Endspurt beim größten und teuersten Schienenprojekt seit der Gründung der Region Stuttgart im Jahr 1994: In wenigen Wochen, am 9. Dezember, startet die neue S-Bahn-Linie Böblingen–Renningen.
Renningen - Baustellen-Freunde und Spaziergänger in Renningen, Magstadt und Sindelfingen-Maichingen aufgepasst! Die Zeit, in der gefahrlos über Gleise gegangen werden konnte, neigt sich dem Ende zu. Am Montag, 19. November, beginnt der Probetrieb auf dem letzten Streckenabschnitt der neuen S-Bahn-Linie im Kreis Böblingen. Dann rollen von der Haltestelle Maichingen-Nord bis zum Bahnhof in Renningen Züge. „Es können pro Stunde mehrere Züge sein“, sagte am Donnerstag Karsten Erhardt, Projektleiter der DB Netz AG, bei einem Pressegespräch in Renningen.
Um die Strecke der S 60 zu testen und die Lokführer damit vertraut zu machen, braucht es Strom. 15 000 Volt Spannung herrschen nach Angaben der Deutschen Bahn bereits ab Sonntag, 18. November, 14 Uhr, in der Oberleitung. „Hochspannung, Lebensgefahr!“ steht dann auf Warnschildern.
Am letzten Abschnitt der S 60 ist seit Januar 2012 mit Hochdruck gearbeitet worden. „Teils waren über 250 Arbeiter auf der Baustelle“, sagt Erhardt. Damit hat die Bahn eine erneute Verschiebung des Betriebsstarts vermieden. Es bleibt beim 9. Dezember. „Wir sind zu 99,9 Prozent fertig“, so der Projektleiter. Die S 60, die eigentlich schon längst zu Ende gebaut sein sollte, bisher aber nur auf dem Teilstück zwischen Böblingen und Maichingen pendelt, kann mit dem Fahrplanwechsel im Dezember bis Renningen durchfahren.
Die Kosten sind von anfangs 93 auf inzwischen 150 Millionen Euro explodiert
Zur Erinnerung: Baustart für die insgesamt 14,5 Kilometer lange Strecke war Mitte 2004 im Böblinger Bahnhof. Zweieinhalb Jahre danach sollten die Züge rollen. Ein ehrgeiziger Zeitplan, der von Beginn an zweifelhaft war. Doch auch später genannte Termine wie Ende 2008 oder 2010 wurden weit verfehlt. Im Juni 2010 ging lediglich das Teilstück von Böblingen bis Maichingen in Betrieb. Verzögerung bei Planung und Genehmigungen sowie fehlendes Geld warfen das Projekt weit zurück. Die Kosten sind von anfangs 93 auf inzwischen 150 Millionen Euro explodiert. Ob diese Summe ausreicht, ist noch unklar. „Voraussichtlich“, sagte Erhardt am Donnerstag. Bis alle Kosten abgerechnet seien, könne noch ein Jahr vergehen.
Der letzte Abschnitt, die 7,7 Kilometer von Maichingen bis Renningen, sind mit rund 66 Millionen Euro veranschlagt. Für diesen erklecklichen Betrag hat die Strecke, auf der bisher nur Güterzüge verkehrten, ein zweites Gleis bekommen. Böschungen mussten teils mit Spritzbetonwänden und Netzen gesichert werden. Für die komplett neuen Oberleitungen wurden 300 Masten gesetzt. Sieben Brücken wurden verbreitert, sechs neu gebaut und zwei abgerissen. Für die Brücken wurden 7600 Kubikmeter Beton und 1400 Tonnen Stahl verbaut. Diese Menge an Material entspricht in etwa der für 1000 Fertiggaragen. Entlang der Strecke gibt es auf einer Länge von drei Kilometern jetzt auch 2,5 Meter hohe Lärmschutzwände. Es sind vorwiegend Wände aus Aluminium in den Farben Grün und Beige.
Neu sind die Haltepunkte Maichingen-Nord, Magstadt und Renningen-Süd. Sie bestehen aus jeweils zwei 140 Meter langen und 96 Zentimeter hohen Bahnsteigen. Im Bahnhof Renningen wurden zwei Bahnsteige erhöht und verlängert. Was noch fehlt, sind Aufzüge in den Stationen Maichingen und Renningen. Sie sollen im März 2013 geliefert und eingebaut werden.
Mit der S 60 werden laut Prognose täglich 15 000 Menschen fahren
Wegen des S-Bahn-Baus ist die Strecke seit Januar für Güterzüge gesperrt. Sie werden auf der Gäubahn über Böblingen–Stuttgart-West–Stuttgart-Nord–Kornwestheim umgeleitet. Nach ihrer Rückkehr können die Güterzüge, die unter anderem Autos mit dem Stern von Daimler in Sindelfingen transportieren, schneller fahren. 80 statt bisher 50 km/h sind dann laut Erhardt möglich.
Die S 60 ist die erste Querverbindung im sternförmig auf Stuttgart ausgerichteten S-Bahn-Netz der Region. Sie verbindet die S 1 (Kirchheim unter Teck–Stuttgart–Böblingen–Herrenberg) mit der S 6 (Weil der Stadt–Renningen–Leonberg–Stuttgart). Umsteigen müssen die S-60-Fahrgäste in Renningen nicht. Die Züge werden an S-6-Bahnen angehängt oder von ihnen getrennt. Im Fachjargon heißt das kuppeln (anhängen) und flügeln (abhängen).
Mit der S 60 Böblingen–Renningen werden laut Prognose täglich 15 000 Menschen fahren. Auf dem Abschnitt Böblingen–Maichingen sind es laut Annette Albers, Referentin für Verkehrsplanung beim für die S-Bahnen zuständigen Verband Region Stuttgart (VRS), derzeit rund 4500.
S-Bahn-Züge der Linien S 2 und S 3 fahren am Sonntag, 11. November, vom Hauptbahnhof Stuttgart Richtung Waiblingen ohne Zwischenstopp bis Fellbach. Sie werden wegen Weichenbauarbeiten über Fernbahngleise geführt. Die Bahnhöfe Bad Cannstatt, Nürnberger Straße und Sommerrain werden nicht angefahren.