Eunike Engelkind spielt die Frauenrechtlerin Frida Kahlo, die ein bewegendes Schicksal hatte. Foto: Petra Mostbacher-Dix

Das Leben der Frida Kahlo ist nichts für schwache Nerven. Was ihr alles widerfahren ist und was sie draus gemacht hat, war nun im Lapidarium auf der Bühne zu sehen.

S-Süd - Ein Glas? Ach was! Der Gitarrist Pedro stellt gleich die ganze Flasche Tequila auf den Tisch zwischen die Blumen, Bilder, Maiskolben, Haarreife Totenköpfe, Ohrringe und Puppen. Er erinnert an eine Ofrenda. Diesen rituellen Altar mit Leckereien und allerlei Objekten bauen die Mexikaner am Dias de Muertos für ihre Verstorbenen auf, um mit ihnen vom 31. Oktober bis 2. November zu feiern. Und wer Frida Kahlo auf Zeit zu den Lebenden locken will, der braucht viel von dem traditionellen Agaven-Schnaps.

Frida mit dem Holzbein

Die wohl berühmteste Malerin Mexikos, eine der bedeutendsten Vertreterinnen des volkstümlichen Surrealismus, obwohl sie die Surrealisten in Europa verachtete, war keine Kostverächterin. Der Tequila wirkt denn auch. Während Pedro leidenschaftlich spanische Akkorde intoniert, „Frida, oh Frida“ singend, taucht die Beschworene tanzend auf, stellt dabei klar, dass sie zu früh gerufen wurde. Man befinde sich im August – und nicht in Mexiko.

Im städtischen Lapidarium in Stuttgart präsentierten die Anstifter und das Philosophische Cafe im Hegelhaus die Schauspielerin Eunike Engelkind und ihr Ein-Frau-Stück mit Tanz, Gesang und Musik „Frida Kahlo – Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel habe“. Ein idealer Ort um tief in das Leben der Magdalena Carmen Frieda Kahlo y Calderón, die am 1907 in Coyoacán, heute Teil von Mexiko-Stadt, geboren wurde, einzutauchen. Und das ging unter die Haut. Als Sechsjährige „griff“ die „graue Tante“ Kinderlähmung nach ihr, das rechte Bein blieb dünner und kürzer, sie wurde zur „Holzbein-Frida“. „Meine Schwester sagte, ich sei nicht das Kind meiner Mutter“, zitierte Engelkind aus den Schriften der Kahlo. Dennoch schwamm sie, fuhr Rad und kletterte auf Bäume. „Das erste Mal zu springen, tat weh“, so Engelkind, einen blauen Keramiktotenkopf, „Herrn des Schmerzes“, in die Hand nehmend und ihn wehmütig anlächelnd. „Doch dann wurde – neben der Puppe Carmelita – Señor Dolor zu meinem Freund.“

Selbstbildnis im Samtkleid

Umso mehr, als sich ihr bei einem Busunglück eine Stahlstange vom Rücken durch ihr Becken bohrte. Die 18-Jährige fuhr nach Mexiko-Stadt, wo sie eine der besten Schulen des Landes, die Escuela Nacional Preparatoria, besuchte. Sie wollte Ärztin werden. „Der 17. September 1925 änderte alles. Ich war wohl die Erste, die von hinten entjungfert wurde“, so Engelkind, um gleich zu betonen, dass gerade sie so frivol reden dürfe, um mit ihrem Schicksal umzugehen. Operation folgt auf Operation, ein Alltag im Liegen oder im Stahlkorsett. Nach dem Unfall lag sie ein Jahr im Krankenbett – und begann zu malen mit einem Spiegel an der Decke, den ihre mexikanische Mutter Matilde anbringen ließ. Erschreckend ehrliche Selbstbildnisse entstanden: ein Tagebuch voller Schmerz, Zerrissenheit, aber Wünschen, Sehnsüchte etwa nach einem Kind und nach Lebenslust. „Mein erstes“ – Engelkind hob des „Selbstbildnis im Samtkleid“ von 1919 in die Luft.

Die Affinität zu Kunst und Philosophen hatte sie vom deutschen Vater, Guillermo alias Carl Wilhelm Kahlo stammte aus Pforzheim: Der Fotograf nahm sie mit hinaus zu seinen Aufnahmen, in seiner Bibliothek lernte sie Hegel, Feuerbach, Marx und Nietzsche kennen. „Ein Schwabe eben“, so Engelkind. Sie inszenierte denn auch mehr als Kahlos Geschichte, ihr rebellisches Wesen, ihre Provokationen, Kompromisslosigkeit, Affären und Ehe mit dem untreuen, 20 Jahre älteren Starmaler Diego Riviera, „Don Juan in Mexiko-Stadt“, dem sie mitunter die Mädchen ausspannte. Einfühlsam wie schonungslos zeigte die Schauspielerin auch, wie aktuell die politischen und ökologischen Anliegen der Kommunistin sind, die ihr Haar nach Art der Frauen aus Oaxaca trug: Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit waren ihre Ingredienzien, das Leben, seine Vielfalt in ihren Farben zu feiern. Oder wie es Engelkind ausdrückte: „Viva la vida.“