Die Zufriedenheit der Fahrgäste mit dem Stuttgarter S-Bahn-Angebot hat im vergangenen Jahr weiter abgenommen. Foto: picture alliance/dpa/Tom Weller

Die S-Bahn in Stuttgart ist unpünktlich, Züge mit Produktionsmängeln und Fahrtausfälle sorgen für zusätzliche Ernüchterung. In diesem Jahr könnte es noch schlimmer kommen.

Eigentlich sollte die S-Bahn die tragende Säule der Verkehrswende in der Region Stuttgart sein. Doch überraschende, kurzfristig angekündigte Streckensperrungen, dem Personalmangel und zahlreichen Baustellen geschuldete Zugausfälle und nicht funktionsfähige neue S-Bahn-Züge, die sich zudem nicht mit Fahrzeugen der bisherigen S-Bahn-Flotte kombinieren lassen, haben das Vertrauen vieler Bürger in einen funktionsfähigen ÖPNV gebrochen.

Nun hat die Deutsche Bahn auch noch die S-Bahn-Jahresbilanz 2022 im Verkehrsausschuss der Regionalversammlung vorgestellt. Der Regionaldirektor Alexander Lahl fasst diese so zusammen: „Was wir unseren Fahrgästen in den vergangenen Monaten zugemutet haben und was wir ihnen jetzt immer noch zumuten, ist absolut grenzwertig.“ Das sind die Fakten.

Die Fahrgastentwicklung

Wenn es überhaupt eine positive Zahl gibt, dann ist es die, dass im vorigen Jahr – auch bedingt durch das Neun-Euro-Ticket - wieder deutlich mehr Menschen die S-Bahn genutzt haben als in den Corona-Jahren 2020 und 2021. Waren es 2021 nur knapp 70 Millionen Fahrgäste, so stieg die Zahl 2022 auf 102 Millionen. Das ist zwar noch weit vom Rekordjahr 2019 mit 133 Millionen S-Bahn-Nutzungen entfernt. Aber immerhin habe man, so heißt es von Bahnseite, das Niveau von 2013 wieder erreicht.

Jede Menge Verspätungen

Beim kritischen Thema Pünktlichkeit hat es 2022 hingegen ganz düster ausgesehen. In der Vereinbarung zwischen dem Verband Region Stuttgart (VRS) als Träger des S-Bahn-Verkehrs und der Deutschen Bahn als Leistungserbringer sind Zielwerte festgelegt. Demnach sollten – betrachtet man die Gesamtverkehrszeit - zumindest 94,5 Prozent aller Bahnen weniger als drei Minuten Verspätung haben. Schon 2021 wurde dieser Wert mit knapp 90 Prozent deutlich verfehlt. 2022 waren sogar nur 80,2 Prozent aller S-Bahnen pünktlich. In den Hauptverkehrszeiten liegt dieser Wert sogar nur bei 72,8 Prozent. Auch der vereinbarte Grenze von 98 Prozent für bis zu sechs Minuten verspätete S-Bahnen wurde deutlich verfehlt. Lag er 2021 noch bei 97 Prozent, so ist er nun auf 93 Prozent gesunken.

Sauberkeit, Informationen, Sicherheit

Dass die Fahrgäste mit der Pünktlichkeit im Jahr 2022 deutlich unzufriedener gewesen sind als im Jahr 2021 verwundert nicht. Aber auch in fast allen anderen Bereichen hat die S-Bahn gegenüber dem ohnehin schon mäßigen Vorjahr weitere Sympathien eingebüßt: Für Pünktlichkeit gab es eine 3,0 (2021:2,7), für Sicherheit eine 2,1 (2,0), für Informationen im Regelfall eine 2,3 (2,0) und für die Aufklärung von Verspätungsgründen eine 2,8 (2,7). Lediglich bei der Sauberkeit fiel die Note im vorigen Jahr mit 2,3 minimal besser aus als im Jahr 2021.

Hohe Zahl an Zugausfällen

Anders als beim subjektiv geprägten Schulnotensystem gibt die Zahl der Zugausfälle und der somit nicht gefahrenen Kilometer einen objektiven Anhaltspunkt zum Zustand des S-Bahn-Systems – und der fällt niederschmetternd aus. 2022 haben S-Bahnen, RB-Linien, die Schuster- und die Teckbahn statt der bestellten 12,6 Millionen Kilometer lediglich knapp 11,2 Millionen Kilometer zurückgelegt. Das Minus von mehr als 1,4 Millionen Kilometern – rund zwölf Prozent der Gesamtleistung - ist damit nahezu doppelt so hoch ausgefallen wie 2021. Als Hauptgrund nennt die Bahn Baustellen, bei denen es zu „erheblichen Unregelmäßigkeiten“ gekommen sei. Aber auch pandemie-bedingte Ausfälle werden geltend gemacht. Zu befürchten sei, so hieß es in der Sitzung des Regionalverbands, dass die Zahl der im laufenden Jahr gestrichenen Kilometer sogar noch deutlich höher ausfallen wird als 2022. Einziger Trost: Für nicht gefahrene Kilometer erhält der VRS eine Rückzahlung – und zwar mehr als elf Millionen Euro.

Neue S-Bahnen als Problem

Nicht ganz unschuldig am aktuellen S-Bahn-Dilemma ist die Firma Alstom, bei der der VRS in der jüngeren Vergangenheit 58 neue S-Bahnen gekauft hat - 47 sind mittlerweile ausgeliefert. Dabei gibt es zahlreiche Probleme etwa mit den Schiebetritten oder der Stromversorgung der Züge: Fast keine der gelieferten S-Bahnen funktioniert fehlerfrei. Umfangreiche Reparaturmaßnahmen waren und sind immer noch nötig, um die Bahnen in den Fahrbetrieb integrieren zu können.

Der Alstom-Sprecher Jochen Slabon entschuldigte sich in der Verkehrsausschusssitzung ausdrücklich für die zahlreichen Pannen: „Das ist bei weitem nicht unser Qualitätsanspruch, den wir haben“. Man habe mittlerweile eine Taskforce gegründet, um die teilweise bereits identifizierten, teilweise aber noch nicht geklärten Fehler möglichst schnell beheben zu können. Ende des Jahres, so hofft Alstom, sollen die neuen Züge so wie alle 97 bereits im Jahr 2013 gelieferten Bahnen des Typs 430 einwandfrei laufen.

Die Zulassungsfrage

Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst. Zwar handele es sich, so Alstom, bei den neuen S-Bahnen um denselben Fahrzeugtyp wie bei den bisher vom VVS bereits eingesetzten Fahrzeugen. Von außen betrachtet sähen sie nahezu identisch aus. Aber in zehn Jahren habe sich natürlich einiges verändert. Auch gebe es neue, nun europaweit geltende Zulassungskriterien. Im Ergebnis führt das dazu, dass es das Eisenbahnbundesamt bisher ablehnt, dass der VVS alte S-Bahnwagen mit den neu angeschafften kombinieren darf. Das bringt organisatorische Probleme mit sich und führt schon jetzt zu erheblichen Beschränkungen des S-Bahn-Verkehrs.

Reaktionen aus dem Ausschuss

Im Ausschuss herrschte allgemeines Unverständnis darüber, wie es einem renommierten und erfahrenen Unternehmen wie Alstom passieren konnte, solche wichtigen Details nicht zu kennen. Man sei, so betonte dessen Sprecher Jochen Slabon, aber bereits im Gespräch mit dem Eisenbahnbundesamt, um eine Lösung des Problems herbeizuführen. Wann das konkret der Fall sein könnte, dazu gab er nur vage Auskünfte: Sollte eine Einigung zeitnah gelingen, werde es aber immer noch sieben Monate dauern, ehe alle Zulassungen rechtlich einwandfrei fixiert seien. Es ist also Geduld gefragt.