Vor der Moderation steht bei den Gegnern die (Streit-)Frage, wer ihre Interessen vertritt.

Stuttgart - Erstmals sitzen sie sich gegenüber, die Befürworter und Gegner des Milliardenprojekts Stuttgart 21. Vor der Moderation durch Heiner Geißler steht neben dem Baustopp bei den Tiefbahnhof-Gegnern die (Streit-)Frage, wer ihre Interessen vertritt.

Gleichklang genießt Gangolf Stocker gern beim Auflegen alter Vinylscheiben. Zu klassischer Musik kommt der gelernte Vermessungstechniker mit Flurbereinigungs-Erfahrung aber seit Wochen nicht mehr. Zu oft klingeln Telefone penetrant dazwischen. Der Widerstand des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 muss organisiert werden. Auch und noch immer von Stocker, dem Widerständler der ersten Stunde.

Habitus des pflegeleichten Schwiegersohns

Vor 15 Jahren, im November 1995, sammelte der heute 66-Jährige erste Mitstreiter um sich. Wenig später gab es eine Vereinsgründung, die die Abwehr des unterirdischen Durchgangsbahnhofs im provozierenden Titel trägt: Leben in Stuttgart, kein Stuttgart21. - Als ob es mit neuem Bahnhof in der Landeshauptstadt kein Leben mehr gäbe. "Wir Bürger durften damals nur über Blumenrabatten mitbestimmen", begründet Stocker seine Motivation.

Die Massenaufläufe mit inzwischen Zehntausenden Demonstranten gegen die neue, 4,1 Milliarden Euro teure Infrastruktur der Bahn sind Stocker späte Genugtuung. Genugtuung für 15 Jahre lang wöchentliche Widerstandstreffen, für 15 Jahre, in denen den Gegnern und ihren alternativen Plänen nach eigenem Empfinden zu wenig Beachtung zuteil geworden ist. Stocker könnte sich zufrieden zurücklehnen - wenn nicht ein neuer, interner Konflikt aufgebrochen wäre.

Jetzt, wo die Medienmaschinerie um die renitenten Schwaben hochtourig läuft und bundesweit Quote bringt, treten andere, neue und frischere Gesichter auf. Eines davon ist Matthias von Herrmann. Der 37-Jährige mit dem Habitus des pflegeleichten Schwiegersohns könnte als zehn Jahre jünger durchgehen. Herrmann baute die Parkschützer-Initiative mit inzwischen 30.500 Mitgliedern im Internet auf, organisiert die Demos mit. Und von Herrmann ist telegen. Der studierte Politologe und EDV-Unternehmer meierte vergangene Woche die ebenfalls nicht maulfaule Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) im ZDF-"heute-journal" ab.

Schon Mitte der 90er Jahre im Park demonstriert

Den forschen Auftritt goutierte im Aktionsbündnis der Gegner nicht jeder. Nicht abgesprochen, nicht überdacht sei der Affront gegen Ministerpräsident Mappus (Herrmann: "Ich diskutiere gern mit ihm - wenn er zurückgetreten ist.") gewesen.

Die Selbstinszenierung des neuen Stars lässt manche Halsader in dem inzwischen auf zehn Partner angeschwollenen Aktionsbündnis schwellen. Auch die von Stocker. Von Herrmann provoziere zu stark, riskiere den Abbruch des beginnenden Dialogs, heißt es im Bündnis. Manche sehen in ihm gar einen Durchreisenden auf dem Weg zum nächsten Happening - heute als Parkschützer in Stuttgart, morgen als Atomgegner vor irgendeinem Kraftwerk in der Republik.

Schon Mitte der 90er Jahre im Park demonstriert

Vor fünf Wochen schon versuchte der frühere SPD-, DKP- und PDS-Mann Stocker, der letztlich 2009 mit dem parteifreien Bündnis Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) in den Stuttgarter Gemeinderat einzog, die Verhältnisse zurechtzurücken. Von Herrmann sei nicht Sprecher des Aktionsbündnisses, hieß es damals. Für dieses zeichne er, Stocker, verantwortlich. Am Wochenende brach das Zerwürfnis, das ein wenig Generationskonflikt in sich trägt, erneut auf.

Am Montag klang Stocker müde. Die Erschöpfung kam nicht nur vom Aktenschleppen, vom Bezug des neuen Bündnis-Quartiers in der alten Bahn-Direktion. "Ich bin Parkschützer Nummer 21", sagt Stocker, und dass er " kein Problem habe, morgen auszusteigen", um sich wieder um seine Bilder zu kümmern. Den erlernten Beruf hat er lange schon gegen die schönen Künste getauscht. Doch einfach aufhören geht nicht. "Wir sind in der Schlusskurve, wir müssen durchhalten", sagt Stocker.

"Wir brauchen einen politischen und strategischen Kopf"

Als langjähriger Aktivist bei Greenpeace hat der Politologe von Herrmann Agitation gelernt. BUND-Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer nimmt ihn in Schutz. "Das ist ein Zugewinn, eine sehr gute Ergänzung der bisher fachlichen und sachlichen Arbeit", findet Pfeifer. Schon Mitte der 90er Jahre habe von Hermann im Park demonstriert. Sein Einsatz sei "authentisch und ehrlich". Empfiehlt sich der junge Parkschützer also für den Runden Tisch mit Geißler?

Von Herrmann selbst nimmt sich zurück: "Wir müssen erst mal die Begriffe Bau- und Vergabeststopp klären, dann kann es gut sein, dass wir Parkschützer dabei sind", sagt er. Zu "unterschiedlichen Vorstellungen des Vorgehens" will er sich nicht äußern. "Politik und Bahn warten doch nur darauf, dass wir uns streiten", sagt von Herrmann. Und: "Wir müssen hart bleiben."

"Wir brauchen einen politischen und strategischen Kopf"

Stocker, von Herrmann, Pfeifer? Weitere Namen aus dem Kreis des Aktionsbündnisses sind im oder bringen sich ins Gespräch. Werner Wölfle, Chef der Grünen-Gemeinderatsfraktion und Landtagsabgeordneter, wird bei der Sondierung mit dem Vermittler Heiner Geißler heute um 17 Uhr im Rathaus ebenfalls am Tisch sitzen. Bis dahin will das Bündnis sich auf eine Themenliste und auf Vertreter verständigt haben. Beides scheint gleich wichtig. Wenn es einen Dissens gebe, sagt Wölfle, werde man ihn intern austragen. Das klingt nach einem Ordnungsruf.

"Wir brauchen einen politischen und strategischen Kopf und einen, der sich im Detail mit dem Projekt auskennt", formuliert Wölfle eine Art Stellenausschreibung. Das Personal sei vorhanden, wer letztlich in die Verhandlungen mit Bahn und Land gehe, aber "überhaupt noch nicht geregelt".

"Wir geben das am Dienstagabend bekannt", nennt Brigitte Dahlbender, die BUND-Landesvorsitzende, den Zeitplan. Sie wolle sich nicht in die Reihe der Namensspekulationen einreihen, sagt Dahlbender. Dann erinnert die 55-Jährige an ihre Qualifikationen. "Ich bin sehr erfahren im Setzen, Lenken und Analysieren von politischen Prozessen, und ich kann moderieren", sagt die gelernte Biologin, Geografin und ausgebildete Mediatorin. Es hört sich wie eine Bewerbung an.