Im Kindergarten Allerleirauh verbringen Kinder den Tag in der Natur. Foto: Sybille Neth

Ein Gartengrundstück in Kaltental – eingebettet zwischen anderen Gütle – gehört dem Kindergarten Allerleirauh. Er ist im Bohnenviertel beheimatet und wird fast ausschließlich von Kindern aus Migrantenfamilien besucht.

S-Mitte - Manchmal huscht ein Eichhörnchen den Hang hinauf, wo die großen Bäume stehen. Blindschleichen leben auf dem Grundstück – und das Wespennest im Gartenhäuschen ist derzeit eine Riesenattraktion, obwohl die Kinder das Häuschen wegen der Insekten in diesem Sommer nicht zum Spielen benutzen können. Das Gartengrundstück in Kaltental – eingebettet zwischen anderen Gütle – gehört dem Kindergarten Allerleirauh, der im Bohnenviertel beheimatet ist und fast ausschließlich von Kindern aus Migrantenfamilien besucht wird.

Raufklettern, runterklettern

„Einen Garten haben wir keinen, aber einen kleinen Balkon“, erzählt die siebenjährige Marla und wirft ihren Ball in die Höhe. Am liebsten sitzt sie im Baumhaus, doch das haben an diesem Vormittag andere in Beschlag genommen. „Es dürfen nur die Kinder raufklettern, die auch allein wieder runter können“, erklärt Marla die Regeln für das Verhalten im Garten.

Allerleirauh ist ein Waldorfkindergarten, aber ein etwas anderer, denn die Pädagogik nach Rudolf Steiner wird hier nicht so streng ausgelegt: Deshalb kicken einige Kinder mit dem Praktikanten auf der Rasenfläche. „Wir akzeptieren auch, dass die Kinder Spielsachen mitbringen, die wir als nicht so geeignet empfinden“, sagt die Erzieherin Beate Hauser vorsichtig. „Wir sind eine Bedarfseinrichtung und orientieren uns an den städtischen Gebühren“, sagt sie. Auch die Mitarbeit der Eltern, die sonst in Waldorfeinrichtungen großgeschrieben wird, ist hier wenig ausgeprägt.

Dennoch ist es dem Verein wichtig, gerade die Stadtkinder aus dem Bohnen- und dem Lehenviertel für die Natur zu interessieren und ihre Fantasie anzuregen, weil viele von ihnen diese Erfahrungen sonst nicht machen könnten. „Es gibt Eltern, die gehen überhaupt nicht aus dem Haus und haben Angst vor Insekten“, sagt Beate Hauser. Deren Kinder betreten an der Gartenpforte in Kaltental eine unbekannte Welt. Weil der Kindergarten, der an dem Barockgebäude Rosenstraße 36 seine Räume hat, vor seiner eigenen Tür nur ein Minigärtchen hat und einen konfektionierten Spielplatz beim Bischof Moser-Haus nutzen kann, hat sich der Verein Allerleirauh vor etwa zehn Jahren entschlossen, ein Gartengrundstück zu pachten, wo die Kinder toben können und einen Bezug zu den Jahreszeiten und zur Natur entwickeln.

Ein Gärtle zum Lernen

Nach langer Suche und durch einen glücklichen Zufall kam der Trägerverein zu dem Garten, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist – denn dies war ein wichtiges Kriterium. 20 Minuten dauert die Fahrt mit der Straßenbahn, und dann folgt ein kleiner Fußmarsch zum Grundstück. Im Sommer ist bei gutem Wetter immer die Kindergarten- oder die Tagheimgruppe vor Ort. Die Kinder, die den Schülerhort des Vereins besuchen, kommen nachmittags, und in den Ferien wird hier auch gezeltet. Es ist Abenteuer pur, wenn die Kinder auch ein Lagerfeuer machen dürfen und darin die selbst gezogenen Kartoffeln aus dem Gemüsebeet gar werden. „Hier lernen die Kinder den Umgang mit den Elementen“, sagt Ursula Laproulos, die zusammen mit ihrer Kollegin Beate Hause an diesem Vormittag das Frühstück für die Kinder in Rucksäcken nach Kaltental transportiert hat.

Der Verein bezahlt 350 Euro Pacht im Jahr für das Grundstück. Als der Rasenmäher im vergangenen Herbst kaputt gegangen ist, hat die Spendenaktion der Stuttgarter Zeitung – die Hilfe für den Nachbarn – im Rahmen ihrer Projektförderung dem Verein einen Ersatz spendiert. Tatsächlich muss man im Verein Allerleirauh jeden Euro umdrehen. Das beginnt schon bei den Fahrkarten für die Erzieherinnen zum zwei Zonen entfernten Garten. Im Sommer feiert der Verein mit allen Kindern, Eltern und Ehemaligen traditionell ein Sommerfest auf dem Gelände.

„Inzwischen haben wir sogar schon den ersten Enkel in unserem Kindergarten“, sagt Beate Hauser erfreut, denn die betreffende Familie ist in der jetzt dritten Generation der 40 Jahre alten Waldorfeinrichtung treu geblieben.