In Einzelteilen wird das Schneidwerkzeug der Tunnelvortriebsmaschine angeliefert. Der Stahlkranz gräbt sich an vorderster Front durch den Untergrund. Foto: Horst Rudel

120 Meter lang ist die S21-Tunnelvortriebsmaschine, die den Weg bahnt für die beiden ICE-Tunnelröhren zwischen Dettingen und Wendlingen. Ihr Kernstück, das Schneidrad, ist jetzt auf der Baustelle abgeladen worden.

Dettingen/Kirchheim - Noch liegt das stählerne Schneidrad in jungfräulicher Unberührtheit in der Frühlingssonne, die das Albvorland bei Dettingen in helles Licht taucht. Doch seine Zukunft ist schwarz, pechschwarz. Ist das 23 Tonnen schwere Teilstück, das am Donnerstag mit einem Tieflader an seinen künftigen Einsatzort bei Dettingen gebracht worden ist, erst einmal in den Bohrkopf eingebaut, dann wird es zwei Jahre lang die Sonne nicht mehr sehen. Solange dauert es, bis sich der dann 120 Meter lange Bohrwurm durch das Gestein bis ins Neckartal nach Wendlingen gefressen hat. Wenn das Wort vom Drecksjob eine Berechtigung hat, dann hier.

Im Parallelbetrieb mit einem baugleichen Zwilling bereitet die Tunnelvortriebsmaschine die Röhren vor, durch die künftig Schnellzüge von Stuttgart an den Albrand und weiter nach Ulm und München donnern werden – mit einer Geschwindigkeit von 250 Kilometern in der Stunde. „Bisher quälen sich die Züge mit rund 70 Stundenkilometern den Albaufstieg bei Geislingen hoch“, sagt Jan Dambach, der für den Abschnitt zuständige Bahnsprecher.

Unter den 25 Tonnen Anpressdruck zerspringt auch Granit

Jeweils 2300 Tonnen schwer sind die beiden Maschinen, die beim Bau des rund acht Kilometer langen und 380 Millionen teuren Voralbtunnels zum Einsatz kommen. Die Schneidräder, die zusammengesetzt bei einem Durchmesser von elf Metern allein schon 190 Tonnen Gewicht auf die Waage bringen, sind die Kernstücke der Anlage. Unter den 25 Tonnen Anpressdruck, den ihre Schneidrollen auf das Gestein bringen, zerspringt selbst Granit in tausend Stücke.

„Das Gestein wird nicht zersägt, sondern durch den hohen Druck regelrecht gesprengt“, sagt Frank Brodbeck, der als Bauleiter des Tunnelvortriebs der Herr über die beiden je 15 Millionen Euro teuren Raupen ist. Deshalb macht ihm die Zusammensetzung des anstehenden Materials auch keine schlaflosen Nächte. „Wir kommen überall durch“, sagt er selbstbewusst.

Der in Kirchheim lebende Tunnelbauer schürft in den kommenden beiden Jahren vor der heimischen Haustüre. Das ist ein seltenes Privileg in einem Beruf, der keine horizontalen, sondern allenfalls vertikale Grenzen kennt. Frank Brodbeck hat sich in seiner Berufslaufbahn weltweit durchgegraben. Er hat unter anderem der Kanzler-U-Bahn zwischen dem Brandenburger Tor und Deutschen Bundestag ihren unterirdischen Weg gebahnt. In Australien hat er eine der weltweit damals größten Vortriebsmaschine 5,5 Kilometer weit unter der Metropole Brisbane durchnavigiert. Mit 12,5 Metern Durchmesser war der Bohrkopf noch einmal um ein Viertel größer, als es die Schneidräder der jetzt zum Einsatz kommenden Maschinen mit den Typenbezeichnungen S-1024 und S-1025 sind.

Die Vortriebsmaschine wühlt sich jeden Tag 40 Meter durch den Untergrund

Während die beiden Maschinen auf dem neun Hektar großen Baustellengelände am Rand der Autobahn zusammengebaut werden, wächst auch die Startbaugrube weiter in die Tiefe. „Bisher sind wir noch rund acht Meter über dem Startniveau“, sagt Brodbeck und deutet auf das Loch, in dem die Vortriebsmaschinen bis September in Stellung gebracht werden sollen. Wenn Brodbeck dann den größtmöglichen Druck auf die Schneidräder gibt, arbeiten sich die Maschine pro Tag 40 Meter Seite an Seite durch das Gestein.

„Im Schnitt sollten wir uns, Wartung und Ruhetage eingerechnet, mit 20 Metern pro Tag in Richtung Neckartal vorantasten“, sagt der Bauleiter. Ist das Loch gebohrt, wird es durch aus sieben Einzelsegmenten zusammengesetzte Betonringe, sogenannte Tübbinge, abgedichtet. 56 000 Segmente, die in einer Produktionsanlage direkt neben der Baustelle gefertigt werden, verschwinden so nach und nach in den beiden Röhren.

Die knapp 8,2 Kilometer lange Tunnelstrecke verläuft 1,5 Kilometer lang direkt unter der Autobahn München-Stuttgart. Davor hat Brodbeck mehr Respekt, als vor noch so festem Gestein. Unterquerungen, sei es von Gebäuden oder Straßen, stellen die Tunnelbauer vor große Herausforderungen. „Bei nur 14 Metern Überdeckung in diesem Bereich darf es zu keinen Setzungen kommen“, sagt er. Zum Vergleich: die mit 70 Metern tiefste Stelle unter der Erdoberfläche erreichen die Tunnelröhren etwa auf halber Wegstrecke.

Sieht der Bohrkopf im Wendlinger Neckartal wieder das Tageslicht, dann sind seine Tage aber auch schon gezählt. „Der Hersteller hat eine Rückkaufoption. Die Hydraulik, die Technik und der Antrieb werden ausgebaut und wiederverwendet“, sagt Bodbeck. Der stählerne Bohrkopf aber wird verschrottet. Drecksjob eben. . .