So sieht ein Auto mit von Hagel zerstörter Frontscheibe aus. Foto: dpa

Das Hagelunwetter vom 28. Juli hält nicht nur Versicherer, Handwerker und Autowerkstätten in Atem, auch Gut- achter im Südwesten sind im Dauerstress. Bei den Sammelbesichtigungen der demolierten Autos herrscht noch immer Hochbetrieb.

Stuttgart - Manchen sieht man die Dellen kaum an, andere Fahrzeuge sehen aus wie Knäckebrot. In der Halle im Westen von Kirchheim/Teck geht es auch zwölf Wochen nach dem Hagelunwetter noch zu wie in einem Taubenschlag. Kaum fährt das eine Auto aus der Halle, rollt das nächste in eine der gut Dutzend aufgebauten Zeltboxen direkt vor die Füße eines Gutachters. Experten inspizieren hier im Auftrag von vier Versicherungen im Halbstunden-Takt von morgens bis abends die zerbeulten Fahrzeuge – mit Laptop, geschultem Blick und einem Hagelsegel, dem dank reflektierender Streifen keine Beule entgeht. Jeden Tag werden hier an die 250 Autos durchgeschleust; bei Modellen mit älterem Baujahr heißt die Diagnose des öfteren Totalschaden.

Kirchheim/Teck ist einer von mehreren Standorten, an denen sich Versicherer Hallen angemietet haben, um Gutachten zu erstellen. Weitere gibt es unter anderem in Tübingen, Reutlingen oder Göppingen – Regionen, die besonders vom Hagel betroffen waren. Die Württembergische Gemeinde Versicherung (WGV) etwa ist an allen Standorten präsent und hat auch zusätzlich externe Gutachter beauftragt, um die knapp 40 000 Auto-Hagelschäden der Unwetter von Juli und August zu begutachten. Täglich schaffen die Experten 400 bis 500 Fahrzeuge. „Die Besichtigungen werden bis Ende November abgeschlossen sein“, sagt ein WGV-Sprecher. Allein die Kfz-Schäden machen bislang 120 bis 130 Millionen Euro aus.

Wie die WGV greifen auch andere Versicherer auf externe Experten zurück – etwa von der Dekra, dem Tüv, Carexpert oder der Schaden-Schnell-Hilfe, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Versicherungskonzern Allianz beispielsweise hat Gutachter aus ganz Deutschland in den Südwesten geschickt und auch Externe beauftragt, um den enormen Arbeitsaufwand stemmen zu können. In der Spitze waren bis zu 50 Regulierer im Einsatz – verteilt auf 18 Sammelbesichtigungen.

Gutachter aus dem Urlaub geholt, Rentner mobilisiert

„In der Hochphase konnten wir rund 800 Fahrzeuge täglich, also 4000 pro Woche begutachten“, sagt eine Sprecherin. Um die Fälle möglichst schnell abzuarbeiten, bekommen die Kunden teils vor Ort ihr Gutachten, das sie dann in der Werkstatt für die Reparatur vorlegen können. Bei Totalschäden erstatten die Versicherer den Zeitwert des Autos. Etliche Fahrzeugbesitzer haben sich das Geld gleich vor Ort überweisen lassen. „Das haben wir unseren Kunden gleich angeboten“, sagt eine Allianz-Sprecherin.

Manche Versicherer haben Gutachter aus dem Urlaub zurückgeholt oder Rentner mobilisiert. Auch beim Prüfkonzern Dekra hat man sich Verstärkung aus dem gesamten Bundesgebiet geholt, um die vielen Schadengutachten im Südwesten möglichst zeitnah erstellen zu können.„Unsere Gutachter arbeiten seit Ende Juli auf Hochtouren“, sagt ein Dekra-Sprecher.

Vereinzelt verzeichnen Versicherer noch Nachmeldungen bei Schäden, doch der Großteil wurde bereits aufgenommen. Bei der SV Sparkassenversicherung wurden bislang rund 6000 Kfz-Schäden gemeldet, was rund 20 Millionen Euro Schaden entspricht. Die Sammlebesichtigungen werden hier noch bis Ende Oktober laufen, sagt ein Sprecher. Mehr ins Gewicht fallen hier vor allem die Gebäudeschäden – weit mehr als 60 000 wurden gemeldet. Zuletzt rechnete die SV mit einer Schadenshöhe von 600 Millionen Euro „Mit 40 Millionen Euro Schaden pro Minute war dies ein außergewöhnlich heftiges Ereignis. Die fünf Kilometer breite und 27 Kilometer lange Hagelzeile verursachte in etwa 15 Minuten mehr Schäden als der Münchener Hagel 1984, das bislang größte Hagelschadenereignis in Deutschland“, heißt es bei dem Versicherer in einer Zwischenbilanz. Bei der R+V Versicherung rechnet man, dass die Kfz-Schäden voraussichtlich alle bis Weihnachten besichtigt sein werden, wie eine Sprecherin sagt.

Hallen angemietet, um Scheiben einzubauen

Während Handwerker im Dauereinsatz sind, um beschädigte Häuser und Dächer zu reparieren, können sich Autowerkstätten mancherorts vor Geschäft kaum retten. In den ersten Tagen und Wochen nach dem Hagel ging es vor allem darum, kaputte Autoscheiben, Lichter und Spiegel zu reparieren. Der Scheibenspezialist Carglass beispielsweise hat allein im Raum Reutlingen und Böblingen 20 bis 25mal soviel Scheiben eingebaut wie sonst üblich, wie eine Unternehmenssprecherin sagt. Teils wurden Hallen angemietet, Mitarbeiter aus Köln, München, Berlin und Hamburg in die Region gesandt. Jetzt habe sich das Geschäft wieder normalisiert, sagt die Carglass- Sprecherin. Doch es habe auch Tage gegeben, da standen bis zu 120 Leute Schlange vor den Werkstätten, weil sie einen Termin haben wollten.

Ludger Wendeler, Vizepräsident des baden-württembergischen Kfz-Gewerbes spricht von einer Sonderkonjunktur für manche Betriebe im Kernhagelgebiet Göppingen, Kirchheim, Reutlingen, spricht aber gleichzeitig von „zwei Seiten der Medaille“. Als geschäftsführender Gesellschafter von Burger Schloz Automobile in Uhingen kennt er beide Seiten. Bei dem Autohaus waren sowohl das Gebäude als auch über 200 Fahrzeuge beschädigt.

„Ein immenser Aufwand“, wie Wendeler sagt. Auf der anderen Seite arbeiten seine Mitarbeiter seit Wochen mit Hochdruck, weil sie so viele Aufträge haben. „Wir haben das Glück, dass wir eine Karosserie- und Lackierabteilung haben“, sagt Wendeler. „Das Hagelthema wird uns noch Monate beschäftigen.“