Baden-Württembergs Innenminister Gall schätzt die Gefahr durch Salafisten hoch ein, sieht das Land aber gut gerüstet Foto: dpa

Militante Salafisten pendeln zwischen baden-württembergischer Heimat und ägyptischen Ausbildungslagern. Innenminister Reinhold Gall versichert: Der Staat hat sie fest im Blick.

Stuttgart - Militante Salafisten pendeln zwischen baden-württembergischer Heimat und ägyptischen Ausbildungslagern. Innenminister Reinhold Gall versichert: Der Staat hat sie fest im Blick.

Herr Gall, unsere Zeitung hat deutsche Top-Dschihadisten in Ägypten aufgespürt. Die bereiten sich offensichtlich auf Gewalttaten vor. Welche Erkenntnisse haben Sie darüber und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Ich sehe, dass Ihre Zeitung diese Entwicklung seit geraumer Zeit aufmerksam beobachtet. Was Sie in den vergangenen Tagen berichtet haben, deckt sich weitgehend mit unseren Erkenntnissen. Ich darf allerdings guten Gewissens sagen, dass wir das Thema des militanten Salafismus schon fast seit zehn Jahren intensiv bearbeiten. Wir gehen derzeit von rund 550 Salafisten in Baden-Württemberg aus. Nicht alle stufen wir als problematisch ein. Da gibt es welche, die bloß religiöse Eiferer sind. Aber es gibt eben auch Gewaltbereite. An denen sind wir dicht dran.

Was heißt „dicht“ in diesem Fall?

Wir zeigen diesem Personenkreis ganz offen, dass wir ihn beobachten. So machen wir deutlich: Ihr könnt euch in unserem Land nicht so bewegen, wie ihr wollt. Unsere Sicherheitsbehörden machen Direktansprachen, die Polizei nennt das Irritationsgespräche. Wir zeigen uns als Staat. Und wenn jemand gewalttätig geworden ist, versuchen wir alles auszuschöpfen, was ausländerrechtlich möglich ist - wie kürzlich bei einem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Haftstrafe verurteilten Aktivisten durch Abschiebung. Bei Deutschen haben wir auch schon Ausreisen durch Pass-Entzug verhindert.

Haben Sie den Eindruck, dass die öffentliche Wahrnehmung dieses Themas dem Ausmaß der Gefährdung entspricht?

Die Wahrnehmung wird stets von aktuellen Ereignissen geprägt. Sobald wieder ein Anschlagsversuch erfolgt, rückt das Thema in den Brennpunkt. Wir lassen uns in den Sicherheitsbehörden allerdings nicht vom gerade aktuellen Grad der öffentlichen Wahrnehmung leiten. Wir sind ständig wachsam und stellen uns darauf ein, dass gerade in der Auseinandersetzung mit dem Salafismus die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit verwischen.

Wie lässt sich das Ausmaß der Gefahr angemessen einschätzen?

Es gilt darauf zu achten: Wer wird auffällig, wer entwickelt sich wie weiter? Gerade bei den Personen, die sich selbst immer stärker radikalisieren, ist das besonders schwierig festzustellen. Der Frankfurter Flughafen-Attentäter Arid U. war so ein Fall.

"Die allermeisten Muslime wollen mit Salafismus nichts zu tun haben"

Welchen Aufwand treibt Baden-Württemberg dafür?

Allein im Internetkompetenzzentrum unseres Verfassungsschutzes sind damit rund 60 Mitarbeiter beschäftigt. Sie schauen, wie sich die Szene im Internet präsentiert und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir nicht darauf warten, bis etwas passiert, sondern schauen: Wer steht mit wem in Kontakt? Welche Personen tauchen wo auf? Das Wichtige dabei ist, einzelne Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammen zu fügen. Bisher ist uns das in Deutschland so weit gelungen, dass wir von großen Anschlägen weitgehend verschont geblieben sind. Das heißt aber keineswegs, dass die Gefahr gering oder ein schwerer Anschlag auch für die Zukunft auszuschließen wäre. Das muss ich klar sagen.

Welche Rolle spielen die Kerne der salafistischen Bewegung in Baden-Württemberg?

Fünf solche Kerne sind erkennbar: Heidelberg, Pforzheim, Heilbronn, Stuttgart und Ulm. Ihre Zusammensetzung und ihr Gefahrenpotenzial haben allerdings eine sehr unterschiedliche Ausprägung.

Wie stark schätzen Sie den Rückhalt dieses Milieus unter Muslimen in Baden-Württemberg ein?

Wir reden beim Salafismus über eine Splittergruppe in unserem Land. Die allermeisten Muslime wollen damit überhaupt nichts zu tun haben. Das ist nicht ihre Welt. Und es ist keineswegs so, dass Gewaltbereite immer den Sicherheitsbehörden zuerst auffallen. Bisweilen kommen Hinweise auf eine Radikalisierung aus dem persönlichen Umfeld - oft von Eltern, die sich um ihre Söhne sorgen.

Im Fall des rechtsradikalen NSU hat sich die Vielzahl verschiedener Länder- und Behördenkompetenzen als eine Schwachstelle des Staates erwiesen. Droht dasselbe auch im Umgang mit den Salafisten?

Das glaube ich nicht. In diesem Bereich haben wir uns schon vor Jahren gut aufgestellt, speziell durch das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin. Dort sitzen Behörden von Bund und Ländern buchstäblich am gleichen Tisch und tauschen sich täglich aus. Und wir haben ständig Verbindungsleute dort von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt. Wenn ein observierter Salafist von einem Bundesland in ein anderes umzieht, wird die Information sofort weitergegeben.

Von den 60 Salafisten, die nach Erkenntnissen der Behörden 2012 ausgereist waren, ist es allerdings mindestens zehn gelungen, wieder ins Land zu kommen. Sind die Kontrollen zu lasch?

Da will ich nichts vorgaukeln. Wir können nicht jeden möglichen Gefährder aus Baden-Württemberg rund um die Uhr im Auge behalten, egal ins welches Land er ausgereist ist. Wir versuchen, Reisewege zu erfassen. Illegale Grenzübertritte sind aber nicht komplett auszuschließen. Auch das gehört zur Wahrheit.

Wie hat sich die Form der Zusammenarbeit gerade mit arabischen Ländern durch die Revolutionen geändert?

Durch die jüngsten politischen Umwälzungen gibt es Fälle, in denen der frühere Staatsschutz von der neuen Regierung als Gegner betrachtet wird. Wo gewaltbereite Salafisten früher als gemeinsame Gegner der Bundesrepublik und dieser Länder betrachtet wurden, hat sich das in manchen Staaten völlig geändert.