzgeschichten, Essays und drei Romane verfasst, die zumeist unveröffentlicht blieben. Er hat die Belagerung von Paris erlebt, er hat der Résistance angehört, er schweigt darüber. Seine Korrespondenz aus den Jahren 1941 bis 1945 umfasst nur etwa zwei Dutzend Seiten. Am Ende des Bandes ist Beckett 50 und berühmt.

Ein widerwilliger Anwalt seines Werkes

Schon vor der Uraufführung des „Godot“ am 5. Januar 1953 wird er entdeckt, durch Jérôme Lindon, den Verleger der Éditions de Minuit: Ein Wendepunkt im Leben Lindons, so wie „Godot“ zum Wendepunkt im Leben Becketts wird. Die Briefe führen weit über diesen Punkt hinaus, ihr Leser erlebt, wie der scheue Autor zum widerwilligen und doch leidenschaftlichen Vermittler und Anwalt seines Werkes wird, es gegen Kürzungen verteidigt, sich um Aufführungen bemüht, mit Übersetzern korrespondiert, eigene Übersetzungen anfertigt, stets leidend, stets entschlossen: „Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muss“ – so nennt er seine Bücher.

Sie entstehen in rascher Folge zwischen 1945 und 1950. Beckett versucht zunächst, einen Verleger für „Watt“ zu finden, seinen Roman der Kriegsjahre, er arbeitet als Übersetzer für die Unesco, beginnt seine später berühmten Erzählungen: „Das Ende“, zunächst betitelt „Suite“, bringt den endgültigen Wechsel zur französischen Sprache. Wenige Jahre später nur wird Beckett schreiben: „Ich bin ein schlechter Übersetzer, mein Englisch ist eingerostet.“

Von der sich selbst auslöschenden Subjektivität

Über seine literarische Arbeit verliert er kaum ein Wort. Glühende Briefe jedoch schreibt er über die Malerei, vor allem jene seines Freundes Bram van Velde, der sich zum abstrakten Expressionismus hin entwickelt. Beckett sendet sie an den Kunstkritiker Georges Duthuit und scheint in ihnen so sehr von seiner Literatur, seinen eigenen ästhetischen Zielen wie von der Malerei van Veldes zu sprechen: „Man musste lange auf einen Künstler warten, der mutig genug, gelassen genug ist, um in den großen Wirbelstürmen der Intuition zu begreifen, dass der Bruch mit dem Außen den Bruch mit dem Innen zur Folge hat, dass es für naive Bezüge keine Ersatzbezüge gibt, dass, was Innen und Außen genannt wird, ein und dasselbe ist.“

Beckett hat bereits begonnen, an seiner Romantrilogie zu arbeiten, jenem großen, komischen, obszönen und poetischen Bericht einer zerfallenden, sich selbst auslöschenden Subjektivität. „Warten auf Godot“ entsteht 1948, fünf Jahre vor seiner Premiere, „Der Namenlose“ lässt Beckett ausgebrannt zurück.

Er erwirbt ein kleines Haus in Ussy-sur-Marne, einer Gemeinde rund 60 Kilometer nördlich von Paris. Er versenkt sich in seine Arbeit, pflegt seinen Garten. Nach 1950 kommt seine Produktivität zum Erliegen: Die „Texte um Nichts“ tröpfeln hervor, Beckett leidet unter Depressionen: „Ich bin regelrecht angewidert vom Schreiben“, notiert er 1951. „Ein Stimmungstief, allerdings. Aber ich kenne nichts anderes.“

Beckett freut sich über das „Beckett“-Fiasko in Miami

Godot kommt, kommt nicht – und ändert vieles: Vom Erfolg des Stückes zeigt Beckett sich kaum beeindruckt, in der Zusammenarbeit mit Regisseuren, Schauspielern, Verlegern kehrt er sich nun aber doch nach außen. Ein erster Briefkontakt mit dem S.-Fischer-Verlag und Peter Suhrkamp entsteht, erste Zusammenarbeit mit seinem deutschen Übersetzer Elmar Tophoven. Der Wiesbadener Limes-Verlag bereitet eine mehrsprachige Ausgabe seiner Gedichte vor, dokumentiert im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Beckett besucht zahlreiche Aufführungen des „Godot“, kommentiert jede Nuance, beklagt jede Schwäche, überschüttet Schauspieler und Regisseure mit Anmerkungen. Alec Guinness möchte den Estragon spielen - das Engagement kommt nicht zustande, obwohl auch Beckett es wünscht. In Miami wird „Godot“ zu einem Fiasko – zur Freude seines Autors.

Überwältigend dagegen ist seine Reaktion auf die Aufführung in der Strafvollzugsanstalt Remscheid-Lüttringhausen: Franz-Karl Lembke, ein Häftling, hatte das Stück übersetzt und mit Gefangenen inszeniert. „Lieber Gefangener“, schreibt Samuel Beckett an ihn. „Da, wo ich mich schon immer und für immer im Kreis drehe, hinfalle und wieder aufstehe, ist es nicht mehr völlig dunkel und nicht mehr völlig still.“

Samuel Beckett: Ein Unglück, das man bis zum Ende verteidigen muss. Briefe 1941–1956. Suhrkamp, Berlin. 819 Seiten. 45 Euro