Der Bauzaun an der Nordseite des Stuttgarter Hauptbahnhofs Ende Oktober 2010 – im Dezember wurden die Fotos und Handzettel für das Haus der Geschichte Baden-Württemberg gesichert. Foto: dpa

Weitz setzt im Streit um Stuttgart 21 auf Dialog und bietet weiter Bauzaun-Führungen an.

Stuttgart - Lange war der Verleger des Silberburg-Verlags unschlüssig, was er zu Stuttgart 21 publizieren soll. Dann sind binnen weniger Wochen zwei Bücher erschienen, unter anderem "Der Stuttgarter Bauzaun", herausgegeben von den Kunsthistorikern Sybille und Ulrich Weitz, die Führungen am Bauzaun organisieren.Herr Weitz, wie kam es zu dem Bauzaun-Buch?

Herr Weitz, wie kam es zu dem Bauzaun-Buch?
Als Verlag für die Region wollte der Silberburg-Verlag auf die zunehmende nationale Beachtung von Stuttgart 21 reagieren und etwas publizieren, in dem alle Seiten berücksichtigt werden. Die Ankündigung, der Bauzaun solle ins Haus der Geschichte, und die Zusage etlicher Befürworter von Stuttgart 21, dies zu unterstützen, haben ihm die Entscheidung für dieses Buch leichtergemacht. Man muss hier hinzufügen, dass das Buch im Prinzip schon fertig war, die Fotografinnen Ulrike Mössinger und Heinke Brantsch hatten die Bilder ja schon gemacht. So konnte das Buch in etwa zehn Tagen produziert werden. So schnell hat der Silberburg-Verlag noch kein Buch publiziert.

Wer hat die Auswahl der Fotos getroffen?

Das haben wir weitgehend den Fotografinnen überlassen. Durch unsere Führungen seit Anfang September vergangenen Jahres wusste ich natürlich, welche Objekte besonders wichtig sind. Aber das haben die Fotografinnen ebenfalls sofort erkannt.

Wie war die Situation bei Ihren ersten Bauzaun-Führungen?

Um den ursprünglichen Bauzaun war schon ein weiterer gezogen gewesen. Deshalb war zur Besichtigung eine polizeiliche Genehmigung erforderlich. Das war schon einmal ein erster Schritt zur Anerkennung des Bauzauns als Kunstwerk. Mein Sohn und ich waren auch vom gewaltsamen Einschreiten der Polizei am 30. September betroffen, aber beim Ersuchen um die Genehmigung habe ich den Stuttgarter Polizeipräsidenten als jemanden erlebt, der bemüht war, so etwas möglich zu machen. Die Polizei ist behutsam vorgegangen, lediglich eine Polizistin in Zivil hat uns begleitet. Die Kunstführungen waren also schon vor den Schlichtungsgesprächen ein erster Schritt zum Dialog, die Stuttgarter wollten miteinander reden.

Die Befürworter des Projekts haben sich also ebenfalls für den Protest interessiert?

Zur großen Befürworter-Demonstration Ende Oktober haben wir abends sieben Führungen angeboten. Wir haben auch zugelassen, dass Befürworter dort etwas aufhängen durften. Da hat sich vieles entspannt.

Wie hat sich die Stimmungslage nach dem 30. September geändert?

Davor war es etwa noch möglich, dass die Polizei auf die Abrissfirma am Nordflügel einwirken konnte, dass die Arbeiten zumindest während der Montagsdemonstrationen ruhen. Der Stimmungswandel zeigt sich im Buch auf einer Doppelseite. Da schreibt zum einen ein Polizist aus Franken, dass er extra eine Stunde früher zum Dienst nach Stuttgart gefahren ist, um sich den Bauzaun anzusehen. Und dann gibt es die Plakatserie von Ulrich Nanz, in der er die Agenturbilder der Geschehen im Park am 30. September verwendet.

Wie sind rückwirkend Ihre Erfahrungen mit den Bauzaunführungen?

Wir teilen nicht die Einschätzung des Stadtmarketings, dass Stuttgart 21 abschreckend auf die Besucher der Stadt wirkt. Wir hatten extra Führungen für Mitarbeiter etwa der Telekom oder des Fraunhofer-Instituts, die bundesweit zu Tagungen nach Stuttgart gekommen sind. Da haben wir deren Rahmenprogramm bereichert. Egal was man von Heiner Geißlers Schlichterspruch hält: Diese Vorgehensweise wird ein Modell dafür sein, wie die Bevölkerung bei Großprojekten künftig stärker miteinbezogen wird. Das ist ein riesiger Erfolg. Stuttgart hat also eher an Attraktivität gewonnen - als Stadt neuer Formen der Demokratie.

Stuttgart als Modellfall? Schlägt sich dies auch im Buch nieder?

Wäre ich der Ministerpräsident Mappus, wäre ich sicherlich nicht immer glücklich über vieles, was ich beim Durchblättern sehe oder lese. Dennoch: Vieles, was gezeigt wird, ist geistreich, originell und gekonnt, unterscheidet sich auf jeden Fall von den Plakataktionen der Parteien. Am besten zeigt sich das bei der Umwidmung der offiziellen Kampagne des Landes für den Tiefbahnhof unter dem Motto "Die guten Argumente" zugunsten des Kopfbahnhof-Modells. Man sieht da deutlich: Bei der einen Seite ist es ein bezahlter Job, bei der anderen fließt das Herzblut. 

"Vor allem im plastischen Bereich waren einige richtig gute Arbeiten dabei"

Weshalb ist die Entwicklung an dem Zaun am ehemaligen Busbahnhof anders verlaufen? 

Als klar war, dass der Zaun am Nordflügel zum Kunstobjekt wird und ins Museum kommt, haben sowohl die Bahn als auch die Abrissfirma damit aufgehört, dort Plakate zu entfernen. Wenn noch jemand etwas weggenommen hat, dann waren es Souvenirjäger, denn vor allem im plastischen Bereich waren einige richtig gute Arbeiten dabei. Oder es waren politische Gegner. Der Zaun beim ehemaligen Busbahnhof wird nach wie vor von der Bahn gesäubert. Dabei finde ich, man sollte auch diesen Zaun nutzen dürfen. Der Park als Stuttgarter Hyde-Park, das wäre doch etwas, so etwas hat auch eine therapeutische Wirkung.

Wie werten Sie das Entfernen von Protestplakaten am Zaun?

Wenn ein Hausbesitzer Graffiti an seinem Haus übermalen lässt, dann darf er das. Und der Zaun gehört der Bahn. Bei meinem Plädoyer geht es geht doch mehr um ein Zeichen der Dialogfähigkeit, das die Bahn setzen könnte: der Zaun als Ort, an dem man miteinander reden kann.

Haben Sie auch Führungen am Zaun entlang des ehemaligen Busbahnhofs erwogen?

Aus ganz pragmatischen Gründen habe ich mich auf die ersten drei Segmente am Nordflügel konzentriert: Hier ist der Zaun hinreichend beleuchtet, und ich wollte Führungen dann anbieten, wenn die Leute Zeit haben, also abends und nicht nur an den Wochenenden. Das Buch ist als Dokumentation des Protestes dagegen breiter aufgestellt.

Wie geht es mit den Führungen weiter?

Wir haben kürzlich die Beuys-Ausstellung im Heilbronner Kunsthaus Vogelmann besucht, im Gegenzug kamen einige Heilbronner nach Stuttgart, haben auch etwas von Beuys am Zaun aufgehängt. Inzwischen sind die Beiträge wieder so ergiebig, dass man Führungen anbieten kann. Eine nächste wird es an diesem Donnerstag um 17 Uhr geben. Was ich spannend finde: Auf der Reisemesse CMT haben wir mit einem Bauzaun-Foto Sympathiewerbung für Stuttgart gemacht.

Mein Eindruck ist, dass die neuen Beiträge radikaler, schärfer im Ton sind.

Das kann ich bestätigen. Aber es gibt immer noch viele kleine humorvolle Sachen, bei denen es sich lohnt, auf sie aufmerksam zu machen. Bemerkenswert ist, dass nach wie vor individuelle Proteste überwiegen und nicht irgendwelche Organisationen dominieren. Der Stimmungswandel wird sich aber schon auf den Tenor der Führungen auswirken. Ich will deshalb anhand von Geschichten zeigen, etwa am Beispiel von OB-Schuster-Karikaturen, wie sich die Stimmung geändert hat.