Der Pfosten an der Leonhardstraße wurde feierlich eingeweiht. Er war Anlass einer lebhaften Debatte. Foto: Achim Zweygarth

Der Bezirksbeirat versucht sich an einer Debatte über das vernünftige Verhältnis zum Milieu.

S-Mitte - Vorab standen ein Dank und ein Lob, wie es üblich ist in Geschäftskorrespondenz. Auch die Betreiber von Betrieben im Rotlichtbezirk sind eben Geschäftsleute. Das Lob galt der Tatsache, dass die Leonhardstraße Anfang Mai zur Fußgängerzone erklärt wurde. Ein Sperrpfosten, den bei einem Pressetermin der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer einigermaßen feierlich im Boden versenkt hatte, hält seitdem Autofahrer aus dem Quartier fern. Der Pfosten steht dort zunächst versuchsweise für ein Jahr.

Jene Geschäftsleute im Rotlichtviertel – ein rundes Dutzend – erklärten mit ihrer Unterschrift den Versuch schon heute zum Erfolg. Dann folgte, ebenfalls wie in Geschäftskorrespondenz üblich, ein Aber: Taxifahrer sollen eine Ausnahme sein. Ihnen möge doch bitte die Zufahrt zu den Rotlichtbetrieben ermöglicht werden. „Es ist für Freier eben unangenehm, wenn sie nicht direkt vor den Etablissements in ein Taxi steigen können“, meinte die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle.

Den Brief bekam so ziemlich jeder, der sich im Stuttgarter Rathaus mit dem Leonhardsviertel befasst. Zumindest dem Bezirksbeirat war er Anlass für eine lebhafte Diskussion, wie mit den Milieuwirten überhaupt umgegangen werden sollte. „Die Profiteure von Armutsprostitution sollten wir ignorieren“, meinte der Sozialdemokrat Manuel Krauß – grundsätzlich und immer. Der Brief gehöre einfach in den Papierkorb geworfen. Krauß hatte wohl ein Informationsabend der SPD verbildlicht, unter welchen Bedingungen und für wie wenig Geld Huren heute bis zu 16 Stunden täglich zum Anschaffen geschickt werden. In Stuttgart steht das Thema Armutsprostitution ansonsten zwar immer wieder auf der politischen Tagesordnung, dann wird darüber allerdings eher peinlich geschwiegen als ernsthaft gesprochen.

Mehrheit lehnte freie Fahrt für Taxis ab

Bisher herrschte jedenfalls – auch bei den hiesigen Genossen – eher die Meinung, es sei besser, sich mit den Milieuwirten an einen Tisch zu setzen, damit sich der Rotlichtbezirk nicht vollends vom Rest der Stadt abkoppelt und nach seinen eigenen Regeln pulsiert. Es gibt den runden Tisch Leonhardsviertel, eine regelmäßige Runde mit allen, die im Quartier ansässig sind, sei es gleich welches Geschäfts wegen oder – seltener – weil sie dort wohnen. Auch der seitens der Stadt so viel gelobte Poller war ein Ergebnis dieser Treffen. Außerdem ist es dem Gemeinderat, mit einiger Verzögerung und nach Diskussionen hinter verschlossenen Türen, gelungen, einen eigenen Unterausschuss für das Leonhardsviertel zu gründen. Im Falle des Totschweigens „wäre mindestens der runde Tisch hinfällig“, meinte der Freidemokrat Christian Wulf. Kienzle gab zu Protokoll, „dass ich noch mit jedem rede“.

Die Bezirksvorsteherin hält es für sinnvoll, den stählernen Sperrpoller gegen einen automatischen zu ersetzen, der elektrisch versenkt werden kann – sofern diejenigen ihn bezahlen, die ihn sich wünschen. Abgesehen von der Frage, wer das Recht bekommt, den Knopf zu drücken, wollte zumindest der Bündnisgrüne Bernhard Lutz nicht die Botschaft übermitteln, dass wer bezahlt, bei der Stadt bestellen kann, was ihm behagt. „Privat zu finanzieren, finde ich nicht gut“, sagte er. „Wenn schon, dann von Amts wegen.“

Die vordergründige Entscheidung, die über den Poller, fiel anders: Die Mehrheit der Beiräte lehnte den Wunsch nach freier Fahrt für Taxis ab, obwohl „wir die Debatte damit wahrscheinlich nicht beenden“, wie Kienzle sagte. Die Debatte über den Poller wahrscheinlich nicht, die über den Umgang mit den Geschäftsleuten des Rotlichtmilieus sicherlich nicht.