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In der TV-Sendung „Der Direkte Draht“ dürfen russische Bürger ihrem Präsidenten von ihren Sorgen erzählen. Diesmal geriet das Ganze zu einer lupenreinen Propaganda-Show.

Moskau - die Einwohner von Wolokolamsk hatten gehofft, dass wenigstens er sie erhöre – ihr Präsident, der in den Augen vieler Russen der Einzige ist, der die Probleme des Landes lösen kann. Die Wolokolamsker haben ein Problem: Sie kämpfen für die Schließung der Mülldeponie ihrer Stadt, die sie krank macht. Seit Monaten gehen sie vor der Abfallhalde auf die Straße – ohne Erfolg.

Ihre letzte Hoffnung war der „Direkte Draht“. Seit 18 Jahren stellt sich Wladimir Putin in dieser Fernsehsendung den Fragen seiner Bürger. Viereinhalb Stunden pflegt er an diesem Nachmittag die mediale Bürgernähe. Er inszeniert sich als Macher. Auch die Wolokolamsker schickten unermüdlich Textmitteilungen, riefen an, ließen den Sendungsverantwortlichen Videos der sie langsam erdrückenden Müllberge zukommen.

Drohungen in Richtung Ukraine

Putin aber setzt auf die Präsentation eines starken und mächtigen Russlands. Das Format verzichtete in diesem Jahr folgerichtig fast völlig auf die Mitwirkung der normalen Bürger. Funktionäre und Offizielle kamen zu Wort, priesen den Präsidenten in einer fast beschämenden Weise. „Sie sind der Sieger, ich wünsche Ihnen Gesundheit und Gottes Segen“, sagt der ehemalige Nationaltrainer Waleri Gassanow, als die Rede auf die bevorstehende Fußball-WM kommt und macht sich mit seinem Auftritt zum Gespött der Zuschauer.

Mitarbeiter von eigentlich längst geschlossenen Unternehmen zeigen vermeintliche Neuentwicklungen der Medizin- und Waffentechnologie. Mehrmals verweist Putin auf die Raketen, die das Land besitzt, spricht von einer starken Bedrohung aus dem Ausland, von einer fehlerhaften Politik der Partnerländer. „Früher hat die Angst alle gezwungen, vor dem anderen Respekt zu haben“, sagt er auf die Frage, ob ein dritter Weltkrieg droht. Er wirft der ukrainischen Elite vor, sich zu bereichern, prophezeit „schwere Folgen für das ganze ukrainische Staatswesen“, sollte es während der Fußball-WM „Provokationen der ukrainischen Seite“ in Form militärischer Angriffe im Osten der Ukraine geben.

Minister erscheinen wie Schuljungen

Auch zur Freiheit des Internets äußert sich Putin - knapp zwei Monate nach der Sperrung des verschlüsselten Messengerdienstes Telegram. Auf die Frage, ob Russland die Sperrung weiterer populärer Apps erwäge, sagt er: „die Behörden werden gar nichts schließen“. Telegram sei gesperrt worden, weil die Geheimdienste verschlüsselte Botschaften mutmaßlicher Urheber eines U-Bahn-Anschlags nicht verfolgen konnten. Und er fügt hinzu: „Du sollst nicht lügen“, sei der beste Ratschlag seines Vaters an ihn gewesen. „Ich log, ich lüge, ich werde lügen“, schreibt ein russischer Blogger daraufhin über dem Bild des Präsidenten.

In Gutsherrrenmanier lässt Putin Gouverneure und Minister in die Sendung einblenden, die wie Schuljungen erklären, dass sie Putins Anweisungen Folge leisten werden. Zuweilen wirkt der 65-Jährige gelangweilt, blättert in einem Heft und findet es lustig, den früheren Landwirtschaftsminister Alexej Gordejew mit Fragen wie „Warum heißt das Fleisch der Kuh eigentlich Rindfleisch?“ bloßzustellen.

Die Wolokolamsker stöhnen. „Wo bleiben eigentlich die wirklichen Sorgen des Volkes? Unsere Sorgen?“ Nach fast drei Stunden kommt tatsächlich eine Frage zum Müllproblem. „Das Problem stammt noch aus der Sowjetunion“, antwortet Putin knapp. Bis 2024 würden neue Fabriken gebaut. „Zeit, die wir nicht haben“, sagen die Wolokalamsker.