Die Sachleistungskarte für Flüchtlinge kommt in Baden-Württemberg. Die Gesundheitskarte für Neuankömmlinge ist dagegen vom Tisch. Die SPD kritisiert das.
Stuttgart - 143 Euro Taschengeld erhält ein alleinreisender Flüchtling im Monat – derzeit in bar. Zumindest in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes soll sich das ändern. Im grün-schwarzen Koalitionsvertrag ist die Einführung einer sogenannte Sachleistungskarte verankert. Das Stück Plastik soll verhindern, dass Asylbewerber Bargeld zu Angehörigen in die Heimat schicken können. „Es liegen uns inzwischen mehrere Angebote vor, das Vergabeverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen“, sagte ein Regierungssprecher unserer Zeitung. Wann dies der Fall sei, könne man nicht sagen.
Ursprünglich hätte die Sachleistungskarte schon im Frühsommer dieses Jahres in den Erstaufnahmestellen sein sollen. Durch den Regierungswechsel verzögert sich die Einführung nun allerdings. Erweist sie sich die Geldwertkarte als praktikabel, könnte sie auch in den Kommunen eingesetzt werden.
Gesundheitskarte für neuankommende Flüchtlinge kein Thema mehr
Die elektronische Gesundheitskarte für neuankommende Flüchtlinge und Asylsuchende ist derweil definitiv vom Tisch. Was Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor wenigen Wochen bereits hatte anklingen lassen („Die Karte steht nicht auf der Agenda dieser Regierung“), bestätigte nun eine Stellungnahme der zuständigen Ministerien zu einem Antrag der Landtagsabgeordneten Sabine Wölfle (SPD). Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten bedauerte die grün-schwarze Haltung. „Ich bin der Meinung, dass eine Ärztin oder ein Arzt entscheiden sollte, ob eine Behandlungsnotwendigkeit bei einem Flüchtling besteht und kein Verwaltungsangestellter auf dem Sozialamt“, sagte sie unserer Zeitung.
Noch Ende des vergangenen Jahres habe Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Namen der grün-roten Landesregierung im Gespräch mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darauf gedrängt, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Aber: „Ministerpräsident Kretschmann und Sozialminister Lucha sind gegenüber Innenminister Strobl und der CDU eingeknickt“, sagte Wölfle. Und das, obwohl der Bund die gesetzlichen Regelungen geschaffen und der GKV-Spitzenverband mit dem Deutschen Landkreistag, dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Gemeinde- und Städtebund Ende Mai eine Bundesrahmenempfehlung zur Übernahme der Krankenbehandlung für Nichtversicherungspflichtige gegen Kostenerstattung erarbeitet habe. Auf dieser Basis könnte das Land jetzt eigene Verhandlungen mit den Kommunen und den Kassen führen und Vereinbarungen schließen – was es aber nicht tun wird.
Weg über das Sozialamt bleibt bestehen
Bei der Diskussion um die Einführung einer Gesundheitskartegeht es um die 15-monatige Dauer des sogenannten Grundleistungsbezugs nach der Erstaufnahme. Die Befürworter – wie die SPD, die Landesärztekammer oder der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg – argumentieren, dass eine Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge zu einem Wegfall bürokratischer Hürden, einer Entlastung der Behörden und vor allem zu einer einfacheren und schnelleren Behandlung von kranken Flüchtlingen führe. Die Gegner fürchten durch die Karte einen weiteren Fluchtanreiz und deutlich höhere Verwaltungskosten.
Die Zahl der Grundleistungsberechtigten in Baden-Württemberg betrug zum 1. Juni dieses Jahr rund 92000. Weil die Zugangszahlen der neu ankommenden Flüchtlinge eher rückläufig seien und das BAMF angekündigt habe, Asylverfahren künftig schneller abschließen zu wollen, geht Grün-Schwarz davon aus, dass der Personenkreis der Grundleistungsberechtigten ohnehin immer kleiner werde. Kurzum: Es gibt keinen Handlungsbedarf mehr.
In Baden-Württemberg müssen kranke oder verletzte Flüchtlinge damit in ihren ersten Monaten in einer Kommune auch in Zukunft einen Behandlungsschein beim Sozialamt ausstellen lassen, ehe sie sich von einem Arzt behandeln lassen können. Leben sie länger als 15 Monate in einer Kommune oder erhalten sie einen positiven Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), gelten sie ohnehin als krankenversichert – und erhalten dann auch eine Gesundheitskarte.