Tanz im Altenheim: Jung und Alt rocken bei den Proben zur „Corpus Delicti – die Crux mit dem Körper“ im Teatro piccolo. Foto: Martin Haar

Im neuen Stück Corpus Delicti nimmt das teatro piccolo die Kluft zwischen den Generationen und das Altern aufs Korn.

Stuttgart - Corpus Delicti. Der Gegenstand mit dem eine Straftat begangen wurde. So nennen es die Juristen. Doch Künstler haben zuweilen eine andere Perspektive darauf. Die Autorin Juli Zeh zum Beispiel. Sie hat einen Roman „Corpus Delicti“ genannt und den Finger in eine Wunde der Gesellschaft gelegt. Mitten in den Schmerz, den die Gesundheitsdiktatur, der Schönheitswahn und ein Unfehlbarkeitsanspruch bei vielen auslöst, die so, ohne es zu merken, ihrer Mündigkeit beraubt sind.

Einen ganz anderen Blick auf das Thema hat Martin Seeger vom Teatro piccolo. Das Stück, das er gerade mit seinem Ensemble probt, heißt zwar auch „Corpus Delicti“, rückt aber zunächst die Alten in den Mittelpunkt. Oder, wie er es nennt, „Junge und weniger junge Menschen“ und deren „Crux mit dem Körper“. „Überhaupt“, fragt einer der Darsteller bei den Proben, „ab wann ist man alt? Wenn die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen mehr kosten als der Kuchen? Oder wenn Sie plötzlich die Sünden bereuen, die Sie in Ihrem Leben nicht begangen haben? Oder wenn Sie erst Ihr Gebiss und Ihr Hörgerät nötig haben, um zu fragen wo Ihre Brille ist?“

Alles eine Frage der Perspektive, werden Zuschauer im Laufe des Stückes lernen. Denn die Alten im Stück zeigen: „Was, wenn man sich als älterer Mensch plötzlich wieder jung fühlt und zu ungeahnten Höhenflügen ansetzt? Und was, wenn junge Menschen sich bereits angeschlagen fühlen?“ Damit kommen nun auch die Jungen ins Spiel. Auf der Bühne und im Leben. Seeger will zeigen, dass sich die Generationen gegenseitig etwas zu geben haben: „Ich will, dass die Akzeptanz wächst und die Generationen die Verbindung nicht verlieren.“

Alte Menschen verdienen Respekt

Diese Verbindung zeigt sich im Stück in einer Szene zwischen Vater und Tochter. Als die Tochter noch klein ist, nimmt sie der Vater im Spiel zur Aufmunterung huckepack. Später, der Vater ist im Seniorenheim, trägt die Tochter den alten Herrn. Seegers Stück soll eben diese Lücke zwischen Alt und Jung wieder schließen. Es soll den Respekt fördern, der eigentlich längst verloren scheint. Zu diesem Thema sinniert eine Darstellerin laut: „Wenn wir heute einem alten Menschen Respekt zollen, so doch immer dadurch, dass er verhältnismäßig noch jung sei, ja geradezu noch jugendlich. Unser Respekt beruht immer auf einem noch: Noch jugendlich, noch unermüdlich, noch rüstig, noch immer agil, noch alle Zähne, noch am gesellschaftlichen Leben interessiert, noch geistig fit und so weiter. Das heißt doch: Unser Respekt gilt in Wahrheit nie dem Alter, sondern ausdrücklich dem Gegenteil: dass jemand trotz seiner Jahre nicht senil ist.“

In Corpus Delicti bewiesen die Alten und Grauen, „dass sie noch was vor haben und Energie besitzen“ (Seeger). Zum Beispiel bei einem Rock’n’Roll im Pflegeheim mit den Jungen. Hier wird klar: Die zwölf Senioren und vier Jungen des Ensembles können sich gegenseitig bereichern und wechselseitig begeistern. Sie haben Lust, miteinander zu arbeiten, zu spielen und zu tanzen und entdecken Gemeinsamkeiten.

Revue aus Musik, Tanz und Theater

Und allen Zweiflern im Publikum ruft ein Senior in dieser Revue aus Musik, Tanz und Theater zu: „Meine Damen und Herren, machen Sie folgenden Selbsttest: Setzen Sie sich einen Tag lang vor ein morgens frisch gebackenes Brötchen, und bestimmen Sie dann den Zeitpunkt, an dem es altbacken ist. Bereits mittags um 12? Abends um 20 Uhr? Oder gar erst am nächsten Morgen? Sicher ist: irgendwann ist es altbacken. Entscheidend ist: Sie bestimmen den Zeitpunkt!“ Und in die Stille, die diese Sätze auslösen, platzt es aus ihm heraus: „Ein schönes Stück Freiheit, finde ich.“