Für mehr Pünktlichkeit: Zu 87 Zügen des neuen Modells kommen ab Juli zehn dazu Foto: Peter Petsch

Diskutieren Sie mit: Die S-Bahnen kommen oft verspätet, auch weil sie voll sind. Trotzdem sollen sie noch viel voller werden. Wie das funktionieren soll, ist eine der großen Herausforderungen der Regionalpolitik der nahen Zukunft.

Stuttgart - Kassenschlager: Mehr als 400 000 Fahrgäste steigen an jedem Werktag in die Stuttgarter S-Bahnen ein. Und jedes Jahr werden es mehr. Nach Angaben des Verbands Region Stuttgart hat ihre Zahl von 2003 bis 2014 um 27 Prozent zugenommen, an Sonntagen um 39 Prozent und an Samstagen um 41 Prozent.

Der Renner ist die S 1: etwa 102 000 Kunden des Verkehrsverbunds Stuttgart steigen werktäglich zwischen Herrenberg und Kirchheim/Teck in die grüne Linie. Das ist ein Anstieg um mehr als ein Drittel seit 2003. Ihr folgt in der Rangliste die S 2 mit gut 70 000 (plus 23 Prozent), die S 3 mit mehr als 60 000 (plus 14 Prozent), die S 4 (plus 27 Prozent) und die S 5 (plus 26 Prozent) mit je über 40 000 Fahrgästen. An die dritte Position dazwischengeschoben hat sich mittlerweile die S 6, die seit Ende 2012 mit der S 60 von Böblingen in Renningen gekuppelt oder getrennt wird und dadurch den größten Zuwachs von 38 Prozent auf knapp 70 000 Fahrgäste erfahren hat.

Die S 60 und die Verlängerung der S 4 von Marbach nach Backnang waren die vorerst letzten großen Ausbauprojekte im Netz und haben viel zum Erfolg beigetragen. In die S 60 stiegen nach kaum zwei Jahren rund 11 000 Menschen ein. Auf der S 4 kamen knapp 3000 Einsteiger zusätzlich und auf der Ende 2009 eröffneten Verlängerung der S 1 bis Kirchheim/Teck 7000 Menschen.

  

Engpass Innenstadttunnel

Der Erfolg der S-Bahn trägt zu ihrem Misserfolg an anderer Stelle bei. Die vielen Fahrgäste kommen im Nadelöhr Innenstadttunnel nicht schnell genug aus den Zügen heraus oder hinein. Das sind zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße rund 250 000 täglich von insgesamt 800 000 Aus- und Einsteigern im Netz. Die jüngste Betriebssimulation der Bahn bestätigt, dass jede S 1, S 2 und S 3 im Tagesdurchschnitt 13 Sekunden länger im Tunnel hält als vorgesehen. In der Hauptverkehrszeit, wenn die Züge am vollsten sind, dürfte es deutlich länger sein. Infrastrukturdirektor Jürgen Wurmthaler von der Region betont, dass die Auslastung nicht überall gleich ist: „In den Zügen ist durchaus noch 20 bis 30 Prozent Luft.“ Allerdings wollen viele Fahrgäste immer am Anfang oder Ende des Zugs einsteigen, so dass es dort zum Stau kommt.

Nun ist die lange Haltezeit nicht die einzige Ursache für die zunehmende Unpünktlichkeit der S-Bahnen in den vergangenen zehn Jahren. Dazu gehört der Mischverkehr mit Fern-, Regional- und Güterzügen auf 37 Prozent der S-Bahn-Gleise. Doch der Tunnel ist ein wesentlicher Engpass im System, den Verband und Regionalversammlung in den Fokus genommen haben.

Zum Ansinnen, die Situation in den vollen Zügen in der Hauptverkehrszeit zu entschärfen, gehört die Ausdehnung des 15-Minuten-Takts. Der beginnt seit 2014 nachmittags gegen 15.30 Uhr, auf der S 1 sogar um 15 Uhr. Seitdem endet er auch abends später gegen 19.30 Uhr. Allein dies brachte rund 8000 Sitzplätze zusätzlich. Es soll nicht alles sein. Ab Dezember 2017 werden sich alle Linien bis etwa 20.30 Uhr jede Viertelstunde auf die Reise machen – und schon eine halbe Stunde früher als heute. Allein diese Ausweitung werden sich die Regionalräte rund 2,5 Millionen Euro jährlich mehr kosten lassen. So werden sich die Fahrgäste auf mehr S-Bahnen als im Halbstundentakt verteilen.

Mehr Platz

Ein anderer Aspekt ist die Länge eines Zuges. Seit gut einem Jahr sind auf der S 1 in der Hauptverkehrszeit elf Langzüge mehr im Einsatz, was 2000 Sitzplätze zusätzlich sind. Möglich war das, weil die Bahn acht Züge dazubekam. Zeitgleich kaufte die Region weitere zehn für rund 82 Millionen Euro, die von diesem Juli an geliefert werden. Damit will man das System vor allem auf der S 1 und der S 3 weiter stabilisieren.

S 2 und S 21

Seit zwei Jahren gilt in der Regionalversammlung das Motto: Die Verbesserung des Angebots geht vor. In Sachen Ausbau wird aktuell noch an der Verlängerung der S 2 von Bernhausen nach Neuhausen geplant, die für 125 Millionen Euro bis 2022 Wirklichkeit werden soll. Der Landkreis Calw treibt die Reaktivierung der Schwarzwaldbahn bis Weil der Stadt und weiter nach Renningen voran. Noch Zukunftsmusik ist die Verlängerung der S 5 auf bestehenden Regionalzug-Gleisen bis Vaihingen/Enz sowie der S 1 bis Bondorf (Kreis Böblingen) und der S 3 bis Murrhardt (Rems-Murr-Kreis). In den Hintergrund geraten ist eine S-Bahn nach Göppingen, die nach einer Untersuchung der Uni Stuttgart keine großen Verbesserungen gegenüber dem Regionalzug-Konzept des Landes mit Stuttgart 21 bringen soll. Von diesem wiederum verspricht man sich bei der Region eine Entlastung der S-Bahn um ein Fünftel der Fahrgäste. Zum einen, weil man künftig mit dem Regionalzug von Ludwigsburg oder Backnang etwa zum Flughafen durchfahren kann, zum anderen, weil S-Bahn-Fahrgäste aus Richtung Norden schon an der neuen Station Mittnachtstraße und nicht erst am Hauptbahnhof in Richtung Esslingen und das Neckartal umsteigen können.

Neue Signale

Über eine ganz andere Investition, die ebenfalls mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe zu Buche schlagen könnte, wird noch in diesem Jahr diskutiert. Die Aufrüstung der Signaltechnik im Innenstadttunnel auf modernste Technologie, die bisher nur im Fernverkehr (auch bei Stuttgart 21) zum Einsatz kommt. Noch ist aber nicht heraus, ob das European Train Control System dem S-Bahn-Betrieb wirklich etwas bringen würde. Fast schon utopisch erscheint der Ausbau des Tunnels um zwei Außenbahnsteige. Im Rahmen des ÖPNV-Paktes 2025 zwischen Land, Region, Landeshauptstadt und den VVS-Landkreisen Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr, mit dem 20 Prozent mehr Fahrgäste in die Öffentlichen kommen sollen, werden allerdings auch solch große Lösungen der S-Bahn-Probleme geprüft.