Die Böblinger Straße führt links, am westlichen Ende des Marienplatzes, hinaus nach Kaltental. Foto: Storck

Während sich die Tübinger Straße aufbrezelt, schick und teuer wird, scheint am anderen Ende, in der Böblinger Straße, die Zeit zu rasten. Wir besuchen in einer Serie Läden und Werkstätten mit langer Geschichte wie den Friseursalon von Heinz Klinger.

S-Süd - „Das ist, wie wie wenn man ins Ghetto einfährt, diese Einbigung in die Böblinger Straße vom Marienplatz her.“ Heinz Klinger ist nicht glücklich mit der baulichen Situation am vorderen Ende der langen Trasse durch den Süden. Überhaupt, sei das hier ja alles ziemlich runtergekommen, schimpft der 70-jährige Chef des Frisörsalons Klinger. „Das hat alles angefangen, als die hier die U-Bahn gebaut haben. Seither zerlegt das Gleisbett die Böblinger Straße in zwei Teile. Das hat die Straße ausgeblutet, ihren Niedergang eingeläutet.“ Klinger ist darüber derart erhitzt, dass man glauben könnte, all das habe sich erst neulich zugetragen. Die U-Bahn-Schienen verlaufen aber schon seit mehr als 40 Jahren in der Mitte der Straße.

Heinz Klinger hat sich soeben in seine Kindheit zurückkatapultiert. Seine Vorstellungskraft ist so farbig und lebhaft, dass ferne Ereignisse ganz nah rücken, vergangene Jahrzehnte liegen nur einen Wimperschlag entfernt. „Meine Eltern sind sonntags gerne auf der Böblinger Straße entlang flaniert. Schöne Geschäfte gab es hier!“

Lebhafte Erinnerung

Die Familie wohnte unweit, in der Möhringer Straße, die Eltern hatten in der Böblinger Straße, nahe dem Marienplatz, ebenfalls einen Frisörsalon. Ihr Heinzle pflegte durch die Hinterhöfe zu fegen, wo vielerlei Gewerke ihre Werkkstätten hatten. Hinter Klingers Frisörsalon, der übrigens genau an jener neuralgischen Stelle liegt, an er die böse U-Bahn aus dem Untergrund an die Oberfläche kommt, gibt es noch so ein kleines Werkstattgebäude im Hof. Klinger hat es zum Fotostudio umfunktioniert. „Hier wurden früher Reklameschilder hergestellt. Als Kind durfte ich zugucken, wie sie die Typos ausgesägt haben.“

Heute finden hier die Shootings statt für die Frisurenbücher und andere Kataloge der Marke Kertu. Kertu ist ein Partnersystem für selbstständige Friseurunternehmen mit eigener Aus- und Fortbildungsakademie in Stuttgart, das Klinger 1977 mit einem Freund gegründet hat. 45 Franchise-Frisöre bundesweit gehören zum Verbund.

Ehemalige Autowerkstatt

In Klingers eigentlichen Salon, einer Art Halle, arbeiten 20 Angestellte, die ihren Chef duzen. Der Raum war ehemals eine Autowerkstatt, deren karg-kühlen Charme Klinger sorgsam bewahrt hat. Er war in vielen Städten zuhause – er weiß, wie man einen eleganten Frisörsalon einrichtet.

Seinen ersten Salon hat er 1973 direkt gegenüber dem elterlichen Ladenlokal im ersten Stock über der Firma Ramsaier eröffnet. Später ist er in die Böblinger Straße 25 umgezogen, wo er heute noch residiert. Als junger Mann hat er längere Zeit in Paris gelebt, ebenso in London und Berlin. Und, wenn man den Lokalpatrioten vorsichtig fragt, ob Stuttgart vielleicht doch ein klein bisschen weniger toll ist als Paris oder andere Metropolen und ihm deshalb die Rückehr etwa von der Seine an den Nesenbach möglichweise nicht total leicht gefallen sein könnte, da guckt er bloß verständnislos. „Stuttgart finde ich obergut!“, erklärt er dann. „Ich liebe diese Topografie. Ich gehe so gerne die Hänge hoch und schaue über die Stadt. Stuttgart ist viel schöner als all diese Pfannkuchen-Städte.“

Manches lässt ihm aber die Haare zu Berge stehen: „Diese Querparkplätze in der Straße sind eine Karastrophe! Von der Straße kann man überhaupt nicht in die Schaufenster und Geschäfte sehen.“