Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Liberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger plädiert für mehr Netzfreiheit. Die ehemalige Bundesjustizministerin hält nicht viel vom neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Stuttgart - Die Bewertung, was Volksverhetzung in den sozialen Netzwerken ist, darf nicht den Laien überlassen werden, sagt die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Das sei Sache der Justiz.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Twitter hat den Satz der AFD-Politikerin Beatrix von Storch über die muslimischen „Barbarenhorden“ gelöscht. Hätten Sie das von sich auch getan?
Wahrscheinlich hätte ich ihn nicht gelöscht. Denn die Feststellung, ob es Volksverhetzung ist oder nicht – und das wäre der Straftatbestand, der hier im Raum steht – ist schwierig vorzunehmen, da eine Äußerung nur dann Volksverhetzung ist, wenn sie im Zusammenhang, in dem sie gesagt worden ist, wirklich die Anforderungen erfüllt, die das Verfassungsrecht aufgestellt hat. Karlsruhe hat gerade mit Blick auf Äußerungen von Politikern gesagt, dass im Zweifel ein Beitrag ein Bestandteil politischer Meinungsbildung sein kann. Ob ich den gut oder schlecht finde, spielt keine Rolle. Es sind hohe Hürden gesetzt worden.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Löschung ermöglichte, soll das Netz von „Schmutz“ befreien. Was stört Sie daran?
Anlässlich der Äußerungen von Beatrix von Storch haben viele Strafrechtsprofessoren sich damit befasst. Sie geben zu bedenken, dass man damit versucht, eine Debatte zu beenden oder gar nicht stattfinden zu lassen. Ich halte das neue Gesetz in vielen Punkten für nicht gut, es ist mit Schwierigkeiten behaftet. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass bestimmte politische Richtungen mit einer Beschwerde auf andere zielen, mit der Absicht, dass auf der jeweiligen Plattform deren Äußerungen gelöscht werden. Und dann kommt die Retourkutsche. Ich halte vieles, was im Netz geäußert wird, für widerlich und anstößig. Aber ob es strafbar ist oder nicht, kann der Laie nicht entscheiden. Er aber soll laut Gesetz anhand einer Liste von 20 Straftatbeständen seine Meldung machen. Die Unternehmen werden tendenziell eher löschen, weil sie denken, dann sind sie auf der sicheren Seite angesichts drohender Strafzahlungen.
Die FDP hat für ihre Haltung im Bundestag Applaus von der AFD erhalten. Wie haben Sie das aufgenommen?
Leider erhält man manchmal Zuspruch von der falschen Seite. Die AfD nutzt die sozialen Netzwerke intensiver als andere für ihre Kommunikation. Aber im übrigen sind auch Falschnachrichten nicht verboten. Sie sind kein Straftatbestand, soweit sie nicht mit etwas anderem, etwa übler Nachrede, verbunden sind. Was das Netzwerk anbelangt: Wir brauchen ein einheitliches Beschwerdemanagement auf europäischer Ebene für alle Plattformbetreiber. Zur Zeit kann, was in Deutschland gelöscht wird, noch in Österreich erscheinen. Wir brauchen einheitliche Transparenzrichtlinien darüber, wie viele Meldungen es gibt, was und wo wirklich gelöscht worden ist. Dann erkennt man, was auf den Seiten für Schmutzzeug zu finden ist. Und wir können es nicht den Konzernen überlassen, was Meinungsfreiheit ist und was nicht. Auch beim Datenschutz haben wir auf europäischer Ebene einheitliche Standards auf den Weg gebracht.
Handelt es sich bei der Neuregelung – wenn man den AfD-Duktus verwendet – um ein Zensurgesetz?
Für diese Internetplattformen besteht nicht die Verpflichtung, eine Meinung zu verbreiten, denn es sind Privatkonzerne, keine öffentlich-rechtlichen Anstalten. Sie können auch sagen, von dem oder jenem nehmen wir nichts. Das zieht dann allenfalls eine zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Privatpersonen nach sich. Die Meinungsfreiheit wird schon durch das Gesetz berührt. Denn wird eine Äußerung gelöscht, wird sie natürlich nicht mehr verbreitet. Löschen konnten die Konzerne schon vor dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, aber jetzt sind sie verpflichtet zum Handeln in einem sehr kurzen Zeitraum von 24 Stunden, wenn eine „offensichtliche rechtswidrige“ Äußerung vorliegt. Aber es weiß doch kein Mensch, was das ist. Es ist allein die Aufgabe von Justiz, Staatsanwaltschaft und Strafverfolgungsbehörden, solch eine schwierige Frage zu bewerten. Die haben die Kompetenz dazu. Man könnte über eine Schwerpunktbildung – etwa mit zehn Staatsanwälten – bei den Anklagebehörden nachdenken. Wo kommen wir hin, wenn uns ein Privatkonzern sagt, was Volksverhetzung ist, und der Betroffene kann dagegen nicht mal etwas ausrichten.
Wie könnte die Regierung wieder aus diesem tückischen Gesetz herausfinden?
Es läuft nun wahrscheinlich auf eine Große Koalition hinaus, und die müsste ihr eigenes Gesetz korrigieren. Das Thema muss auf alle Fälle von Europa eingefordert werden, vom zuständigen EU-Kommissar für Digitalisierung. Als das noch Günther Oettinger war, da war das sein Credo: Wenn wir europäische Standards brauchen, dann bei den internationalen Großkonzernen. Da könnte die Kommission was Sinnvolles tun. Aber es ist nicht mein Problem, wie die Große Koalition gesichtswahrend aus dem Murks herauskommt, den sie angerichtet hat. Statt immer über Europa zu reden , sollte sie auf Europa setzen.
Auf dem Dreikönigstreffen sagten einige FDP-Delegierte hinter vorgehaltener Hand, es sei ein Fehler gewesen die Jamaika-Gespräche abzubrechen. Sehen Sie das auch so?
In der FDP gibt es keine offene Debatte über den Abbruch der Jamaika-Gespräche. Dass nun der eine oder andere sagt, es wäre besser anders gelaufen– kann sein. Ich habe – wie wenige andere – gesagt, ich hätte Jamaika als neues Projekt begrüßt. Jetzt bekommen wir eventuell wieder die Groko, die schon in den letzten vier Jahren ermüdend war. Aber es hat aus vielerlei Gründen nicht geklappt, auch, weil wohl die Vertrauensbasis unter den Verhandelnden fehlte.
Ist es politisch weitsichtig, wenn sich die FDP unter Christian Lindner an die Spitze einer Anti-Merkel-Bewegung setzt?
Wenn man als FDP meint, dass es keinen vernünftigen Weg für eine Koalition auf Augenhöhe gibt, ist es verantwortbar, ein Bündnis mit der CDU-Vorsitzenden Merkel und den Grünen abzulehnen. Ich selbst war stets zurückhaltend, wenn es um die Personalbewertungen der Vertreter anderer Parteien geht. Ich will auch nicht, dass andere unser Personal kritisieren. Die anderen müssen selbst wissen, mit wem sie reüssieren. Wir können nicht anderen Parteien vorgeben, welche Personen sie an die Spitze setzen.